Widerstandsrecht
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Das Widerstandsrecht ist das Recht Einzelner, bestimmter Bevölkerungsgruppen oder des ganzen Volkes, der Obrigkeit oder der Regierung den Gehorsam zu verweigern und Widerstand zu leisten, wenn diese die Rechte der Untertanen oder Staatsbürger verletzen und mit anderen Mitteln keine Abhilfe zu schaffen ist.
Es gibt die Möglichkeit des passiven Widerstandes durch Gehorsamsverweigerung und die Möglichkeit des aktiven Widerstandes durch Gewalt.
Das Widerstandsrecht ist seit der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols weniger ein tatsächliches Recht des Einzelnen, denn ein Thema der Rechtsphilosophie. Mit dem Widerstandsrecht soll der Einzelne gerechtfertigt werden, wenn er sich den Vertretern des Staates entgegenstellt, weil diese das Gewaltmonopol missbrauchen.
In fast allen Gesellschaftsformen bestand oder besteht ein Konsens, dass Widerstand in bestimmten Fällen notwendig und legitim sein kann. Im konkreten Fall gehen die Meinungen darüber aber auseinander. Mit dem Widerstandsrecht, das in verschiedenen Formen seit der Antike als Rechtsgrundsatz existierte, versucht man zu definieren, aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln Widerstand geleistet werden kann. Für die rechtliche und moralische Bewertung widerständischen Handelns ist es von Bedeutung, ob die Machthaber, gegen die Widerstand geleistet wird, die Herrschaft legal, legitim oder aber illegal ausüben. Auch die Ziele des Widerstands und die dafür gewählten Mittel sind in diesem Zusammenhang von Belang.
Widerstand als Form der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung ist in der politischen Kultur Europas schon seit der Antike verankert. Dementsprechend vielfältig ist auch der seit über 2000 Jahren geführte Diskurs über dessen Rechtsgrundlagen. Sowohl die antike Philosophie, als auch die christlichen Konfessionen und die Aufklärer des 18. Jahrhunderts haben je eigene Lehren vom Widerstandsrecht hervorgebracht. Auch im Islam ist das Recht auf Widerstand nicht unbekannt.
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[Bearbeiten] Historische Entwicklung des europäischen Widerstandsrechts
In der Antike wurde vor allem die ethische Dimension des Tyrannenmords diskutiert. Die römische Republik kannte kein institutionalisiertes Widerstandsrecht im eigentlichen Sinne, weil die römischen Beamten nach Ablauf ihrer Amtszeit jederzeit vor Gericht für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden konnten. Nichts desto trotz hat es auch in der römischen Geschichte Widerstandshandlungen gegeben, mit denen sich die Bürger erweiterte Rechte erkämpft haben. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die legendären Auszüge der Plebejer aus der Stadt auf den heiligen Berg in den Jahren 494 und 449 v. Chr., mit denen sie den Patriziern eine größere Beteiligung an der politischen Macht abtrotzten. Aber auch bei Verfassungskonflikten der herrschenden Schichten mit Volksvertretern oder mit dem Volksinteresse zuneigenden (z.B. als sakrosankte Volkstribunen) eigenen Standesangehörigen, wie z.B. bei im oder vom Senat behauptetem Notstand (senatus consultum ultimum), wurde ein Widerstandsrecht zur Rechtfertigung herangezogen. Konkrete Beispiele hiefür sind z.B. die Vertreibung von Tarquinius Superbus sowie die behaupteten Tyrannenmorde an Clodius Pulcher, den Gracchen und Caesar.
In der römischen Kaiserzeit existierte kein Widerstandsrecht, weil aufgrund der göttlichen Dignität, die den Imperatoren beigelegt wurde, Widerstandshandlungen nicht zu rechtfertigen waren. In der Spätantike wurde diese Sichtweise allerdings von den christlichen Kirchenlehrern in Frage gestellt. Augustinus entwickelte in seinem Werk vom Gottesstaat (De civitate Dei) die Vorstellung, dass die göttliche Ordnung zum irdischen Staat (civitas terrena) in einem bleibenden Spannungsverhältnis stehe. Zwar erscheint der irdische Staat bei Augustinus als zum Teil gottgewollte zeitliche Ordnungsmacht, er wird aber von widergöttlichen Kräften beeinflusst und dadurch zu einem Reich des Bösen, das letztlich zum Untergang verurteilt ist. Der Gottesstaat wird auf Erden als Abglanz in der Kirche sichtbar. Dies impliziert, dass die Christen um des ewigen Heils willen der zeitlichen Gewalt auch Widerstand leisten dürfen.
Das europäische Mittelalter kannte keine einheitliche Staatsgewalt im modernen Sinne. Neben dem Königtum übten auch die Großen des Adels und der kirchlichen Hierarchie aus eigenem Recht Herrschaft aus. Die Menschen waren durch wechselseitige Verhältnisse von Huld und Treue aneinander gebunden. (vgl. dazu Lehnswesen und Vasall) Grundsätzlich waren die Untertanen ihrer Obrigkeit zu Gehorsam verpflichtet. Dies galt jedoch nur so lange uneingeschränkt, wie die Herrschaft die Rechte ihrer Untergebenen nicht verletzte. Neben der Anrufung übergeordneter Gewalten um Hilfe und Schutz blieb den Untertanen im Konfliktfall nur der Weg des Widerstands zur Durchsetzung ihrer Rechte.
Ohne dass es ein schriftlich fixiertes Widerstandsrecht gegeben hätte, waren Widerstandshandlungen nach dem Gewohnheitsrecht allgemein akzeptiert, sofern sie in einem vom jeweiligen Kontext abhängigen,akzeptablen Rahmen blieben. Freilich sahen das die Herren im Einzelfall natürlich anders als die Untertanen und sie bezeichneten Widerstandshandlungen zumeist mit negativ besetzten Begriffen, so z.B. als Widersetzlichkeit oder Ungehorsam. Je größer die Rechte des Einzelnen waren, desto eher war er befugt und in der Lage Widerstand zu leisten. So waren es oft die freien Landherren aus dem Adel, die den Fürsten oder dem König den Gehorsam verweigerten. Aber auch die Bauern leisteten ihren Grundherren nicht selten Widerstand, indem sie Frondienste oder Abgaben verweigerten.
Widerstand konnte durch sehr unterschiedliche Formen Ausdruck verliehen werden. Diese reichten von der Verweigerung bestimmter Ehrenbezeigungen oder gar der Huldigung über die Verweigerung bestimmter Befehle des Herren, das Zurückhalten von Steuern bis hin zu Waffengewalt gegen die Herrschaft. Je nach der gesellschaftlichen Stellung der Untertanen und dem Grad der Rechtsverletzung der Obrigkeit galten nur bestimmte Widerstandshandlungen als akzeptabel. Auch in dieser Hinsicht boten allein das Gewohnheitsrecht und gegebenenfalls historische Präzedenzfälle eine Richtschnur. Bewaffneter Widerstand bäuerlicher Gemeinden wurde von den Feudalherren fast immer als illegitim angesehen, der entsprechend auch mit Waffengewalt gebrochen werden durfte (z.B. im Rahmen der habsburgischen Angriffe im 14. Jahrhundert gegen die Waldstätten oder im Rahmen der Bauernkriege). Der angegriffene Adlige konnte sich dabei meist auf die Hilfe seiner Standesgenossen verlassen. Anders war dagegen Uneinigkeiten unter den Feudalherren selbst, wo bis zu den ewigen Landfrieden die Fehde zur Rechtsdurchsetzung legitim war und auch später noch die Territorialherren als Ausfluss ihrer Souveränität sich gegenseitig ein Recht zum Krieg zusprachen.
Mit dem Zerfall der christlichen Einheit des Abendlands in verschiedene Konfessionen bekam auch das Widerstandsrecht eine neue Dimension. Diskutiert wurde nun, inwieweit es legitim ist, der Obrigkeit aus Gewissens- und Glaubensgründen Widerstand zu leisten. Die Auffassungen der Theologen und ständischen Politiker des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts gingen dabei unabhängig von der Konfession weit auseinander. Für die Protestanten, die Widerstand gegen katholische Obrigkeiten leisten wollten, bestand das Hauptproblem darin, dass sie sich anders als im traditionellen mittelalterlichen Widerstandsrecht kaum auf die Wiederherstellung alten Rechts berufen konnten, denn die evangelischen Bekenntnisse stellten eine ziemliche offensichtliche Neuerung dar. Hilfsweise hat man es trotzdem versucht, indem man sich zum Beispiel auf die traditionellen Patronatsrechte von Adel oder Stadtkommunen berief. Man behauptete, dass die Patronatsherren aufgrund dieser alten Rechte das Bekenntnis, die Ordnung von Gottesdienst und Gemeindeverwaltung selbst bestimmen könnten. Wenn der Landesherr dies verweigere, sei man aus Gewissensgründen zum Widerstand berechtigt oder gar verpflichtet.
Martin Luther hatte aufgrund der Erfahrungen mit dem Bauernkrieg ein gespaltenes Verhältnis zum Widerstand. Er lehrte, dass man in Glaubensfragen seinem Gewissen folgen sollte und dabei auch gegen den Willen der altkirchlichen Obrigkeit handeln könne. Der weltlichen Obrigkeit schulde der einfache Untertan aber unbedingt Gehorsam, die Legitimation widerständischen Handelns gegen diese aus dem Glauben heraus lehnte der Reformator ab. Andererseits sah er die Verantwortung für den wahren Glauben bei den Territorialherren und Landesfürsten. Diese Gewalten konnten und sollten nach Luther dem Kaiser und dem Papst um der evangelischen Lehre willen Widerstand leisten.
[Bearbeiten] Widerstandsrecht in der Theorie
Montesquieu formulierte das 1721 in den Persischen Briefen so: Wenn ein Fürst, weit davon entfernt, seine Untertanen glücklich leben zu lassen, sie unterdrücken und vernichten will, so endet die Grundlage des Gehorsams; nichts bindet sie mehr, nichts knüpft sie mehr an ihn; und sie kehren wieder in ihre natürliche Freiheit zurück. 1776 wird in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung die Loslösung von der britischen Krone mit dem Widerstandsrecht begründet.
[Bearbeiten] Widerstandsrecht in Deutschland
In Deutschland kennen einige Landesverfassungen das Widerstandsrecht, im Rahmen der Schaffung der Notstandsgesetze wurde es durch § 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I, S. 709) als Artikel 20 Absatz 4 in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland eingefügt. Diese Verfassungsnorm besagt:
- (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Mit diesem Recht soll verhindert werden, dass eine Machtübernahme durch nichtdemokratische Handlungen der Exekutiven oder Legislativen (insbesondere die Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls) das politische System in Deutschland ausgehebelt werden und es zu einer Diktatur kommen kann, ohne wirkliche Kontrolle der ausführenden Organe durch das Volk. Das Widerstandsrecht greift nur, wenn die in Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG niedergelegten Grundsätze, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die durch Art. 79 Abs. 3 GG der Verfassungsänderung entzogenen Grundsätze eindeutig angegriffen werden und alle anderen legalen Möglichkeiten ausgeschöpft sind (ultima ratio).
Das Widerstandsrecht liefert mithin einen Rechtfertigungsgrund, durch den tatbestandlich verwirklichte, an sich rechtswidrige Taten gerechtfertigt werden, so dass keine Bestrafung erfolgt. Ist der Widerstand jedoch nicht erfolgreich, werden sich die handelnden Personen indes wohl nicht mehr erfolgreich auf diese Regelung berufen können. Ist der Widerstand erfolgreich, so würden wahrscheinlich viele Widerständler sich gewehrt haben, ob nun ein Widerstandsrecht explizit garantiert oder im Rahmen eines Ausnahmezustandes nur ethisch gerechtfertigt gewesen wäre. Entsprechend ist die explizite Nennung des Widerstandsrechtes in einer Verfassung wie z.B. das Selbstbestimmungsrechtes hauptsächlich deklamatorisch. Dem Widerstandsrecht kommt aber zweifelos eine psychologische und im Nachhinein legitimierende Wirkung zu. Die große Masse der Opportunisten getraut sich eher, sich nicht alles von Umstürzlern bieten zu lassen, während der politisch und/oder ethisch überzeugte Widerständler seine Entscheidung zum Handeln aber kaum von dessen positivrechtlicher Geltung abhängig macht.
[Bearbeiten] Zitate
- "Aber ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein "Naturrecht" auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. Gesetz und Ordnung sind überall und immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie schützen; ... " (Herbert Marcuse, Repressive Toleranz, 1966)
[Bearbeiten] Siehe auch
- Putsch
- Revolution
- Tyrannenmord
- Übergesetzlicher Notstand
- Widerstand gegen die Staatsgewalt
- Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
[Bearbeiten] Literatur
- Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1999, Rn 757 ff. ISBN 3-8114-7499-5
- Klaus Peters: Widerstandsrecht und humanitäre Intervention, Köln, Berlin, München 2005, ISBN 3-452-26066-6
- Karl Friedrich Bertram: Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes , 1970, ISBN 3-428-01800-1
- Karl Friedrich Bertram: Widerstand und Revolution. Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen , 1964, ISBN 3-428-00109-5
[Bearbeiten] Weblinks
- Artikel 20 im Grundgesetz auf dem Webserver der Bundesregierung
- Artikel 20 im Grundgesetz auf dem Webserver der Bundeszentrale für politische Bildung
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