Tinnitus
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Der Begriff Tinnitus aurium (lat. „das Klingeln der Ohren“) oder kurz Tinnitus bezeichnet ein Symptom (teilweise ist eher Syndrom bevorzugt), bei dem der Betroffene Geräusche wahrnimmt, die keine äußere für andere Personen wahrnehmbare Quelle besitzen. Im Gegensatz dazu beruht der „objektive Tinnitus“ auf einer von außen wahrnehmbaren oder zumindest messbaren Schallquelle (z. B. der Kiefermuskulatur). Objektiver Tinnitus ist allerdings im Vergleich zum subjektiven Tinnitus sehr selten.
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Definition
Der Tinnitus ist eine akustische Wahrnehmung, die zusätzlich zum Schall, der auf das Ohr wirkt, wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung beruht auf einer Störung der Hörfunktion. Der Höreindruck des Tinnitus hat also nichts mit dem Schall in der Umgebung des Patienten zu tun. Die Art der scheinbar wahrgenommenen Geräusche ist sehr vielfältig. Man fasst unter anderem folgende akustische Eindrücke unter dem Begriff Tinnitus zusammen:
- ein oder mehrere Brumm- oder Pfeiftöne
- Zischen
- Rauschen
Typische Frequenzen die ermittelt wurden lagen zwischen 0–1000 Hz sowie bei 8000 Hz. Das Geräusch kann in seiner Intensität gleich bleibend sein, es kann jedoch auch einen rhythmisch – pulsierenden Charakter haben. Es gibt nicht immer ein reales Geräusch, das den selben Höreindruck wie der Tinnitus verursacht. Auch sollte man Tinnitus deutlich von akustischen Halluzinationen abgrenzen.
Das Thema Tinnitus ist von vielen Missverständnissen umsäumt. Häufig wird der Fehler begangen, den Tinnitus als eigene Krankheit zu betrachten. Da er aber oft ein Symptom einer anderen Krankheit ist, verstellt diese Betrachtungsweise oft den Blick auf mögliche Ursachen. Wegen der Vielfältigkeit der Ursachen und der Verschiedenartigkeit seines Auftretens, wird von einigen Wissenschaftlern die Einordnung als Syndrom favorisiert. Gegen die Einordnung als eigenständige Krankheit spricht auch eine Studie von Heller und Bergmann, in der die Autoren darüber berichten, dass 93,75 % aller 80 hörgesunden Probanden der Studie in einem schallisolierten Raum nach 5 Minuten über Tinnitus klagten.[1]
Etwa 10 bis 20 % der Bevölkerung sind von Tinnitus dauerhaft betroffen, knapp 40 % stellt zumindest einmal im Leben ein derartiges Ohrgeräusch fest. Etwa ein Drittel aller älteren Menschen gibt an, ständig Ohrgeräusche zu hören. Der Beginn der Krankheit beginnt typischerweise zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen. Besonders in den letzten Jahrzehnten ist die Anzahl der Tinnituspatienten laut Meinung einiger Autoren in den westlichen Industrieländern sehr stark angestiegen. Man spricht daher in Deutschland mitunter von einer Volkskrankheit. Ob die Zahl der Erkrankungen allerdings tatsächlich angestiegen ist, oder ob sich lediglich die Zahl der Patienten erhöht hat, die ärztliche Hilfe suchen, ist umstritten.
Ursachen
Subjektiver Tinnitus
- Ohrenschmalz
- Entzündungen des Ohrs:
- Mittelohrerkrankungen mit Störung der Schallübertragung (z.B. Otosklerose)
- virale und bakterielle Infekte (z.B. Borreliose)
- Lärmereignisse
- Lärmtraumata (z.B. in Diskotheken)
- Knalltraumata
- Hörsturz
- Tauchunfälle
- Morbus Ménière
- Cochlärer Hydrops
- Endolymphschwankungen
- Autoimmunerkrankungen des Innenohrs
- ototoxische Substanzen
- Akustikusneurinom (ein Tumor der Gehörnerven)
Objektiver Tinnitus
- Gefäßmissbildungen
- Gaumensegelnystagmus
- Tubenfunktionsstörungen
Es treten jedoch häufig Tinnitusfälle ohne derzeit erkennbare medizinische Ursache auf.
Da viele Patienten in stressigen Lebensphasen und Situationen, in denen es ihnen psychisch schlecht geht, verstärkte Ohrgeräusche wahrnehmen, ist zumindest ein psychosomatischer Einfluss nicht auszuschließen. In Ermangelung anderer Erklärungen ist jedoch auch denkbar, dass eine nicht zutreffende Kausalität zwischen Stress und Tinnitus vom Betroffenen konstruiert wird.
Neben physiologischen Ursachen wie starkem Lärmeinfluss oder Entzündungen des Ohres, beschäftigen sich manche Modelle damit, den Tinnitus durch eine unvorteilhafte Signalverarbeitung im Gehirn zu erklären. Die Annahme, dass ein Tinnitus im Gehirn entstehen kann, wird durch einzelne Fälle gestützt, bei denen ein Tinnitus durch das Trennen des Hörnervs nicht gestoppt werden konnte.
Wenngleich der Ansatz manche Fragestellungen relativ zwanglos erklären kann (beispielsweise, weshalb sich ein Tinnitus verstärken kann, wenn man sich auf das Geräusch konzentriert), bleibt das Problem, dass derartige Theorien nur schwer beweisbar sind und viel Raum für Spekulationen lassen.
Mögliche Folgen
Tinnitus (meist chronischer) kann psychologisch bedingte Folgeerscheinungen mit sich ziehen:
Es muss hier jedoch ausdrücklich erwähnt werden, dass die meisten Tinnitus-Betroffenen keine der oben erwähnten Symptome ausbilden.
Der oft diskutierte Suizid in Folge eines Tinnitus ist umstritten. Einerseits gibt es Patienten, die berichteten, dass sie auf Grund der enormen Stressbelastung des Tinnitus an einen Selbstmordversuch dachten. Retrospektive Studien, die den kausalen Zusammenhang zwischen Tinnitus und Suizid zu belegen versuchten, scheiterten hingegen.[2] Laut den Schlussfolgerungen dieser Autoren lagen demnach bei Tinnituspatienten, die sich das Leben nahmen, eine Vielzahl weiterer Gründe für ihren Freitod vor (siehe auch: Komorbidität). Einschränkend bleibt festzuhalten, dass retrospektive Untersuchungen mit statistischen Unsicherheiten verbunden sind. Da sich experimentelle prospektive Studien bei einer solchen Thematik aus ethischen Gründen jedoch verbieten, ist eine völlige Klärung des Sachverhalts nicht möglich.
Unumstritten ist hingegen, dass die Mehrzahl der von Tinnitus betroffenen Patienten auf Dauer die Ohrgeräusche gut kompensieren kann und unter keiner bzw. lediglich einer geringen Einschränkung der Lebensqualität leidet (siehe auch: Habituation).
Formen
Nach dem Zeitraum der Wahrnehmung eines Tinnitus werden im deutschsprachigen Raum in der Regel drei Phasen unterschieden:
- akuter Tinnitus (bis 3 Monate)
- subakuter Tinnitus (bis 6 Monate)
- chronischer Tinnitus (über 6 Monate)
Einige Quellen geben den akuten Tinnitus auch bis 12 Monate und den chronischen Tinnitus ab 12 Monate an. Bislang gibt es keine genaue wissenschaftliche Grundlage für die Einteilung in zwei bzw. drei Phasen. Sie richtet sich lediglich nach Erfahrungswerten. Hierdurch erklären sich die unterschiedlichen Angaben.
Außerdem kann zwischen
- objektivem Tinnitus, welcher auch von anderen Personen als der Betroffenen gehört werden kann und
- subjektivem Tinnitus, der nur vom Erkrankten wahrgenommen wird, unterschieden werden.
In Hörtests wurde kein Zusammenhang zwischen objektiv feststellbarer Stärke des Tinnitus und dem subjektiven Empfinden des Leidens festgestellt. Es gibt also Menschen, die sehr laute Ohrgeräusche haben, aber offenbar relativ gut damit umgehen können.
Therapien
Es werden verschiedene Behandlungen des Tinnitus aurium angewandt, allerdings konnte bei keiner Therapie bisher wissenschaftlich eine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Die hohe Zahl der verschiedenen Therapievorschläge lässt vermuten, dass es bisher noch keine klare, eindeutig wirksame Behandlung gibt. Grundsätzlich kann auch keine der Therapien in der Theorie maßgeblich gestützt oder widerlegt werden, da über die Verarbeitung von Höreindrücken noch zu wenig bekannt ist. Dennoch ist der Markt für die Behandlung von Tinnitus sehr groß und vermutlich auch lukrativ. [3]
Schulmedizin
Zu Beginn erfolgt im deutschsprachigen Raum meist eine medikamentöse Behandlung mit Vitamin E-Präparaten, Magnesium, Glukokortikoiden (z. B. Kortison), intravenös gegebenen Lokalanästhetika wie Procain sowie durchblutungsfördernden Wirkstoffen (zum Beispiel Pentoxifyllin, HES (=Hydroxyethylstärke) oder ein pflanzliches Ginkgo-Präparat). Die Medikamente werden je nach Ausprägung und vermuteter Ursache des Tinnitus entweder als Tablette oder intravenös (Infusionen) verabreicht. Qualitativ hochwertige Vergleichsstudien, die eine Überlegenheit eines bestimmten Medikaments gegenüber einem anderen belegen konnten, gibt es bislang nicht. Ebenso konnte bis heute kein Nachweis dafür erbracht werden, dass eines der Medikamente eine höhere Wirkung als die Verabreichung eines Placebos erzielt [4]. Der Einsatz erfolgt vielmehr aus Erfahrungswerten und theoretischen Überlegungen heraus [5]. Angesichts der unbewiesenen Wirkung, hoher Kosten und möglicher Nebenwirkungen ist dieses Vorgehen jedoch umstritten.[6] In Ländern wie den USA und Großbritannien sowie im skandinavischen Raum ist die so genannte Infusionstherapie des akuten Tinnitus unüblich. [7]
Medikamentöse Behandlungen von chronischem Tinnitus, zum Beispiel mit Stoffen, die in den Neurotransmitter-Haushalt eingreifen, sind umstritten. Dies gilt u. a. für Tinnitustherapien mit Caroverin, Glutaminsäure und Glutaminsäurediethylester, deren Wirksamkeit wiederholt von Wissenschaftlern in Frage gestellt wurde [8] [9] . Auch Versuche, entsprechende Substanzen mittels eines Katheters direkt ins Innenohr zu geben, scheiterten [10]. Ohne langfristigen Erfolg blieben außerdem Testreihen, in denen Patienten Tabletten mit dem Wirkstoff Tocainid[11] oder Carbamazepin[12] erhielten. Einzig das lokale Anästhetikum Lidocain konnte in hoher Dosis bei intravenöser Applikation Ergebnisse erzielen, die einer Placebo-Behandlung signifikant überlegen waren. Jedoch hielt die Wirkung in den entsprechenden Studien nur für sehr kurze Zeit an.[13] Darüber hinaus wurde eine hohe Rate von Nebenwirkungen beobachtet, so dass eine langfristige Therapie mit Lidocain nicht in Frage kommt. [14]
Die früher bei schwerem, chronischen Tinnitus durchgeführte Durchtrennung des Nervus acusticus wird wegen der niedrigen Erfolgswahrscheinlichkeit nicht mehr durchgeführt. Die Tatsache, dass eine Unterbrechung des Hörnerven einem großen Teil der Patienten keine Linderung brachte, könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Ursache des chronischen Tinnitus nicht im Innenohr liegt [15]
Neueste Forschung untersucht momentan, ob die transkranielle Magnetstimulation zur Milderung des Tinnitus geeignet ist. Wenngleich erste Ergebnisse ermutigend ausfielen, erweckten die Resultate weiterer Studien erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Therapie.[16] Wissenschaftlich ungesichert ist auch die vermeintliche Wirkung implantierter Hirnschrittmacher, die beispielsweise an der Universitätklinik in Antwerpen einer kleinen Zahl von Patienten eingesetzt wurden [17].
Wie andere Therapieansätze auch, konnte die Tinnitus-Retraining-Therapie bislang ebenfalls keine bahnbrechenden Erfolge in der Tinnitus-Therapie nachweisen[18] [19]. Auch der Nutzen von Antidepressiva konnte bislang weder bei Tinnitus-Patienten mit, noch bei solchen ohne Depression stichhaltig belegt werden [20].
Alternative Behandlungsmethoden
Es gibt eine Vielzahl alternativer Behandlungsmethoden, die jedoch größtenteils sehr umstritten sind. Unter anderem wird die Stellatum-Blockade zur Erweiterung der Blutgefäße in Kopf und Hals sowie die hyperbare Sauerstofftherapie verwendet. Die Patienten müssen die Kosten für diese Behandlungen in der Regel selbst aufbringen, da ihre Wirkung unbewiesen ist [21]. Zu berücksichtigen ist, dass Tinnitus in der Akutphase auch ohne Behandlung leiser werden bzw. ausheilen kann.
Entspannungsübungen wie zum Beispiel Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung oder auch Meditation können die Chance auf Linderung eventuell verbessern.
Ginkgo, das in mehreren Testreihen intensiv untersucht wurde, erzielte bei chronischem Tinnitus die gleichen Ergebnisse wie ein Placebo-Präparat[22]. Auch die Wirkung auf akute Ohrgeräusche kann nicht durch qualitativ ausreichende klinische Studien gestützt werden.[23] [24] [25] Die Wirksamkeit einer Ginkgotherapie muss daher stark in Zweifel gezogen werden.
Die Neuraltherapie versucht über die Behandlung von angeblichen Störfeldern den Tinnitus zu behandeln. Dabei wird Procain oder Lidocain in so genannte "Triggerzonen" gespritzt. [26] Wissenschaftliche Studien, die eine längerfristige Wirkung hinreichend belegen, existieren nicht: "Anhaltende Besserungen lassen sich dadurch in aller Regel nicht erzielen.", so die Einschätzung von Thomas Lenarz in Harald Feldmanns Fachbuch "Tinnitus. Grundlagen einer rationalen Diagnostik und Therapie".[27]
Die Unwirksamkeit der Softlasertherapie, bei der das Ohr über einen Laser bestrahlt wird, wurde durch zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien belegt. [28] [29] [30] Zur Klangtherapie, die mit Musik die Funktion des Ohres wiederherstellen will, gibt es bislang keine aussagekräftigen Studien. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die umstrittene Tomatis-Therapie. Dabei werden speziell verzerrte Musikstücke, (meist von Mozart) über Kopfhörer gehört.
Allgemeine Regeln zum Umgang mit Tinnitus
Wichtig ist, bei akutem Tinnitus so bald wie möglich einen Arzt aufzusuchen. Zudem sollte man sich möglichst wenig Stress und keiner zu starken akustischen Belastung aussetzen. Akustische Ablenkung (zum Beispiel leise rhythmische Musik) sollte genutzt werden, um sich nicht auf das Ohrgeräusch zu konzentrieren. Das ist eine gute Möglichkeit, die Einschlafprobleme, die häufig mit starken Tinnitus verbunden sind, zu mildern. Es soll generell verhindert werden, dass sich das gesamte Denken und Fühlen des Patienten immer mehr um die Krankheit dreht, da hierdurch erfahrungsgemäß der Leidensdruck wächst. Absolute Stille führt leicht zur Konzentration auf das Ohrgeräusch und verstärkt es subjektiv.
Nach sechs Monaten spricht man von einem chronischen Tinnitus. Dann ist es vor allem wichtig, dass der Betroffene lernt, mit dem Ohrgeräusch umzugehen. Oft tritt nach längerer Zeit eine Gewöhnung an das Geräusch ein, und der Patient empfindet es nicht mehr als so stark störend wie zu Anfang. Hierbei können psychologische Hilfe und Selbsthilfegruppen den Patienten unterstützen (siehe Tinnitus-Retraining-Therapie und kognitive Verhaltenstherapie).[31]
Siehe auch
- Hörsturz – Plötzlich einsetzender Tinnitus gilt - wenn er mit einem abrupt beginnenden Hörverlust einhergeht - als Symptom hierfür.
- Morbus Ménière – Tinnitus ist hier Begleiterscheinung.
Quellen
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- ↑ Der Spiegel, 21. Juni 2004
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Literatur
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- Michèle Markus, Alexander Hoffman: SOS aus dem Innenohr - Hilfe bei Tinnitus. 2. Auflage. Ehrenwirth, München 2001, ISBN 3-431-03557-4
- Richard S. Tyler: Tinnitus Handbook. Singular Publishing Group, Florence Kent 2000, ISBN 1-565-93922-0
Weblinks
- Deutsche Tinnitus-Liga e. V. DTL
- Österreichische Tinnitus-Liga ÖTL
- Schweizerische Tinnitus-Liga
- American Tinnitus Association (englisch)
- British Tinnitus Association (englisch)
- Tinnitus Mythen und Fakten auf Neuro24
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