Messunsicherheit
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Die Messunsicherheit des Schätzwertes oder Schätzers einer physikalischen Größe grenzt einen Wertebereich ein, innerhalb dessen der wahre Wert der Messgröße liegen sollte. Das Ergebnis einer Messung ist erst durch Schätzer und Messunsicherheit definiert. Die Messunsicherheit ist positiv, sie wird ohne Vorzeichen angegeben. Messunsicherheiten sind selbst Schätzer.
Sinn und Ziel des Schätzens von Messunsicherheites ist es, Intervalle festzulegen, die die wahren Werte der Messgrößen einschliessen oder "lokalisieren".
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[Bearbeiten] Begriff
In aller Regel legt die Messunsicherheit einen zum Schätzwert der Messgröße symmetrisch liegenden Wertebereich fest, wobei der Schätzwert von bekannten systematischen Fehlern befreit worden ist. (Bekannte systematische Messfehler sind nicht Gegenstand der Fehlerrechnung.) Das Messergebnis ist durch einen Ausdruck der Form
Schätzwert Messunsicherheit
gegeben. Der so definierte Bereich (das Intervall) hat die Länge der doppelten Messunsicherheit. Wo der wahre Wert innerhalb des so definierten Intervalls liegt, bleibt indessen unbekannt.
[Bearbeiten] Ermitteln der Messunsicherheit
Betrachten wir zunächst die praktischen Seite und fragen: Wie schätze ich eine Messunsicherheit?
Im Bereich des gesetzlichen Messwesens und des Kalibrierdienstes wird empfohlen, Messunsicherheiten nach DIN (Leitfaden zur Angabe der Messunsicherheit beim Messen) festzulegen.
Die „klassische“ Gaußsche Fehlerrechnung behandelt ausschließlich zufällige Messfehler. Indessen hatte schon Carl Friedrich Gauß auf die Existenz und Bedeutung so genannter unbekannter systematischer Messfehler hingewiesen. Das sind zeitkonstante, nach Betrag und Vorzeichen unbekannte Störgrößen, die in der Regel in einer mit den zufälligen Fehlern vergleichbaren Größenordnung liegen.- Störgrößen, die nach Betrag und Vorzeichen bekannt sind, sind nicht Gegenstand der Fehlerrechnung.
Der von der ISO international empfohlene „Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement (GUM)“ (auf Deutsch etwa: Leitfaden zur Angabe der Unsicherheit bei Messungen) erweitert die klassische Gaußsche Fehlerrechnung durch Einbeziehen besagter "unbekannter systematischer Messfehler". GUM-Empfehlung und DIN-Norm stimmen inhaltlich überein.
Unabhängig davon und zeitgleich mit DIN/GUM ist ein alternatives Konzept zum Schätzen von Messunsicherheiten entwickelt worden, das unbekannte systematische Fehler so behandelt, wie sie sich physikalisch darstellen, nämlich als zeitkonstante Störgrößen, was naturgemäß zu anderen Messunsicherheiten führt.
[Bearbeiten] Struktur der Messunsicherheit
Nach DIN/GUM werden zeitkonstante unbekannte systematische Fehler mittels einer postulierten Rechteckdichte „randomisiert“, also formal den zufälligen Fehlern gleichgestellt. Im Sinne dieser Interpretation bleibt die Messunsicherheit ihrem Wesen nach eine Streuung, die den wahren Wert der Messgröße mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einschließen sollte. Infolge der veränderten Fehlersituation (normalverteilte zufällige und „randomisierte“, z.B. rechteckverteilte systematische Fehler sind zu kombinieren) lässt sich diese Wahrscheinlichkeit allerdings nicht mehr spezifizieren, d.h. weder, wie klassischerweise üblich, mit Hilfe der Student'schen Dichte noch auf andere Weise (siehe Beispiel unten).
Die zu DIN/GUM alternative Methode zum Schätzen von Messunsicherheiten weist unbekannten systematischen Messfehlern keine postulierte Verteilungsdichte zu. Folglich ist die Messunsicherheit keine Streuung mehr. Vielmehr setzt sie sich additiv aus zwei Komponenten zusammen, von denen die eine dem Einfluss zufälliger und die andere dem Einfluss unbekannter systematischer Messfehler Rechnung trägt.
Von der Messunsicherheit wird vor allem verlangt, dass sie den wahren Wert der Messgröße auch tatsächlich einschließe. DIN/GUM stellt der 1σ- Messunsicherheit, die, wie Rechnersimulationen zeigen, zu niedrig ausfällt, eine sogenannte erweiterte Messunsicherheit zur Seite. Da ein dem Student-Faktor äquivalenter Erweiterungsfaktor nicht existiert, multipliziert DIN/GUM die 1σ-Unsicherheit mit einem Erweiterungsfaktor kP. Es wird empfohlen, kP = 2 zu setzen. Dieser Faktor ist letztlich aus praxisorientierten Überlegungen hervorgegangen, dennoch kann der Experimentator nicht sicher sein, ob so definierte Unsicherheitsintervalle die wahren Werte der Messgrößen tatsächlich lokalisieren.
Die alternative Methode trägt dem Einfluss unbekannter systematischer Fehler mittels worst-case Abschätzungen Rechnung und ist so in der Lage, die kleinstmöglichen Messunsicherheiten festzulegen, die den wahren Wert der Messgröße "quasi sicher" lokalisieren. (Der Begriff "quasi sicher" wird im Rahmen des Beispiels, unten, erläutert.)
So festgelegten Messunsicherheiten unterscheiden sich in der Regel nicht allzu sehr von den erweiterten Messunsicherheiten nach DIN/GUM. Probleme könnte es allerdings bei Messungen höchster Präzision geben, wie bei der Festgelegung der Fundamentalkonstanten der Physik. Davon unabhängig ist festzustellen, dass die alternative Methode konzeptionell einfacher und übersichtlicher ist, was naturgemäß daran liegt, dass sie auf weniger Voraussetzungen beruht. Konsequenterweise sind ihre Messunsicherheiten robuster.
Beide Vorgehensweisen setzen driftfrei und statistisch stationär arbeitende Messapparaturen und zumindest approximativ normalverteilte zufällige Messfehler voraus.
[Bearbeiten] Beispiel
In Frage stehe die Unsicherheit des arithmetischen Mittels aus n Wiederholungsmessungen x1, x2, , xn.
Den Messwerten liege das Fehlermodell
zugrunde; x0 bezeichnet den wahren Wert der Messgröße, den zufälligen Messfehler und f den unbekannten systematischen Messfehler. Die zufälligen Fehler sollen normalverteilt sein, der unbekannte systematische Fehler liege im Intervall . Der am häufigsten verwendete Schätzwert des unbekannten wahren Wertes x0 ist das arithmetische Mittel
Die empirische Varianz der n Wiederholungsmessungen
beschreibt allein die statistische Streuung der Messdaten - der systematische Fehler f hebt sich aus der Differenz heraus. Nach dem GUM ist das Messergebnis
;
hierin ist die Messunsicherheit. Der Erweiterungsfaktor kP geht aus der Faltung der Normalverteilung mit der Rechteckverteilung hervor. Da die Parameter der Normalverteilung nicht bekannt sind, ist die Faltung praktisch nicht durchführbar. Dennoch lässt sich festhalten, dass kP = 1 in aller Regel zu niedrige Messunsicherheiten liefert, während kP = 2 zumindest im Rahmen elementarer Fehlerverknüpfungen in der Regel ein ausreichendes Maß an Messsicherheit zur Verfügung stellen wird. Allerdings kann die Metrologie mehr verlangen als diese im Grenzbereich des qualitativen Schließens liegenden Aussagen - insbesondere, wenn es um Messungen höchster Genauigkeit geht. Die alternative Vorgehensweise liefert
.
Hierin ist tP der Student-Faktor, bezogen auf die Wahrscheinlichkeit P. Diese letztere Wahrscheinlichkeitsaussage gilt indessen nicht für die Unsicherheit . Wie das Einsetzen der Fehlergleichung in das arithmetische Mittel zeigt,
,
streut das Mittel um einen Wert, der gegenüber dem wahren Wert x0 um den systematischen Fehler f. verschoben ist, nämlich um den Erwartungswert
x0 + f.
Die Unsicherheitskomponente
bringt nichts Anderes zum Ausdruck als das klassische Student'sche Konfidenzintervall. Zu berücksichtigen ist aber weiterhin der durch systematische Fehler bedingte Unsicherheitsanteil. Da nicht bekannt ist, wo f im Intervall liegt, wird f durch fs geschätzt, also im Sinne des ungünstigsten Falles (worst-case). Das Vorzeichen von sorgt dafür, dass letztlich beide Intervallgrenzen zum Tragen kommen. Bei Hinzunahme der rein empirischen Beobachtung, dass experimentelle Daten im allgemeinen jedenfalls nicht so stark streuen, wie nach der Normalverteilung eigentlich zulässig, kommt der Urheber der GUM-alternativen Methode zur Aussage, die Messunsicherheit schließe den wahren Wert „quasi-sicher“ oder „fast sicher“ ein - obwohl Rechnersimulationen durchaus Nichtlokalisierungen zeigen. Nach allem unterscheiden sich die miteinander konkurrierenden Modelle durch ihren Anspruch, die wahren Wert der Messgröße lokalisieren zu wollen. Während DIN/GUM jedenfalls primär die wahren Werte der Messgrößen nicht lokalisieren will, erklärt das alternative die Lokalisierung wahrer Werte als a priori vorrangig. Entsprechend dieser differierenden Prämisse ist das Literaturverzeichnins in zwei Gruppen gegliedert worden.
[Bearbeiten] Siehe auch
Fehler, Fehlerrechnung, Messfehler, Messgerätefehler
[Bearbeiten] Literatur
Ansatz, der primär die wahren Werte der Messgrößen nicht lokalisieren will:
- DIN 1319 "Grundlagen der Messtechnik" (Teil 1: Grundbegriffe [Ausgabe: 1995-01] , Teil 2: Begriffe für Messmittel [Ausgabe: 2005-10], Teil 3: Auswertung von Messungen einer einzelnen Meßgröße, Meßunsicherheit [Ausgabe: 1996-05], Teil 4: Auswertung von Messungen; Meßunsicherheit [Ausgabe: 1999-02])
- DIN, Dt. Institut für Normung e.V. (Hrsg.): Leitfaden zur Angabe der Messunsicherheit beim Messen. 1. Auflage. Beuth Verlag GmbH, Berlin 1995, ISBN 3-410-13405-0
- ENV 13005, Ausgabe 1999-07-01 "Leitfaden zur Angabe der Unsicherheit beim Messen"
- Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement, ISO, International Organization for Standardization
- Weise, Klaus ; Wöger, Wolfgang: Meßunsicherheit und Meßdatenauswertung. Weinheim: Wiley-VCH 1999. ISBN 3-527-29610-7
Ansatz, der primär die wahren Werte der Messgrößen lokalisieren will:
- Grabe M.:tm Technisches Messen(1) Gedanken zur Revision der Fehlerrechnung 67 (2000) 283-288
- Grabe,M.: Neue Formalismen zum Schätzen von Meßunsicherheiten - Ein Beitrag zum Verknüpfen und Fortpflanzen von Meßfehlern 69 (2002) 142-150
- Grabe, M.: Neue Formalismen zum Schätzen von Meßunsicherheiten - Ausgleich nach kleinsten Quadraten. In: TM - Technisches Messen 72, Nr. 9 (2005) 531-540
- Grabe, M.: Measurement Uncertainties in Science and Technology, Springer 2005. ISBN 3-540-20944-1