Gesellschaft für bedrohte Völker
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Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine internationale nichtstaatliche Organisation (NGO), die sich für religiöse, sprachliche und ethnische Minderheiten in aller Welt einsetzt.
Die ursprünglich rein deutsche Menschenrechtsorganisation ist mit Sektionen in Österreich, der Schweiz, Südtirol/Italien, Luxemburg, Bosnien-Herzegowina, Chile sowie im Irak vertreten und hat Repräsentanten in London und New York. Sie alle sind in der GfbV International mit Sitz in Luxemburg zusammengeschlossen.
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[Bearbeiten] Geschichte
Die GfbV ging im Jahre 1970 aus der Hamburger "Aktion Biafra-Hilfe" hervor, die im Juni 1968 während des Biafra-Krieges von Tilman Zülch und Klaus Guerke gegründet wurde, um die Weltöffentlichkeit auf die schrecklichen Geschehnisse in Biafra aufmerksam zu machen und dem dortigen Völkermord Einhalt zu gebieten. 1978 wurde die GfbV-Zentrale von Hamburg nach Göttingen verlegt. Bis heute ist Zülch Präsident der GfbV International und Generalsekretär der GfbV Deutschlands.
Seit 1993 hat die GfbV Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. (Die GfbV ist gleichzeitig Mitgliedsorganisation des "Komitees für eine demokratische UNO".)
Seit 2004 hat sie mitwirkenden Status beim Europarat.
Zu den prominenten Unterstützern der GfbV, die teilweise auch ihrem Beirat angehörten, zählten der Philosoph Ernst Bloch, der Zukunftsforscher Robert Jungk, der Theologe und Antifaschist Helmut Gollwitzer, der Schriftsteller Günter Grass, die Schriftstellerin Luise Rinser, der Schriftsteller Carl Amery sowie der Menschenrechtler Rupert Neudeck und der Politiker Freimut Duve.
[Bearbeiten] Organisation und Arbeitsgebiete
Die GfbV ist eine der größten Menschenrechtsorganisationen Europas (Stand Mitte 2006). In Deutschland (wo die GfbV mit Abstand am meisten Mitglieder hat) verfügt sie im April 2006 über mehr als 6.000 Mitglieder und mehr als 25.000 Förderer. Die Aktivitäten der deutschen Organisation werden im wesentlichen aus dem Bundesbüro in Göttingen koordiniert. Regionalgruppen in einigen deutschen Städten (darunter Berlin, Hamburg, München, Münster, Nürnberg) unterstützen die Arbeit. Die GfbV veröffentlicht Presseerklärungen, organisiert publikumswirksame Demonstrationen und Kundgebungen, führt Postkarten-Kampagnen durch u. a.
Ein Schwerpunkt der Menschenrechtsarbeit liegt seit der Gründung der Menschenrechtsorganisation auf dem afrikanischen Kontinent, auf dem die GfbV allerdings durch keine Sektion vertreten ist. Seit den Jugoslawien-Kriegen ist die GfbV in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo überproportional aktiv. Im Kosovo bezahlt sie ein Team, das sich dort unter der Leitung des Menschenrechtlers Paul Polansky für die Belange der Minderheit der Roma einsetzt (Stand 2006). In Bosnien und Herzegowina werden insbesondere die Überlebenden des Massakers von Srebrenica unterstützt. Einen weiteren praktischen Schwerpunkt bilden (allgemein) indigene Völker. So organisierte die GfbV 1977/78 die erste große Europarundreise indianischer Delegierter aus 16 amerikanischen Staaten. Im nahen Osten spielen für die GfbV insbesondere die Kurden eine wichtige Rolle; diese drückt sich in der 2006 gegründeten GfbV-Sektion im kurdischen (nördlichen) Teil des Irak aus. Israel und der Konflikt mit den Palästinensern erscheinen in den Aktivitäten der GfbV - gemessen an dem in der deutschen Öffentlichkeit üblichen - unterrepräsentiert.
[Bearbeiten] Politische Ziele und Strategien
Die GfbV stellt den Kampf gegen Völkermord, Vertreibung, Rassismus und alle Arten der Unterdrückung von Minderheiten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Ihr Thema sind also neben kulturellen und religiösen Gruppierungen (z. B. Falun Gong in China, christliche Minoritäten im Iran) im engeren Sinne Völker wie das der Roma oder das der Tschetschenen.
Die GfbV ist immer wieder dafür eingetreten, dass die Vertreibung von Menschen auch dann als Unrecht verurteilt wird, wenn die Opfer dem Volk angehören, von dem ein Krieg oder ein anderer schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang ist die GfbV für ein Zentrum gegen Vertreibungen eingetreten und hat sich damit dieselbe Kritik zugezogen wie das Projekt eines solchen Zentrums selbst.
Im Unterschied zu anderen Menschenrechtsorganisationen hat die GfbV in besonderen Situationen militärische Interventionen und Eingriffe unterstützt. Viel Kritik hat ihr etwa das Eintreten für das Eingreifen der NATO im Kosovo-Krieg 1999 eingebracht. 2006 hat sie den Schutz der Wahlen im Kongo durch die deutsche Bundeswehr gefordert.
[Bearbeiten] Zitate
„Der Menschenrechtsfrage gebührt der Rang einer hohen politischen Aufgabe. Gelegentliche Proteste gegen Unrechtssysteme reichen nicht aus. Es ist beispielsweise von großer Bedeutung, daß Organisationen wie ‘Amnesty International’ oder die ‘Gesellschaft für bedrohte Völker’ Gehör finden; daß sich engagierte Mitbürger für dieses und ähnliche Bemühungen öffentlich einsetzen, ohne Furcht vor Einschüchterung oder Nachteilen – auch bei uns in der Bundesrepublik.“
„Die Gesellschaft für bedrohte Völker macht nicht nur darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, die Rechte aller Menschen zu respektieren, sondern sie gibt den Opfern von Menschenrechtsverletzungen auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“
„Die weltweite unermüdliche Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Verwirklichung der Menschenrechte, besonders für gefährdete und verfolgte ethnische und kulturelle Minderheiten, ist unschätzbar wichtig. Gerade die von der Gesellschaft vorgenommenen eigenen Recherchen und Zusammenstellung von Materialien über die Lebenslage dieser Gruppen habe immer wieder dazu beigetragen, daß politisch Verantwortliche und die Öffentlichkeit informiert werden konnten.“
„Ihr Engagement zugunsten der Opfer von Konflikten und Verfolgung auf allen Kontinenten wird durch eine Reihe von Publikationen eindrucksvoll belegt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat einen zentralen Platz unter den deutschen Menschenrechtsorganisationen gefunden. Ihre Aufrufe und Mahnungen mögen oftmals unbequem sein, sind aber unverzichtbar, wenn es um den Schutz und sogar häufig das Überleben von Völkern und Volksgruppen geht, die keinen anderen Fürsprecher finden.“
„Erst in unserem Jahrhundert wurden Vertreibungen zu einer Normalität bewaffneter Konflikte und zum beliebten Mittel, um "Minderheitenprobleme zu lösen". Ihre Konjunktur ist eng mit der Karriere verknüpft, die die Idee des homogenen Nationalstaates vor allem in Europa gemacht hat.(...) In der Weltgeschichte ist die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa 1945 bis 1948 der schwerste Fall. Mehr als 12 Millionen Menschen verloren damals ihre Heimat, bis zu drei Millionen ihr Leben. Sie war keine spontane Rache der Völker, die während des Weltkrieges unter den Gräueln der nationalsozialistischen Besatzer gelitten hatten, sondern geplant und von oben befohlen. Die Verbrechen, mit denen sich die Rote Armee sowie polnische, tschechische und jugoslawische Milizen besudelten, reichen von schweren Misshandlungen, über Massenvergewaltigungen, -exekutionen, und -verschleppungen zu Zwangsarbeit bis hin zum Betreiben von Konzentrationslagern und zur Beschießung von Flüchtlingstrecks. “
– Andreas Selmeci
[Bearbeiten] Weblinks
- Website der GfbV Deutschland und International
- Bedrohte Völker-Pogrom - Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker
- "Neurechts bis völkisch? Wo steht die GfbV?" Verteidigung der politischen Stellung der GfbV durch ihren Gründer und deutschen Generalsekretär
- "Die Gesellschaft für bedrohte Völker kämpft - gegen alle, aber wofür?" Kritik an der GfbV (April 2001)
- "Deutsche Opfer. Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt auf völkische Ideologie" Kritik an der GfbV (Blätter des Iz3w, Nr. 274 - Januar 2004)