Liturgie
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Der Begriff Liturgie (v. griech.: λειτουργια leitourgia öffentlicher Dienst aus λειτος leitos öffentlich von λαος laos Volk; und εργον érgon Werk, Dienst) bezeichnet im Allgemeinen eine vorherbestimmte oder festgesetzte Reihe von Ritualen, die innerhalb einer Religion ausgeführt werden (religiöse Riten). Im engeren Sinn bezeichnet der Begriff in den abrahamitischen Religionen den gestalteten Gottesdienst.
Der liturgische Gottesdienstbegriff weist eine doppelte Dimension auf: Er beschreibt den Dienst von und für Gott. Insofern unterscheidet er sich vom eher deskriptiven Begriff der Kulthandlung. Liturgie umfasst das gesamte gottesdienstliche Geschehen: Wort und Gesang, Gestik, Bewegung und Gewänder, liturgische Geräte, Symbole und Symbolhandlungen.
Im Neugriechischen bedeutet Liturgie Funktion oder Mechanismus. Der Sinn steter Wiederholungen hat sich im Lauf der Neuzeit von einem Beschwören mehrheitlich zu einem Bewirken gewandelt (vgl. Formalisierung).
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[Bearbeiten] Christentum
Grundsätzlich ist der Begriff der Liturgie enger zu fassen als „Gottesdienst“. Liturgie ist nie privater Natur, sondern Feiern der Kirche und daher zu unterscheiden von Versammlungen und privatem Gebet. Neben den sonn- und werktäglichen Gemeindeliturgien und den Kasualien (Taufe, Trauung und Bestattung) feiern Teile der Gemeinde, Gemeinschaften (z. B. Konvente) oder Gruppen weitere Liturgieformen wie das Stundengebet.
[Bearbeiten] Urchristentum
Aus dem Urchristentum sind noch keine Gottesdienstordnungen bekannt, da sich die Gestaltung der Feiern noch in der Entwicklung befanden und je nach Gemeinde auch unterschiedlich ausfielen. Wahrscheinlich war der frühchristliche Gottesdienst mehr oder minder stark vom sich entwickelnden jüdischen Synagogen-Gottesdienst inspiriert und integrierte zentral die Lesung und Auslegung der kanonischen Schriften und das Brotbrechen. Wohl gab es auch einen Überlieferungsstrang der liturgischen Fußwaschung. Mittels der Literarkritik lassen sich in den neutestamentlichen Texten gebräuchliche liturgische Stilelemente herausarbeiten: so Christuslieder (Bsp. Phil 2,5-11) oder auch Elemente eines Glaubensbekenntnisses in 1. Korinther 15; ebenso zitiert Paulus in 1 Kor 11 tradierte Einsetzungsworte zum Herrenmahl. Auch die Offenbarung des Johannes scheint Lieder aus dem Gottesdienst zu zitieren, Lieder, die im Messias von G. F. Händel zum Klingen kommen - wie z. B. "würdig ist das Lamm, das ...". In den frühen Schriften der Kirchenväter (z.B. Justin der Märtyrer) finden sich dann zahlreiche Hinweise auf die Abläufe liturgischer Handlungen bzw. Handlungsanweisungen.
[Bearbeiten] Orthodoxe und orientalisch-orthodoxe Liturgien
Die Liturgien, die die verschiedenen orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen feiern, werden in unterschiedliche Liturgiefamilien unterteilt: Byzantinischer Ritus, Westsyrischer Ritus, Ostsyrischer Ritus, Alexandrinischer Ritus, Äthiopischer Ritus und Armenischer Ritus. Der im Westen bekannteste ostkirchliche Ritus dürfte der Byzantinische Ritus sein, der auf die Kirche von Konstantinopel alias Byzanz zurückgeht. Für die Feier der Eucharistie gebräuchlich ist hier die Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus, daneben die bis zur Jahrtausendwende wichtigere Liturgie des Basilius (Basiliusliturgie), die - mit demselben Zeremoniell - nur noch an zehn Tagen im Jahr gefeiert wird. Außerdem ist eine gemeinsame Kommunionfeier bekannt: die Liturgie der Vorgeweihten Gaben (vorwiegend mittwochs und freitags in der Großen Fastenzeit). Selbstverständlich fehlen nicht die übrigen in Kirchen katholischen Typs üblichen sakramentlichen Feiern: Taufe, Ordination, Eheschliessung usw., sowie Stundengebet und Festgottesdienste und Segnungen aller Art. Allen Ostriten gemeinsam ist, dass sie vor der Mitte des ersten Jahrtausends entstanden und scheinbar seither so gut wie unverändert geblieben sind. Tatsächlich aber ist ihre Geschichte nicht weniger bewegt als die der abendländischen Kirchen vor der Reformation. Die mit Rom unierten Ostkirchen feiern die Liturgie grundsätzlich, doch mit mehr oder minder spürbaren Abweichungen, in ihrem ursprünglichen Ritus.
[Bearbeiten] Katholische Liturgie
Behauptungen, die katholische Kirche verstünde unter Liturgie in erster Linie die Ordnung der Heiligen Messe, greifen zu kurz. Auf dem II. Vatikanischen Konzil haben die Konzilsväter ausführlich zum Thema Liturgie Stellung bezogen und die Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium verkündet. Dort schreiben sie:
- „In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung, und so trägt sie in höchstem Maße dazu bei, dass das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird ...“
Demzufolge geht es im katholischen Liturgieverständnis nicht primär um die genaue Regelung einzelner Ritenabfolgen, sondern um einen Wesensvollzug der Kirche. Der Codex iuris canonici (CIC) formuliert dies auf folgende Weise:
- „Den Heiligungsdienst erfüllt die Kirche in besonderer Weise durch die heilige Liturgie, die als Ausübung des priesterlichen Dienstes Jesu Christi zu betrachten ist; darin wird die Heiligung der Menschen durch sinnenhafte Zeichen bezeichnet und in der diesen je eigenen Weise bewirkt sowie der mystische Leib Jesu Christi, von Haupt und Glieder, der unverbrüchliche amtliche Gottesdienst vollzogen.“ (CIC 1983, Can. 834 §1).
Andere offizielle Aussagen über die Liturgie der katholischen Kirche finden sich im Katechismus der Katholischen Kirche unter den Nummern 1066 ff.
Die in der lateinischen Kirche verwendeten Formulare für die einzelnen Feiern finden sich in den im Rahmen der Liturgiereform überarbeiteten (und in die Landessprachen übersetzten) liturgischen Büchern des Römischen Ritus (Missale Romanum, Rituale Romanum, Brevier).
Zur katholischen Liturgie gehören aber auch die Liturgien der unterschiedlichen mit Rom verbundenen Ostkirchen, die eigenen, orientalischen Riten folgen.
[Bearbeiten] Evangelische Liturgie
Für die Ev.-Lutherischen und die Ev.-Unierten Kirchen gibt es in Deutschland eine gemeinsame Gottesdienstordnung, die Gottesdienstbuch genannt wird. In wesentlichen Zügen geht sie in ihrem Ablauf auf die römisch-katholische Liturgie zurück. Prof. Ludwig Schöberlein hat für die Feste und die Kirchensonntage des Jahres Gesamtkonzepte aus Predigt, Chor- und Gemeindegesang entwickelt.
In der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) werden die Gottesdienste liturgisch nach der Evangelisch-Lutherischen Kirchenagende gefeiert, die eine dezidiert lutherische ist.
In einigen Freikirchen ist das Wort Liturgie verpönt, weil der Begriff zu sehr mit Tradition verbunden ist, aber die meisten von ihnen haben dennoch eine Ordnung für den Abendmahlsgottesdienst (mit wenigen Ausnahmen wie z. B. die Quäker).
[Bearbeiten] Judentum
Das Judentum versteht unter Liturgie den ganzen gestalteten Gottesdienst, der im religiösen Leben und in der Theologie das Zentrum ist. Die jüdische Liturgie umfasst vor allem die Kantillation der Tora (siehe Teamim), Gesang und Gebet.
[Bearbeiten] Andere Religionen
Die meisten Religionen kennen liturgische Rituale. Beispiele hierfür sind z.B. die daoistische Kirche der Himmelsmeister, die stark liturgisch ausgerichtet ist, oder die Gurdwara des Sikhismus.
[Bearbeiten] Moderne Krise und liturgische Erneuerung
Angesichts der zunehmenden Wertschätzung von Spontanität und Authentizität sprechen viele Wissenschaftler von einer Liturgieunfähigkeit des modernen Menschen. Andererseits entwickeln sich in vielen Lebensbereichen (Sportveranstaltungen; Medien) neue Gemeinschaftsrituale und Paraliturgien.
Allerdings gibt es auch eine liturgische Erneuerung und Wiederentdeckung. Dazu gehört beispielsweise die Berneuchener Bewegung ("Michaelsbrüder") oder auch die Gesänge von Taizé.
Heute sind in vielen Kirchen die Liturgien, zumindest teilweise, im Kirchengesangbuch aufgeführt. Die katholische Kirche kennt das heute "Stundenbuch" genannte Brevier für die Feier der Tagzeiten und das Gebet- und Gesangbuch "Gotteslob" als liturgisches Rollenbuch der Laienchristen. In den Anglikanischen Kirchen gibt es das Book of Common Prayer.
[Bearbeiten] Liturgiewissenschaft und Rubrizistik
Die Liturgik oder Liturgiewissenschaft (scientia liturgica) hat als Ziel, die liturgischen Feiern und Handlungen geistig zu durchdringen, ihren Ursprung, ihre Geschichte, ihre Bedeutung darzulegen sowie ihren sachgemäßen und lebendigen Vollzug durch Vorsteher und Gemeinde zu fördern. Die Rubrizistik oder Zeremonienlehre, also der Ritus des Gottesdienstes, zielt darauf ab, die äußeren Zeremonien und Riten darzulegen und die Regeln zu erklären, nach denen die liturgischen Handlungen geschehen sollen. Diese Regeln werden Rubriken genannt, weil sie in den liturgischen Büchern nach alter Tradition und heutiger Gewohnheit meist in rot geschrieben sind.
[Bearbeiten] Literatur
Arnold Angenendt: Liturgik und Historik. Gab es eine organische Liturgie-Entwicklung? Freiburg, Basel u. Wien: Herder. 1. u. 2. Aufl. 2001. (= QD. 189.) ISBN 3-451-02189-7.
Arnold Angenendt: Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Thomas Flammer u. Daniel Mayer. Münster: LIT. 1. Aufl. 2004, 2. Aufl. 2005. (= Ästhetik – Theologie – Liturgik. 35.). ISBN 3-8258-7505-9.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Liturgische Bewegung, Liturgiereform, Leiturgie, Liste liturgischer Bücher, Brevier (Liturgie)
- Ritual, Brauchtum,
- Agende
[Bearbeiten] Weblinks
- Schott-Messbuch (katholische Messe)
- katholisches Brevier in Englisch
- katholisches Brevier in Latein (für Handhelds)
- Feierlichkeit Hannover
- Evangelischer Gottesdienst
- Chrysostomos-Liturgie
- Daily Office Online (englisch und spanisch)
- Jüdischer Gottesdienst
- Deutsches Liturgisches Institut
- Tridentinische Messe