Blindgänger
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Als Blindgänger bezeichnet man Munition z. B. Patronen, Granaten oder Bomben, die nach ihrer Benutzung (Abschuss oder Abwurf) nicht explodiert sind. Ursache dafür kann technisches Versagen, aber auch Sabotage bei der Produktion sein.
In Deutschland stellen Blindgänger auch mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein ernstzunehmendes Problem dar. Vor allem in industriellen Ballungsräumen (Ruhrgebiet, Köln, Berlin), die primäres Ziel alliierter Luftangriffe waren, finden sich auch heute noch eine Vielzahl von Blindgängern im Erdreich. Häufig werden diese unabhängig von der gezielten Suche bei Baumaßnahmen entdeckt.
Hochrechnungen ergaben, dass ca. 5 % der von den alliierten Flugzeugen abgeworfenen Bomben Blindgänger waren.
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[Bearbeiten] Ursachen
Vor allem bei Fliegerbomben des zweiten Weltkrieges war die Blindgängerrate besonders hoch. Die zur damaligen Zeit verwendeten Aufschlagzünder wiesen zudem eine Zeitverzögerung auf, um zu erreichen, dass die Bombe nicht schon im Dachstuhl eines getroffenen Hauses explodiert, sondern erst in den unteren Geschossen. Somit waren die Zünder die anfälligsten Bauteile der Bomben. Sie mussten sich sichern lassen und durften auch im ungesicherten Zustand in Transportlage (meistens waagerecht) auf keinen Fall explodieren. Das Versagen dieser Zünder beim Aufschlag hat überwiegend folgende Ursachen:
- Detonation eines anderen Sprengkörpers in unmittelbarer Nähe. Durch die Wucht der Explosion geriet der Sprengkörper ins Taumeln und schlug nicht im vorgesehenen Aufschlagwinkel auf
- zu "weicher" Aufschlag z. B. bei einem Auftreffen auf schlammigen Untergrund oder Gebäude mit ungünstiger Deckenkonstruktion, bei welcher der Fallkörper zwar mit jedem Durchbruch gebremst wurde, die notwendige Verzögerung für die Zündung jedoch nie erreicht wird.
- 'Mauerschlag': Eine Bombe fällt nie genau senkrecht. Trifft sie in spitzem Winkel gegen eine Mauer, prallt sie ab und gerät dabei ebenfalls ins Taumeln.
- Technischer Fehler des Zünders
- Absicht: Mit dem Ziel, den Schrecken nach einem Bombardement aufrecht zu erhalten, wurden Zünder entwickelt, die nie bei einem Aufschlag hätten zünden können, sondern erst bei einem Ausbauversuch.
[Bearbeiten] Suche
Es wird nach Aufschlagtrichtern und nach Metallkörpern im Boden gesucht. Zur Suche nach Aufschlagtrichtern werden heute auch historische Luftbilder benutzt, die von Aufklärungsflugzeugen nach einer Bombardierung gemacht wurden, um den Erfolg der Aktion zu dokumentieren. Mit teilweise automatisierten Bildverarbeitungsprozessen kann so die Wahrscheinlichkeit von Blindgängern auf z. B. einem Baugrundstück ermittelt werden.
Im Gegensatz zur Minensuche, bei der kleine Metallteile (vorwiegend Buntmetall) mit Metalldetektoren aufgespürt werden, nutzt man bei der Suche nach Blindgängern die Tatsache, dass alle Bomben (Granaten etc.) zum effektiven Druckaufbau aus ferromagnetischem Stahl bestehen. Dieser ferromagnetische Stahl bewirkt eine Störung des sonst homogenen Erdmagnetfeldes an der Erdoberfläche, die sich mit Hilfe von Magnetometern nachweisen lässt. Am häufigsten werden diese Magnetometer in einer Gradiometeranordnung verwendet. Dabei werden zwei Sonden (Magnetometer) in einem Abstand von circa 0,5...2 m ("Basis") gegensinnig angeordnet, sodass sie in einem homogenen Feld beide die gleiche Induktion entgegengesetzter Polarität messen. Schaltet man diese beide Sonden in Reihe, so zeigt der effektive Messwert die Differenz (den „Gradienten“) des Magnetfeldes an. Auf diese Weise lassen sich Bomben (je nach Größe) in Tiefen bis zu 6 m orten (im Überlauf circa 10 nT Ausschlag).
Zum Vergleich: Metalldetektoren zur Minensuche sind auf die Detektion von minimalen Metallteilen optimiert und haben Detektionstiefen von maximal 50 cm. Vereinzelt werden allerdings Großschleifen eingesetzt, die eine größere Suchtiefe haben (circa 4 m).
Die Empfindlichkeit der beschriebenen Gradiometer variiert stark je nach Aufwand der Bauform. Entscheidend ist neben einer Mindest-Rauscharmut der verwendeten Sonden deren Parallelisierung. Da beide Sonden nicht perfekt parallel zueinander sind, ergibt eine Bewegung/Drehung im Erdmagnetfeld mit circa 50.000 nT leicht einen Ausschlag von mehreren Nanotesla. Qualitativ hochwertige Produkte garantieren eine Suchempfindlichkeit von wenigen Nanotesla. Dies ist mit einer aufwendigen mechanischen Parallelisierung der beiden Sonden verbunden, die von Zeit zu Zeit nachjustiert werden muss.
Eine Ausnahme bildet hier die „Spannbandsonde“ des Herstellers Foerster. Bei dieser Sonde werden die die Sondenkerne auf ein unter starker Spannung stehendes Spannband aufgebracht. Die so gefertigten Sonden sind wartungsfrei und mit hoher Präzision parallel (Änderung bei Drehung im Erdfeld < 1 nT).
[Bearbeiten] Beseitigung
Blindgänger stellen ein großes Gefährdungspotenzial dar. Kampfgebiete oder Truppenübungsplätze müssen aufwendig von solchen gefährlichen Überresten geräumt werden, und auch bombardierte Stadtgebiete sind noch lange nicht blindgängerfrei.
Die Kampfmittelräumung in Deutschland erfolgt heute weitgehend gewerblich. Zuständigkeiten und Durchführung sind dabei in den Bundesländern unterschiedlich in jeweils eigenen Verordnungen zur Kampfmittelbeseitigung geregelt.
Auf welche Art und Weise ein Blindgänger entschärft wird, hängt vom Fundort, dem Zustand des Sprengkörpers sowie der Bauart ab. So gibt es Sprengkörper amerikanischer Bauart, die bei Ausbleiben der Detonation nach dem Aufschlag sich selbst wieder sichern. Einige Typen britischer Bauart hingegen sind mit einem speziellen Ausbauschutz des Zünders versehen.
Nach dem Fund des Sprengkörpers wird daher zuerst das Herkunftsland und der genaue Typ ermittelt. Danach wird die Lage des Sprengkörpers begutachtet, um festzuestellen, ob eine Selbstzündung ausgeschlossen und der Zünder freigelegt werden kann, ohne die Lagestabilität des Sprengkörpers zu gefährden. Gelingt dies, wird im Folgenden z. B. mit Ultraschall der Zünder untersucht und klassifiziert z. B. in 'gesichert', 'ungesichert in Ausgangsstellung' oder 'unbekannter Zustand'.
[Bearbeiten] Beseitigung durch Entschärfung am Fundort
Sie ist möglich, wenn der Zünder in erkennbar gutem inneren Zustand ist und die Lage des Sprengkörpers eine Entfernung oder Sicherung des Zünders gefahrlos ermöglicht.
[Bearbeiten] Beseitigung durch Vernichtung am Fundort
Dieser Weg wird dann beschritten, wenn der Zustand des Zünder nicht erkennbar ist oder die Bauart einen gefahrlosen Ausbau nicht zulässt. Abhängig ist diese Art der Vernichtung auch von der Umgebung. So wurde bei einem Fund beim Bau des Münchner Stadions die Vor-Ort-Vernichtung der Entschärfung vorgezogen, da sich der Blindgänger auf nahezu freiem Feld - allerdings direkt neben der A 9 - befand. Da sich die Absperrräume bei einer Vernichtung nicht von denen einer Entschärfung unterscheiden, galt die Vernichtung als die gefahrlosere und schnellere Lösung.
Kleine Sprengkörper werden direkt durch Anbringen eine Ladung gezündet. Bei Bomben werden diese in der Regel zuvor entweder durch eine Robotersäge geteilt oder angebohrt, um mittels eines Lösungsmittels den größten Teil des Sprengstoffs (TNT) vorher zu entfernen. Gesprengt werden dann nur noch nicht mehr entfernbare Reste und der Zünder. Der Sprengkörper wird bei der Detonation mit Sand, steinfreiem Erdreich und Stroh abgedeckt, um die Wucht (Druckwelle) zu reduzieren, den Lärm zu dämmen und um den Streukreis der entstehenden Splitter zu begrenzen.
[Bearbeiten] Beseitigung durch Abtransport in scharfen Zustand
Dieser Weg wird nur dann gegangen, wenn das Risiko einer Entschärfung vor Ort höher einzustufen ist als das Transportrisiko und eine Sprengung vor Ort definitiv nicht möglich ist - z. B. in Stadtzentren. Hierbei werden je nach Sprengkörpertyp Maßnahmen ergriffen, um den Zünder von außen definitiv zu sichern. Eine der wirksamsten Maßnahmen ist das Unterkühlen mit flüssigem Stickstoff, das bei einigen Typen zu einem Verklemmen des Schlagbolzen und somit zu einer Sicherung führt. Transportiert wird der Sprengkörper entweder in Fundlage oder in Sicherungslage (Lage, in der ein Auslösen nicht möglich ist).
[Bearbeiten] Literatur
- OKW: Vorschrift H. Dv. 412, L. Dv. 764, M. Dv. Nr. 872 - Beseitigung von Blindgängern feindlicher Fliegerbomben - 1939