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Historische Aufführungspraxis - Wikipedia

Historische Aufführungspraxis

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Folgendes muss noch verbessert werden: Der Artikel muß unbedingt überarbeitet werden. Es finden sich hier zu viele sachliche Fehler und Bauernweisheiten --Stawiarski 06:27, 13. Nov. 2006 (CET)


Historische Aufführungspraxis, auch „historisch informierte Aufführungspraxis“, nennt man die Bemühung, die vor etwa 1850 entstandene, sogenannte Alte Musik in einer Interpretation wiederzugeben, die dem vermutlichen "Originalklang" ihrer Entstehungszeit nahekommt. Unter Aufführungspraktikern wird für diese Art der Interpretation auch die Abkürzung „HIP“ verwendet (von engl. "historically informed performance (practice)").

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Aspekte der Historischen Aufführungspraxis

[Bearbeiten] Instrumentarium

Vielfach wurden früher Instrumente verwendet, die im Laufe der Musikgeschichte aus der Mode kamen(z. B. Gamben, Zinken, Krummhörner). Will man heute Musik auf diesen Instrumenten aufführen, müssen die wenigen vorhandenen und meist nicht mehr spielbaren Originale zunächst von Instrumentenbauern kopiert werden. Außerdem erfordert das Erlernen der jeweils erforderlichen Spieltechniken ein besonderes Quellenstudium, da die Kontinuität der Lehrtradition unterbrochen ist.

Die nicht in Vergessenheit geratenen Instrumente wurden im Laufe der Zeit technisch weiterentwickelt. Beispielsweise hatten barocke Streichinstrumente andere Abmessungen als ihre modernen Verwandten und ihre Saiten bestanden aus Tierdarm anstatt aus Metall oder Kunststoff. Sie wurden mit Bögen gespielt, die anders als heutige geformt waren (gestreckt bis konvex statt konkav), was sich insgesamt auf die erforderliche Spielweise auswirkt und somit auch auf den Klang. Ein anderes Beispiel ist das Horn, das vor etwa 1840 noch ohne Ventile ausgestattet war und dadurch nur über begrenzte Möglichkeiten verfügte, chromatische Tonfolgen hervorzubringen. Die andere Bauweise sowie die speziellen Spieltechniken des Naturhorns bedingen wiederum einen eigenen Klang, der sich von dem eines modernen Ventilhorns unterscheidet. Schon bei der Wahl des Instrumentariums stellt sich daher heute die Frage, inwieweit originale Instrumente ("period instruments") bzw. deren Kopien verwendet werden sollen und können, oder ob eine Annäherung an ein vermutlich historisches Klangbild auch auf modernen Instrumenten möglich ist.

[Bearbeiten] Stimmton

Vor der ersten internationalen Stimmtonkonferenz in Paris im Jahr 1858 war die Frequenz des Kammertons a1 nicht einheitlich festgelegt. Instrumentenfunde belegen jedoch, dass im 18. Jahrhundert überwiegend mit einem tieferen Kammerton musiziert wurde. Neben dem Kammerton für eher weltliche Instrumentalmusik gab es für die Stimmung von Orgeln und damit für geistliche Vokalmusik außerdem den sogenannten Chorton, der etwa einen Ganzton über dem jeweiligen Kammerton lag.

In Kreisen der historischen Aufführungspraxis besteht heute eine pragmatische Übereinkunft darin, barocke Musik zwischen etwa 1600 und 1750 mit einem einheitlichen Kammerton von a1=415 Hz zu musizieren. So können spezialisierte Instrumentalisten international agieren und Instrumentenbauer ihre Kopien historischer Originalinstrumente auf einem globalen Markt absetzen. Für Musik zwischen etwa 1750 und 1850 wählt man dagegen einen höheren Stimmton von ca. a1=430 Hz.

[Bearbeiten] Stimmungssysteme

Vor der allgemeinen Verbreitung der gleichstufigen Stimmung verwendete man verschiedene Stimmsysteme, wodurch verschiedenen Tonarten auch ein unterschiedlicher Charakter innewohnte. Im Bereich der historischen Aufführungspraxis greift man heute wieder auf ungleichstufige Stimmungen zurück, um die Tonartencharakteristik älterer Musik hörbar zu machen.

[Bearbeiten] Spielweisen und Verhältnis zur Notation

Musikern war es früher weit mehr erlaubt, dem Notentext eigene Verzierungen und Improvisationen hinzuzufügen. Darüberhinaus wurde von den Komponisten generell nicht so akribisch notiert wie in späteren Zeiten. Es konnte beispielsweise vorausgesetzt werden, dass ausübende Musiker wussten, wie ein Tempowechsel auszuführen war. Der Freiraum für die Verantwortung des Interpreten drückte sich auch in der Generalbass-Technik aus.

[Bearbeiten] Tempi

Aus der Zeit des Barocks sind zum Teil sehr exakte Tempoangaben überliefert. L'Affilard (1705) und Choquel (1762) geben ihre Tempi mit Hilfe eines Fadenpendels an. Quantz bestimmt die Tempi durch den Pulsschlag.

[Bearbeiten] Ensemble-Größen

Das spätere, quasi „standardisierte“ Orchester gab es noch nicht. Die Aufführungsapparate waren im allgemeinen deutlich kleiner, und ihre Besetzung variierte von Werk zu Werk wie auch von Aufführung zu Aufführung.

Insbesondere die Größe der Chöre entsprach nicht heutigen Gepflogenheiten. Es wird heute vermutet, dass Werke, die man heute der Chormusik zurechnet, in Renaissance und Barock oft oder sogar meistens solistisch aufgeführt wurden, höchstens aber mit nur wenigen Singenden pro Stimme.

[Bearbeiten] Gesangsstimmen

Probleme für die heutige Musikpraxis bereitet der frühere intensive Gebrauch von Knabenstimmen (heutzutage setzt der Stimmbruch früher ein) oder gar Kastraten. Daher müssen auch Kompromisse eingegangen und stattdessen Frauenstimmen oder Countertenöre eingesetzt werden. Ferner sind erwachsene Sänger heutzutage im Durchschnitt körperlich deutlich größer, was ebenfalls Auswirkungen auf Klang und Tonhöhe hat. Insgesamt vermutet man, dass die Stimmen früher „kleiner“ waren und mit weniger Vibrato benutzt wurden.

[Bearbeiten] Räumlichkeiten

Zur historisch informierten Aufführungspraxis gehört auch die Wahl geeigneter Aufführungsorte. Oft merkt man alten Musikwerken an, ob sie für einen kleinen und akustisch „trockenen“ oder aber einen großen, hallenden Raum geschrieben wurden. Sehr bedeutend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass viele Kompositionen ausdrücklich die Ausdehnung des Raums einbeziehen, so z. B. in der Venezianischen Mehrchörigkeit.

[Bearbeiten] Disposition der Mitwirkenden im Raum

Bildliche Darstellungen, Aufstellungsskizzen und schriftliche Quellen informieren uns über die räumliche Aufstellung der Mitwirkenden. Die heute gängige Praxis, den Chor hinter das Orchester zu stellen ist zwar auch dokumentiert, scheint aber eher die Ausnahme gewesen zu sein (Johann Mattheson: „Die Sänger müssen allenthalben voranstehen“ [1]).

Uns begegnen folgende Grundaufstellungen:

  • Kreis oder lockerer Haufen (Renaissance und Frühbarock)
  • Vokalisten vorne und Instrumentalisten hinten (diese Aufstellung ist bis weit in das 19. Jahrhundert dokumentiert).
  • Vokalisten und Instrumente gruppenweise nebeneinander auf der Empore

[Bearbeiten] Entwicklung

[Bearbeiten] Geschichte

Ein wichtiger Meilenstein zur Wiederentdeckung Alter Musik war die Wiederaufführung von Bachs Matthäus-Passion 1829 durch Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Werk wurde dabei allerdings weitreichenden Bearbeitungen (Instrumentierung, Kürzungen) unterzogen, da es in seiner Urgestalt als nicht zumutbar empfunden wurde. Zudem wurden einfach die aktuell üblichen Instrumente, Spieltechniken und Orchestergrößen eingesetzt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann eine allmähliche Besinnung auf werkgetreuere Aufführungstechniken zunächst bei der Barockmusik unter Zuhilfenahme von original erhaltenen Instrumenten bzw. exakten Nachbauten.

Ein anfangs belächelter Pionier war der in England ansässige Musiker und Instrumentenbauer Arnold Dolmetsch (1858-1940); ebenfalls von Bedeutung war Alfred Deller, der die Countertenor-Gesangstechnik wiederbelebte.

In Frankreich waren Henri Casadesus (Viola d'amore) und Eduard Nanny (Kontrabass) Mitbegründer der „Société de concerts des instruments anciens“ (Konzertgesellschaft für historische Instrumente), die unter der Präsidentschaft des Komponisten Camille Saint-Saëns stand. Ziel der Gesellschaft war die Wiederbelebung der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts auf Originalinstrumenten. Ausgehend von dieser Gruppe, alles Preisträger des Pariser Konservatoriums, begann eine intensive Erforschung der Barockmusik.

In Deutschland beschäftigte sich der Cellist Christian Döbereiner (1874-1961) mit der Gambe und gründete um 1905 die „Vereinigung für Alte Musik“. Die so genannte Gambenbewegung der 1920er-Jahre war ähnlich der Wandervogel-Bewegung eine Form des Protestes gegen das (in diesem Fall künstlerische) Establishment. Ab 1927 musizierte der aus Basel stammende August Wenzinger unter Förderung des Amateurgeigers und Industriellen Hans Hoesch aus Hagen mit anderen interessierten Musikern in der „Kabeler Kammermusik“ zum Teil auf Originalinstrumenten. Ein Meilenstein dieser Arbeit war der 18. September 1954, als das im Mai 1954 gegründete erste Orchester mit Originalinstrumenten „Cappella Coloniensis“ [1] unter der Leitung von Wenzinger und Karl Richter mit einem Bach-Programm im Funkhaus des damaligen NWDR auftrat. Weitere Impulse gab die aus Polen stammende Pianistin Wanda Landowska, die sich für die Wiederbenutzung des Cembalos, allerdings nicht in seiner historischen Form, sondern in Form der damals verwendeten Neukonstruktionen mit Stahlrahmen einsetzte. Für die Wiederverwendung von Tasteninstrumenten nach historischen Baumustern waren insbesondere Ralph Kirkpatrick und Fritz Neumeyer von Bedeutung.

Durch die Initiative des Komponisten Paul Hindemith fand eine der ersten öffentlichen Aufführungen der Solo-Sonaten und -Partiten von Johann Sebastian Bach in Österreich durch den Geiger Eduard Melkus zu Beginn der 1950er Jahre statt. Melkus gehörte zu dem engen Kreis von Musikern um den Cellisten und späteren Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und seiner Frau Alice Harnoncourt, der sich ab 1948 als Gegenpol zur modernen Orchesterarbeit intensiv der Alten Musik widmete. Aus dieser Gruppe bildete sich nach und nach der Concentus Musicus Wien, der 1957 erstmals öffentlich auftrat. Die Bach-Interpretationen des Ensembles wurden zu Meilensteinen in der Historisch informierten Aufführungspraxis

Auflistung einiger Interpreten siehe: Liste von Barockinterpreten und Ensembles

[Bearbeiten] Kritik

In ihren Anfängen wurde der historisch informierten Aufführungspraxis auch kritisch-ablehnend begegnet. Der Gegensatz zu etablierten Hörgewohnheiten führte dazu, dass von vielen die schwierig zu spielenden historischen Instrumente mit ihren alten Stimmungssystemen als verstimmt, die ungewohnten Besetzungsstärken als mangelhaft balanciert, und die erzielten Klangbilder allgemein als schroff und unemotional empfunden wurden. Polemische Gegner sprachen den Interpreten gar jegliche Musikalität und künstlerische Eigenständigkeit ab. Diese Debatte ist heute beendet; nur noch sehr wenige Interpreten ignorieren die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis für ihr eigenes Musizieren.

Aktuelle fundierte Kritik der historisch informierten Aufführungspraxis formulierte der Musikwissenschaftler Richard Taruskin. Danach darf die Annäherung an historische Klangbilder nicht zum musealen Selbstzweck verkommen, denn sowohl Interpreten als auch Zuhörer sind Menschen von heute, die Alte Musik für sich, in ihren heutigen Lebenszusammenhängen entdecken, bewerten und einordnen müssen. Es genügt daher nicht, einfach den Stil anderer HIP-Interpreten zu kopieren, da nur eine neue, dogmatische Aufführungstradition entstehen würde. Bei aller musikhistorischen Korrektheit muss eine lebendige Auseinandersetzung sichergestellt sein.

[Bearbeiten] Kompromisse

Heutige Interpreten werden die Erkenntnisse der Historischen Aufführungspraxis stets nur zum Teil umsetzen können, während in etlichen der oben genannten Punkte Kompromisse eingegangen werden müssen. So wird beispielsweise selbst von bekannten Ensembles aus dem HIP-Bereich nur selten die historische Aufstellung des Chores vor dem Orchester praktiziert. Doch selbst unter ungünstigen Bedingungen (z. B. wenn gar keine historischen Instrumente zur Verfügung stehen oder ein großer Laienchor eingesetzt werden muss) lassen sich immer noch etliche Teilaspekte umsetzen.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Quellen zur Aufführungspraxis

[Bearbeiten] Deutschland

[Bearbeiten] Frankreich

  • Michel Corrette, Le Maître de clavecin pour l’accompagnement, Paris 1753/1775; Faksimile Genf 1976 ISBN 2-8266-0606-9
  • Michel Corrette, Le Parfait maître à chanter, Paris 1758; Faksimile Genf 1999 ISBN 2-8266-0480-0
  • François Couperin, L´art de toucher le clavecin, Paris 1717; Faksimile Genf 1986 ISBN 2-8266-0896-7
  • Michel L'Affilard: Principes trés faciles pour bien apprendre la musique; Paris 1694
  • Henry Louis Choquel: La musique rendue sensible par la méchanique, ou nouveau système por apprendre facilement la Musique soi-meme; Paris 1759.

[Bearbeiten] Italien

[Bearbeiten] Spanien

  • Tomás de Santa Maria, Libro llamado Arte de tañer Fantasia, Valladolid 1565; Faksimile Genf 1973 ISBN 2-8266-0421-X
  • Gaspar Sanz, Instruccion de musica sobre la guitarra espanola, Zaragoza 1697; Faksimile Genf 1976 ISBN 2-8266-0628-X

[Bearbeiten] Sekundärliteratur

  • David Dodge Boyden: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761. Schott's Söhne, Mainz 1971
  • Carl Dahlhaus / Hermann Danuser (Hrsg.): Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Laaber-Verlag, Laaber 1981-1995. Daraus:
Bd. 3 - Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts. ISBN 3-89007-033-7 / ISBN 3-89007-043-4
Bd. 4 - Werner Braun (Hrsg.): Die Musik des 17. Jahrhunderts. ISBN 3-89007-034-5
Bd. 11 - Hermann Danuser (Hrsg.): Musikalische Interpretation. ISBN 3-89007-041-8
  • Hans Gebhard: Praktische Anleitung für die Aufführung der Vokalmusik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Edition Peters, Frankfurt/ Leipzig 1998, ISBN 3-87626-170-8
  • Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. Residenz, St. Pölten 2004 ISBN 3-7017-1379-0
  • Hartmut Krones / Robert Schollum: Vokale und allgemeine Aufführungspraxis. Böhlau, Wien 1983 ISBN 3-205-08371-7
  • Bernhard Morbach: Die Musikwelt des Mittelalters. Bärenreiter, Kassel 2005, ISBN 3-7618-1529-8
  • Bernhard Morbach: Die Musikwelt der Renaissance. Bärenreiter, Kassel 2006, ISBN 3-7618-1715-0
  • Peter Reidemeister: Historische Aufführungspraxis. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996 ISBN 3-534-01797-8
  • Siegfried Schmalzriedt: Aspekte der Musik des Barock. Aufführungspraxis und Stil. Laaber-Verlag, Laaber 2006 ISBN 3-89007-649-1

[Bearbeiten] zitierte Quellen

  1. Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister. Hamburg 1739, S. 484; Faksimile Kassel 1991, ISBN 3-7618-0100-9
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