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Konsensdemokratie - Wikipedia

Konsensdemokratie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Konsensdemokratie bezeichnet eine Form der Demokratie in der anstelle der Machtausübung durch die Mehrheit der Dialog und Konsens zwischen Allen angestrebt wird. In der definitiven Übereinkunft bleibt somit niemand ausgeschlossen; statt des Kampfes zwischen verschiedenen Parteien oder der Vorherrschaft einer einzigen Gruppe findet der vernünftige Dialog zwischen allen Mitgliedern der Gemeinschaft statt.

Formen von Konsensdemokratie finden und fanden sich vor allem bei indigenen Völkern; sie sind typisch für segmentäre Gesellschaften (siehe auch Matriarchat).

Carlos Lenkersdorf, ein Ethnolinguist, beschreibt die Versammlungspraxis in einer tojolabalen Kommunität (einem von den Maya abstammenden Volk) folgendermaßen: "In der Versammlung ergreifen alle das Wort und diskutieren; am Ende der Diskussion interpretiert und resümiert ein Älterer die Entscheidung, zu der man gelangt ist. Er verkündet: 'wir denken und sagen..." Das heißt, schreibt Lenkersdorf, "aufgrund der Tatsache, daß er sich schon ein Herz gefaßt hat, gelingt es ihm, unser gemeinschaftliches Denken zu erfassen, und er verkündet es. Man ist zu einem Konsens gekommen, der sich im Wort 'wir' ausdrückt. Diese Art von Versammlung zeigt uns die verwirklichte Intersubjektivität. Es ist eine Gemeinschaft, die dank der Teilnahme aller und eines jeden lebt."

Vorteile der Konsensdemokratie Nachteile der Konsensdemokratie
  • Kontinuität der Politik
  • Einbindung von Minderheiten
  • Einbindung und Mitspracherecht aller Interessierten
  • modellhafter Charakter für Gesellschaften mit heterogener politischer Kultur.
  • Rasche Entscheidungen, welche unter besonderen Umständen (z.B. Krieg, Naturkatastrophen) notwendig werden können, könnten verzögert werden
  • Eventuell zu weit gehende Berücksichtigung der Interessen von Minderheiten
  • Mitspracherecht für alle Interessierten - unabhängig von Erfahrungs- und Wissenshintergrund -, was entweder die Qualität von Entscheidungen verschlechtert oder Entscheidungen durch notwendige Ad-hoc-Fortbildung verzögert
  • Möglicherweise hoher Zeitaufwand und persönliche Unzufriedenheit über fehlende Fortschritte zum Handlungsziel, welche u.U. zur Abwanderung einiger Mitdenker führen ("Braindrain")
  • anfangs aufwändige Beschäftigung mit Verfahrensfragen
  • nicht völlig immun gegen Entstehung/Verfilzung einer „politischen Klasse“ beziehungsweise eines Elitenkartells.

Das Gleichgewicht in Konsensdemokratieen wird durch das politische Mittel der Konsensbildung ständig erneuert. Dabei werden alle Entscheidungen von allen in Einigungsprozessen getroffen, die zu Einstimmigkeit führen, sowohl auf der Ebene der beiden Geschlechter und des ganzen Clans, wie auch auf der Ebene des Dorfes und des Stammes. Die strukturelle Gliederung von Stammesgesellschaften durch Verwandtschaftsgruppen, die vergleichbar den Segmenten einer Zitrusfrucht kompakte und homogen unterteilte gesellschaftliche Teile bilden, können Kraft ihrer Stabilität und Flexibilität trotz des Fehlens von Zentralinstanzen funktionsfähige Großgebilde tragen. So umfassen beispielsweise die nilotischen Nuer etwa 300.000, die westafrikanischen Tiv sogar 700.000 Menschen.

In der kleinsten Einheit, dem Sippenhaus, bilden Frauen und Männer einen Rat, von dem kein Mitglied ausgeschlossen ist. Jede Entscheidung wird nach eingehender Diskussion per Konsens (Übereinstimmung) getroffen. Nun treffen sich Delegierte aus jedem Sippenhaus für den Dorfrat, um die Entscheidungen aus den Sippenhäusern auf Dorfebene zu diskutieren, wobei wiederum Konsens gefunden wird. So geht es weiter zur Stammesebene, die Delegierte der ganzen Nation umfasst.

Es ist hervorzuheben, dass die jeweiligen Delegierten keine Entscheidungsträger sind, sondern dass jede Handlung auf regionaler oder nationaler Ebene von jedem Sippenhaus mitgetragen werden muss. Eine politische Machtanhäufung wird so vermieden. Kenneth Kaunda, der (demokratisch) abgesetzte Staatspräsident Sambias, sagte: "In unseren ursprünglichen Gesellschaften handelten wir nach dem Konsensprinzip. Eine Sache wurde in ernsthaftem Beisammensein so lange durchgesprochen, bis eine Einigung erzielt werden konnte."

Das Streben nach Konsensus, also über das Prinzip der Mehrheitsentscheidung hinauszugehen, ist eine bewusste Anstrengung segmentärer Gesellschaften. Es ist einfacher, eine mehrheitliche Übereinstimmung herzustellen als einen Konsensus zu erreichen. Diese Tatsache ist den Beteiligten bewusst, aber sie verwerfen den Weg des geringsten Widerstands aus folgendem Grund: Für sie ist die Meinung der Mehrheit an sich keine ausreichende Basis zur Entscheidungsfindung, weil dabei der Minderheit das Recht darauf vorenthalten wird, dass sich in der gegebenen Entscheidung auch ihr Wille widerspiegelt.

Oder um es mit den Begriffen des Konzepts der Repräsentation auszudrücken: es entzieht der Minderheit das Recht auf Repräsentation in der fraglichen Entscheidung (vgl. Kwasi Wiredu, Ein Plädoyer für parteilose Politik). Repräsentiert zu sein gilt in Konsensdemokratien als menschliches Grundrecht. Jeder Mensch hat also das Recht, nicht nur im Rat repräsentiert zu werden, sondern auch im Prozess des Beratschlagens selbst in Bezug auf jede Sache, die für seine Interessen oder die seiner Gruppe relevant ist. Aus diesem Grund ist das Konsensprinzip so wichtig. Als pragmatischer Grund wird angeführt, dass wiederholtes Nicht-repräsentiert-sein zu Unzufriedenheit führt und damit die Balance der Gemeinschaft gefährdet.

[Bearbeiten] Siehe auch

Deliberative Demokratie, Kommune (Lebensgemeinschaft), Konkordanzdemokratie, Konsensprinzip, Partizipatorische Demokratie

[Bearbeiten] Literatur

  • Carlos Lenkersdorf: Los hombres verdaderos. Voces y testimonios tojolabales. México: Siglo XXI, 1997, 80.
  • Stephan Eisel, Minimalkonsens und freiheitliche Demokratie: eine Studie zur Akzeptanz der Grundlagen demokratischer Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn 1986.

[Bearbeiten] Weblinks

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