Nimzowitsch/Winawer-Variante
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Die Nimzowitsch/Winawer-Variante ist eine Variante der Französischen Verteidigung im Schach. Sie entsteht nach den Zügen: 1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4. Diese Eröffnung bietet beiden Spielern meist ein inhaltsreiches und spannendes Spiel.
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[Bearbeiten] Allgemeines
Nach dem Läuferzug 3. ... Lb4 hat Weiß eine ganze Reihe von Antwortmöglichkeiten (darunter 4. Ld2, Ld3, a3, Se2 und exd5). Besondere Bedeutung hat der Zug 4. e5, der heute als der stärkste gilt und entsprechend häufig gespielt wird. Danach beengt der weiße Bauer beträchtlich den schwarzen Königsflügel, was dem Weißen dort gute Angriffsmöglichkeiten bietet.
Schwarz sucht sein Gegenspiel meistens am Damenflügel. Die nun folgenden Varianten können äußerst zweischneidig und scharf werden, oft muss bedingungslos die Initiative gesucht werden, auch kommt es häufig zu Bauern- oder Figurenopfern.
Die Schwäche von Weiß liegt eindeutig am Damenflügel, wo der schwache Doppelbauer auf der c-Linie ein beliebtes Angriffsobjekt des Schwarzen ist. Dafür kann im schwarzen Lager die Diagonale a3-f8 sehr schwach werden – nach dem weißen a4 droht immer ein Läufer auf a3 aufzutauchen. Weitere Schwächen von Schwarz sind der beengte Königsflügel und vor allem der berühmte schwache Französische Läufer auf c8.
[Bearbeiten] Zur Geschichte des Zuges ...Lb4
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Französische Verteidigung (genauso wie die heute am meisten gespielte Eröffnung, die Sizilianische Verteidigung) als minderwertig, und war in den Augen vieler Schachspieler nur ein Versuch, den bereits damals umfangreichen Variantendschungel der Offenen Spiele nach 1. e4 e5 aus dem Weg zu gehen. Ein Schacheröffnungs-Lehrbuch von Paul Rudolph von Bilguer aus dem Jahr 1843 beschreibt bereits erste Eröffnungszüge innerhalb der Französischen Verteidigung. In den Varianten nach 1. e4 e6 2. d4 d5 sind jedoch nur zwei Fortsetzungsmöglichkeiten des Weißen Spielers aufgeführt, 3. exd5 oder e5. Derjenige, der später als Erster den Zug 3. Sc3 anwandte, war laut Geza Maroczy der deutsche Meister Louis Paulsen.
Über den schachgeschichtlichen Ursprung des Zuges 3... Lb4, nachdem die Nimzowitsch/Winawer-Variante entsteht, ist man sich heute uneinig. Die Eröffnung trägt oft allein den Namen Szymon Winawers (1838-1919), eines großen polnischen Schachspielers. Jedoch bezweifelt man heute, ob dieser Name gerechtfertigt war. Das erste Mal, wo nachweislich der Zug 3... Lb4 angewandt wurde, war im Jahr 1861 in London. Ignaz von Kolisch spielte hier den Läuferzug gegen Louis Paulsen in der 21. Partie eines Wettkampfes. Eine weitere Partie (die 27. Partie des Wettkampfes) endete ebenfalls remis. Aus dem Jahr 1862 stammt eine Partie von Joseph Henry Blackburne gegen den damaligen Weltmeister Wilhelm Steinitz, wo dieser Läuferzug Verwendung fand. Die erste Partie Winawers (der hier ebenfalls gegen Steinitz spielte), in der der Läuferzug auftauchte, wurde erst im Jahr 1867 gespielt. Nur drei weitere Schwarzpartien von Winawer, wo der Zug 3... Lb4 auftauchte, wurden überliefert. Es war vermutlich also nicht Winawer, der als erster den Zug 3... Lb4 in die Schachtheorie einführte. Warum aber Winawer, und nicht Kolisch oder Paulsen, als Urheber dieses Zuges in die Schachgeschichte einging, ist nicht eindeutig klar.
Oft wird die Variante auch als Nimzowitsch Variante bezeichnet, nach dem bedeutenden Großmeister Aaron Nimzowitsch (1886-1935), der eine schachliche Revolution hervorrief und den Grundstein der modernen Schachschule legte. Nimzowitsch war zwar nicht der erste, der den Zug Lb4 anwandte, er war aber derjenige, der die Französische Verteidigung viele neue Impulse verlieh und die Stärke von der bis dahin vorherrschenden Spielweise des Weißen, 3. exd5 exd5 (Abtauschvariante), relativiert hatte. Auch trugen seine zahlreichen strategischen Ideen zur Bauernkette und zur Doppelbauer-Theorie beträchtlich zum Verständnis des gesamten Abspiels bei. In der Erforschung der Zugfolge 1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 4. e5, die heute die mit Abstand wichtigste und am meisten gespielte Variante der Nimzowitsch/Winawer-Variante ist, hat er sich jedoch wenig hervorgetan. Nimzowitschs Ideen zur Französischen Verteidigung beziehen sich nämlich nicht direkt auf dieses Abspiel. Deshalb scheint auch der Name Nimzowitsch bei der Benennung dieses Abspiels als wenig angebracht.
Auch der große Schachtheoretiker und Weltmeister Alexander Aljechin hatte mit der Winawer-Variante experimentiert. Allerdings spielte auch er nicht 4. e5, sondern stattdessen eher 4. Dg4, 4. a3 oder 4. Se2. Besonders den Zug 4. a3 setzte er mehrfach im Weltmeisterschaftskampf gegen Max Euwe im Jahr 1935 ein. Allerdings konnte sich der Zug mangels Erfolg nicht in der Meisterpraxis halten, und auch der spätere Versuch Bobby Fischers, dem Zug 4. a3 neue Impulse zu verleihen, war zum Scheitern verurteilt.
Der wohl größte Entwickler der Winawer Variante jedoch war wohl der mehrfache Weltmeister Michail Botwinnik (1911-1995). Botwinnik bereicherte die Eröffnungstheorie entscheidend, viele seiner Varianten gelten noch heute als gut. Somit erzielte er herausragende Erfolge mit dieser Variante. So gelangen ihm bereits im Jahr 1934 gegen Milner-Barry (Zugfolge 1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 4. e5 c5 5. a3 Lxc3+ 6. bxc3 Se7 7. Sf3) und 1935 gegen Ragosin (Zugfolge ... 7. Dg4) bedeutende Siege.
Der Zug 7. Dg4, der heute als für Schwarz gefährlichste Variante gilt und von vielen Großmeistern angewandt wurde und wird (darunter Michail Tal, Boris Spassky, Anatoly Karpov, Garry Kasparov und Viswanathan Anand), war eine Idee des großen Eröffnungstheoretikers Rauzer und feierte seine Premiere in der Partie Rauzer-Alatortsev in Leningrad 1934. Rauzer führte auch die Züge 6. Lg5 im Sizilianer (Rauserangriff) sowie die Formation Le3 und f3 in der Drachenvariante (Sizilianisch) in die Turnierpraxis ein. Auch Botwinnik musste als Schwarzer Niederlagen einkassieren, als seine Gegner Dg4 spielten. Botwinnik schrieb:
- „Der für Schwarz gefährlichste Zug von allen ...“
Der Zug 7. Dg4 greift sofort den schwarzen Königsflügel an und zwingt diesen zu einer Entscheidung. Es vergingen viele Jahre, bis die Französischspieler gute Verteidigungssysteme gegen Dg4 einsetzten konnten. Botwinnik führte ein System mit 6... Dc7 ein, um nach 7. Dg4 mit f5 zu agieren, sodass die Dame von c7 aus die Bauern schützt. Aber auch dieses System konnte sich nicht behaupten. Die Züge 7... Sf5 und 7... Kf8, die der drohenden Zerstörung des schwarzen Königsflügels zuvorkommen sollten, hatten ebenfalls ihre Nachteile. Deswegen wurde meistens 7... cxd4 gespielt, die Partie Kotov-Chekhover, in der Weiß nach 7... cxd4 mit 8. Dxg7! agierte, zeigte jedoch auch in diesem Abspiel einen beträchtlichen weißen Vorteil.
Erstmals 1945 wurde der Zug 7... Dc7 gespielt (Panov-Ragozin), der heute als eine der schärfsten Abspiele der gesamten Französischen Verteidigung gilt. In diesem Abspiel lässt Schwarz die Bauern am Königsflügel ungedeckt, um am Damenflügel zu einem kräftigen Angriff zu blasen. Hauptverantwortlicher für die Popularität dieses Zuges ist der Großmeister Wolfgang Uhlmann, Französisch-Experte und stärkster Spieler der ehemaligen DDR, der diesen scharfen Zug lange Zeit erfolgreich anwandte.
Aber neben den superscharfen 7... Dc7 trat noch ein anderer Zug auf. Die kurze Rochade für Schwarz im 7. Zug wurde erst für unmöglich gehalten. Stefan Kindermann schrieb dazu in seinem Werk „Französisch Winawer“ (2001):
- „Ich vermute, dass in der Anfangszeit des Zuges 7. Dg4 die weißen Angriffschancen gegen die schwarze Rochadestellung sehr hoch bewertet wurden, droht doch nach den nächsten naheliegenden Zügen Sf3 und Ld3 bereits das klassische Läuferopfer auf h7! Es mussten viele Jahre vergehen, um klar zu verstehen, dass der tatsächlich in den meisten Abspielen erforderliche befreiende Aufzug des schwarzen f-Bauern nicht zu einer tödlichen Schwächung des schwarzen e-Bauern und des Feldes e5 führt, sondern dem Schwarzen ausgezeichnete dynamische Gegenchancen verspricht.“
In den achtziger Jahren wechselte auch Uhlmann über in die Variante 7... 0-0. Weiß hat in dieser Variante zwar gute Aussichten auf einen Königsangriff, aber wenn Schwarz diesen überlebt, erhält er wegen der besseren Bauernstruktur bessere Endspielchancen.
Bobby Fischer, wohl einer der berühmtesten Schachspieler überhaupt, bezweifelte die Korrektheit der Winawer-Variante. Er bezeichnete diese Verteidigung als „antipositionell und schwächt den Königsflügel“. Allerdings hatte Fischer in seiner Karriere selbst große Probleme als Weißer gegen die Winawer-Variante. So musste er bittere Niederlagen gegen Mednis, Uhlmann und Kovacevic einstecken.
[Bearbeiten] Theorie
Eine kleine Einführung in die Theorie, also wichtige Varianten und Abspiele, findet sich hier.
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 (Winawer/Nimzowitsch Variante) Dies ist die aggressivste und schärfste Fortsetzung für Schwarz. Der Springer auf c3 wird gefesselt, und Schwarz droht den Be4 zu schlagen. Eine weitere Möglichkeit besteht in 3... Sf6, die im modernen Ausgleichssinne ebenfalls an Bedeutung gewonnen hat.
4. e5 Die beste Erwiderung. Der vorgerückte Königsbauer beengt den Schwarzen Königsflügel und bietet die Grundvoraussetzung für einen Königsangriff. Nun steht Schwarz vor einer Entscheidung. Entweder, er greift sofort das Zentrum an und spielt 4... c5. Oder er entwickelt erst den Königsflügel und greift zu 4... Se7. Meistens bedeutet dies nur eine Zugumstellung, jede Möglichkeit bietet dem Schwarzen jedoch spezifische Nebenmöglichkeiten, mit denen der Weiße rechnen muss. So kann nach 4... c5 5. a3 nicht nur die sehr scharfe Armenische Variante mit La5 aufs Brett kommen, sondern auch das seltene aber interessante ... Da5 7. Ld2 Da4!? Nach 4... Se7 hat Weiß den aggressiven Damenausfall 5. Dg4 zur Verfügung.
4... c5 Typisch – Schwarz muss im Zentrum aktiv werden und die Bauernkette an der Basis angreifen.
5. a3
5... Lxc3+ Schwarz tauscht seinen schwarzen Läufer ab und schlägt damit eine blutende Wunde im Weißen Damenflügel. Als Kompensation erhält Weiß gute Angriffschancen, auch kann die Diagonale a3-f8 schwach werden.
Möglich ist auch 5... La5, die sogenannte Armenische Variante. Auf hohem Niveau ist diese Variante jedoch nur selten anzutreffen, da sich gezeigt hat, dass Weiß langfristig die besseren Chancen hat. Eine Fortsetzungsmöglichkeit ist: 6.b4 cxd4 7.Dg4 Se7 8.Dxg7 Tg8 9.Dxh7 Sbc6. Ein bedeutender Spezialist auf diesem Gebiet ist Großmeister Lputjan.
Eine weitere Möglichkeit besteht in 5... cxd4. Auf hohem Niveau ist diese Variante so gut wie verschwunden, da auch hier Weiß die besseren Karten behält. Eine mögliche Zugfolge: 6. axb4 (Dxd4!?) dxc3 7. Dg4!?
6. bxc3 Se7
Nun hat Weiß die Wahl zwischen dem ruhigeren 7. Sf3 und dem aggressiven 7. Dg4. Er kann auch sofort auf der schwachen schwarzen Diagonale a3-f8 aktiv werden und 7. a4!? spielen, was unter Zugumstellung aber meistens in den Varianten nach 7. Sf3 endet.
7.Sf3
Dies ist die positionelle Fortsetzung für Weiß. Die Hauptvariante verläuft wie folgt: 7... Ld7 8. a4 Da5
A: 9. Ld2. Neben dem Damenzug Dd2 die zweite Hauptfortsetzung, die zwar den Tausch auf d4 vereitelt, das Läufermanöver nach h3 jedoch unmöglich macht. 9... Sc6 10. Le2 (Lb5 ist ebenfalls gut) 10... f6 mit verteilten Chancen.
B: 9. Dd2. Weiß deckt den Bc3 und behält die Möglichkeit, den Läufer nach a3 zu entwickeln. 10. Le2 f6! Auch in dieser Variante wird das weiße Zentrum mit dem f-Bauer aufgerieben.
7. Dg4
Das schärfste Abspiel der Winawer Variante. Meistens entwickelt sich ein Spiel auf Leben und Tod.
- 7... Dc7
Diese superscharfe Erwiderung war lange Zeit die populärste schwarze Fortsetzung. Schwarz gibt am Königsflügel seine Bauern für einen Angriff auf dem Damenflügel. Bauern- und Figurenopfer sind im diesen Abspiel etwas alltägliches, und meistens kommen die Könige erst gar nicht zur Rochade.
Nach der Hauptvariante 8. Dxg7 Tg8 9. Dxh7 cxd4 droht Schwarz bereits das Schach auf c3, welches Weiß mit 10. Se2 am besten pariert.
- 7... 0-0 (Warschauer Variante)
Dies ist eindeutig die zuverlässigste und sicherste Alternative gegen Dg4. Kindermann und Dirr schlugen in ihrem Theoriewerk „Französisch Winawer“ (2001) den Namen „Warschauer Variante“ für dieses Abspiel vor, nach der polnischen Hauptstadt benannt, in der dieser Zug das erste Mal auftrat. Oft muss Schwarz einen wüsten Königsangriff überdauern, er besitzt jedoch auch gute Verteidigungsmöglichkeiten. Übersteht der Schwarze den Angriff unbeschadet, hat er durch die bessere Bauernstruktur gute Endspielchancen. Die Hauptvariante verläuft wie folgt: 8. Ld3
-
- 8... Da5!? Eine Idee, die vom russischen Französisch-Experten und Trainer und Sekundant von Alexander Morosewitsch, Alexander Rustemov, in die Turnierpraxis eingeführt wurde. Mit dem Damenausfall will Schwarz frühzeitig Druck auf c3 und d4 ausüben.
- 8... f5!? Eine weitere Möglichkeit. Die weitere Zugfolge könnte lauten: 9. exf6 Txf6 10. Lg5 Tf7
- 8... Sc6. Zurzeit am häufigsten angewandt. Nach 9. Dh5 wäre der zuvor häufig angewandte Zug 9... h6 ein Fehler, da das Läuferopfer Lxh6! in Verbindung mit der langen Rochade nebst Td3-g3 zu einem vernichtenden Königsangriff führt. Im Jahr 1988 mussten in den fast zeitgleich gespielten Großmeisterpartien Maus-Hübner und Vogt-Uhlmann die Französischspieler einige Züge nach diesem Opfer aufgeben.
[Bearbeiten] Literatur
- Kindermann, Dirr: Französisch Winawer - Band 1: 7. Dg4 0-0, Chessgate, 2001, ISBN 3-935748-00-0
- Wolfgang Uhlmann: Französisch... richtig gespielt - Ein Leben lang Französisch, Joachim Beyer Verlag, 2004, ISBN 3-88805-271-8