Kriminelle Vereinigung
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Unter einer kriminellen Vereinigung versteht man einen Personenzusammenschluss von gewisser Dauer, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen. Der Tatbestand findet sich im deutschen Recht im Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und soll vor allem so genannte Organisationsdelikte unter Strafe stellen, also die so genannte Bandenkriminalität und den Terrorismus.
Im deutschen Strafrecht ist die Bildung und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in § 129 StGB unter Strafe gestellt. Im österreichischen Strafrecht ist die kriminelle Vereinigung in § 287 österreichisches StGB geregelt. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung gehört zu den opferlosen Straftaten.
Der nachfolgende Artikel behandelt in erster Linie die Geschichte und Regelung des deutschen Strafrechts.
[Bearbeiten] Geschichte und Bedeutung
Eine dem § 129 StGB entsprechende Regelung fand sich schon im allgemeinen preußischen Landrecht von 1794 unter dem Titel „vom Staatsverbrechen überhaupt und vom Hochverrat“. Bereits damals wurde die entsprechend Regelung hauptsächlich dafür verwendet, um politisch anders Denkende zu verfolgen.
1871 fand die Verfolgung einer kriminellen Vereinigung im § 129 StGB ihren Niederschlag. Bald darauf wurde der Straftatbestand eingesetzt, um Sozialisten und Sozialdemokraten zu verfolgen. Im Nationalsozialismus erreichte die Verfolgung unter dem Vorwand, eine kriminelle Vereinigung zu bekämpfen, ihren Höhepunkt. Praktisch jeder Andersdenkende, der sich mit anderen zusammen tat, wurde mit der Begründung, er plane die Bildung einer terroristischen Vereinigung, kriminalisiert.
Der Straftatbestand wurde im Laufe seiner Geschichte mehrfach erweitert. Ursprünglich stand nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe, später wurden noch die Unterstützung und 1964 die Werbung für eine kriminelle Vereinigung unter Strafe gestellt.
Betroffenen von Ermittlungsverfahren und Verurteilungen und waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik vor allem Gegner der Wiederaufrüstung und Kommunisten. In der Zeit von 1950 bis 1968 gab es über 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 10.000 Verurteilungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.
In den siebziger Jahren wurde der Straftatbestand gegen die Mitglieder der RAF angewandt. Um die zum Teil uferlose Anwendung des § 129 StGB einzuschränken und um zwischen Vereinigungen mit kriminellen Hintergrund und solchen mit politischen terroristischen Motiven zu differenzieren, wurde 1976 § 129 a StGB eingeführt. In ihm wird die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung unter Strafe gestellt. Eine genaue Unterscheidung ist jedoch bisher nicht recht gelungen.
Durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (Bundesgesetzblatt I S. 3390) ist der Anwendungsbereich nochmals erweitert worden. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung nach dem „11. September“ wurde durch den neu geschaffenen § 129 b StGB die Unterstützung auch ausländischer krimineller und terroristischer Vereinigungen unter Strafe gestellt.
Heute ist die Bedeutung des § 129 StGB im Vergleich zu früher gesunken. Insbesondere die Zahl der Verurteilungen ist rückläufig. In etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wird Anklage erhoben, etwa ein Prozent führt zur Verurteilung. Aus diesem Grund wird der § 129 StGB auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da die allermeisten Verfahren ohne Rechtfertigung eine staatliche Überwachung im Milieu der fast beliebig auswählbaren Betroffenen legalisieren, ohne dass diese sich (schon Mangels Kenntnis des Verfahrens) dagegen wehren können. Ein geringfügiger Anfangsverdacht ist ausreichend, um weitreichende Ermittlungsbefugnisse zu erhalten. Häufig führen die Ermittlungen zu so genannten „Zufallsfunden“.
[Bearbeiten] Kritik an der Regelung
In die Kritik geraten ist § 129 StGB insbesondere wegen der Weite des Tatbestandes. Nahezu jede Tätigkeit, die eine kriminelle Vereinigung in irgendeiner Weise unterstützt, ist unter Strafe gestellt. Dabei musste die Vereinigung weder existieren noch jemals aktiv geworden sein. Auch was als kriminell, beziehungsweise terroristisch im Sinne der §§ 129, 129 a StGB angesehen wird, ist nicht klar definiert und hängt, wie die Geschichte zeigt, häufig von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Wegen der Konturenlosigkeit des Tatbestandes ist es unter Strafjuristen ein gängiger Witz, von Zusamentreffen eines Steuerberaters mit einem GmbH-Geschäftsführer und einem Rechtsanwalt abzuraten, da allein ein solches Treffen schon den Anfangsverdacht der Bildung eines Vereinigungsdelikts nach § 129 StGB beinhalte, was zu erheblichen Folgen bei den am Treffen Beteiligten führen könne:
In der Tat werden durch den Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 129, 129 a StGB die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) im Ermittlungsverfahren stark ausgeweitet. Häufig wird der Verdacht einer Kriminellen Vereinigung dazu benutzt, umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Ergebnis dieser Ermittlungen sind häufig aber nur Anklagen wegen „normaler“ Delikte durch die bei den Ermittlungen gewonnenen Zufallsfunde. § 129(2)1 StGB nimmt explizit politische Parteien davon aus, solange sie nicht für verfassungswidrig befunden wurden. Die bloße Gründung einer politischen Partei müsste demnach immer den Anfangsverdacht des § 129 StGB erfüllen. Hier werden der Kritik zufolge Grenzen der Wehrhaftigkeit einer freiheitlich orientierten Demokratie erreicht, die ständiger Auslotung bedürfen, insbesondere wenn die Wehrhaftigkeit sich totalitärer Mittel bedient (siehe auch die Diskussion um die Tätigkeiten ausländischer Geheimdienste in Europa und die juristische Behandlung dieser Tatbestände).
Der § 129 StGB zählt zu den Katalogstraftaten im Ausländergesetz, Asylverfahrensgesetz, Vereinsgesetz, Betäubungsmittelgesetz und Waffengesetz. Zu den Sonderbefugnissen, die der Anfangsverdacht bei §§ 129, 129 a StGB eröffnet, gehören insbesondere die Postkontrolle und Telefonüberwachung (§ 100a StPO), langfristige Observationen (§§ 100c StPO Abs. 1 a b und 163f StPO), der systematische Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern (§ 110a StPO bzw. § 110c StPO), die Rasterfahndung, des Weiteren die 1994 eingeführte und 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung (§ 129 Abs. 2 StGB alte Fassung) und seit 1998 auch der Große Lauschangriff in und aus Wohnungen (§ 100c Abs. 1, Nr. 3 StPO). Darüber hinaus unterliegt das Vermögen des Beschuldigten bei Erhebung der Klage der Beschlagnahme (§ 443 StPO).
Auch das politische Ungleichgewicht bei den Ermittlungen wird immer wieder kritisiert. Hierzu stellte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen 1996 eine Kleine Anfrage im Bundestag. Dabei ergab sich, dass zwischen 1990 und 1996 1116 Ermittlungsverfahren gegen linke Gruppierungen, aber nur 23 Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB gegen rechte Gruppen eingeleitet wurden.
[Bearbeiten] Weblinks
- Übersicht über Geschichte und Anwendung, politisch gefärbt
- Zur Ausweitung auf ausländische Organisationen
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