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Raubdruck - Wikipedia

Raubdruck

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Mit einem Ladenpreis von 5 Schillingen teuer, aber vollständig und mit Kupfer: die Erstausgabe von Daniel Defoes Robinson Crusoe (London: W. Taylor, 1719).
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Mit einem Ladenpreis von 5 Schillingen teuer, aber vollständig und mit Kupfer: die Erstausgabe von Daniel Defoes Robinson Crusoe (London: W. Taylor, 1719).
Für nur 2 Schillinge: Der Konkurrent kürzt den Text, druckt ungeniert unter eigenem Namen und behauptet später, seine Angestellten hätten in seiner Abwesenheit gearbeitet: „Amsterdam Coffee-House edition“ von Defoes Robinson Crusoe (London: T. Cox, 1719).
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Für nur 2 Schillinge: Der Konkurrent kürzt den Text, druckt ungeniert unter eigenem Namen und behauptet später, seine Angestellten hätten in seiner Abwesenheit gearbeitet: „Amsterdam Coffee-House edition“ von Defoes Robinson Crusoe (London: T. Cox, 1719).

Raubdruck ist der unberechtigte Nachdruck eines Druckwerks durch einen Konkurrenzverlag, der in der Regel dabei seine eigene Identität verschleiert.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Zur Interessenlage

Der durch den Raubdruck Geschädigte war im frühen Buchdruck der Originalverlag – eine Situation, die sich änderte, als das Konzept des sogenannten geistigen Eigentums und eine neue juristische Positionierung des Autors über das Urheberrecht das Interessengefüge verschob. Der Raubdruck ist heute die unautorisierte Vervielfältigung eines bereits gedruckten und urheberrechtlich geschützten Werks; Geschädigte sind dabei im Regelfall der Autor bzw. seine Rechtsnachfolger sowie der Verlag, dessen Vorinvestitionen von Dritten ausgenutzt werden.

Benachbarte Bereiche sind heute die zulässige Kopie (bei der im deutschsprachigen Raum die VG-Wort einen Kostenanteil erhält, der nach einem Verteilungsschlüssel an die Autoren weitergegeben wird), die Markenpiraterie, die widerrechtliche kommerzielle Raubkopie, der unerlaubte Austausch privater Kopien über File-Sharing-Netze und die freiwillige Produktion in urheberrechts- und lizenzfreien Projekten, die in offene Konkurrenz mit dem über das Urheberrecht geschützten Markt treten.

[Bearbeiten] Vor dem Urheberrecht, 1500–1750

Zwei grundlegende Verschiebungen trennen den Pressemarkt der frühen Neuzeit vom Markt, der sich im 19. Jahrhundert herausbildete:

  • Autoren wurden in der Regel bei Einlieferung des Manuskripts einmalig bezahlt, die weiteren Profite und die weiteren Geschäftsrisiken überließen sie ausschließlich dem Verleger.
  • Ein allgemeines Verlagsrecht, das Verlage im heutigen Maße gegeneinander absicherte, bestand nicht.

Der Raubdruck war ein Problem, dem vor allem die Verleger begegnen mussten, ohne dass sie in der Regel hierfür Rechtsmittel in Anspruch nehmen konnten.

[Bearbeiten] Interessen der Autoren und Verleger

Autoren lieferten Manuskripte ein und wurden für diese bezahlt. Hier galt zumeist die Entlohnung nach angefangenen Druckbögen. Ihre Arbeit war damit honoriert. In der Praxis verlief der Handel komplexer: Autoren erhielten Vorschüsse, wenn sich ihre Werke gut verkauften. Sie konnten mehr Geld verlangen, wenn der Verleger ein besseres Geschäft mit ihnen machte als mit anderen Autoren. Der Raubdruck kam dem Autor in diesem System tatsächlich zugute: Druckten andere Verleger seinen Titel nach, hatte nur der Erstverleger den Schaden. In der Regel lag der Fehler beim Erstverleger: Hätte er den Titel gleich höher aufgelegt und dort ins Angebot gebracht, wo der Raubdruck erschien, dann wäre es uninteressant geworden, den Titel dort nachzudrucken. Der Autor, der in Raubdrucken erschien, konnte damit rechnen, dass sein Verleger ihn zukünftig breiter verkaufen würde, und er konnte verlangen, genau an diesem breiteren Verkauf finanziell beteiligt zu werden. Voltaire steigerte angeblich seinen Marktwert gegenüber seinem Erstverleger, indem er selbst seine Arbeit dem potentiellen Raubdrucker in die Hände spielte und den geschädigten Erstverleger zu besserer Arbeit beim nächsten Buch drängte.

Zum Raubdruck zählte nicht die Übersetzung in eine fremde Sprache – diese steigerte den Ruhm des Autors auf dem internationalen Parkett und damit seinen Verkauf im eigenen Land, sobald sich dieser Ruhm dorthin verbreitete. Autoren und Verleger waren an Übersetzungen und dem Werbefaktor, den sie bedeuteten, interessiert und sahen hier keine eigenen Rechte beschnitten.

Eine Grauzone stellte der unveränderte Nachdruck im Ausland dar. Hier taten sich in der frühen Neuzeit besonders die Verleger der Niederlande hervor, die sich auf französische Werke spezialisierten. Theoretisch druckten sie für ihren eigenen Markt und schädigten, so gesehen, nicht die französischen Erstverleger. Praktisch bedienten die Niederländer aber den europäischen Markt effizienter als die Franzosen, deren Ware damit internationalen Absatz verlor. Strafrechtlich belangt werden konnten sie nicht. Für französische Autoren (und italienische Komponisten, die ihre Noten international publizierten) wurde es in der Folge zunehmend interessant, die Manuskripte gleich an die niederländischen Verleger zu liefern und von ihnen die höheren Honorare zu fordern. (Diese Verlagerung gewann zusätzlich an Interesse, wenn dadurch heimische Zensurregelungen umgangen werden konnten.)

Das große Problem für den Autor war nicht der Raubdruck, sondern das Plagiat, der Auftritt eines anderen Autors mit genau derselben Idee. Die Antwort auf das Plagiat war in der Regel eine Fehde unter den Autoren, in der es darum ging, öffentlich nachzuweisen, wer hier wen bestohlen hatte und sich mit wessen Federn schmückte. Das Ziel musste es sein, den Konkurrenten vor aller Augen unmöglich zu machen.

[Bearbeiten] Praxis des Raubdrucks und Antworten darauf

Marie de LaFayette, Zayde (Paris: C. Barbin, 1670), Erstausgabe mit königlichem Privileg
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Marie de LaFayette, Zayde (Paris: C. Barbin, 1670), Erstausgabe mit königlichem Privileg

Raubdrucke im eigenen Land erschienen für gewöhnlich ohne Verlagsangabe, mit offensichtlich fingiertem Impressum („A Cologne, chez Pierre Marteau“, „Cölln, bey Peter Marteau“ war hier die beliebteste, offenkundig falsche Angabe), oder, besonders dreist, direkt unter dem Label des Erstverlegers. Seltener publizierten Raubdrucker unter dem eigenen Namen, sie wagten das vor allem, wenn sie im Ausland ansässig waren, ihnen boten dann die Landesgrenzen Schutz.

Ein beliebiger Drucker und Verleger hatte sich den Titel des Konkurrenten beschafft, ihn neu gesetzt und in dieser Form auf den Markt gebracht – die Kosten für den Übersetzer oder den Autor hatte er sich gespart, die Ware ging von ihm aus in den Absatz. Praktische Probleme blieben, wenn der Raubdrucker seine Ware in den überregionalen Handel bringen wollte. Hierzu trafen sich die Verleger (die alle zugleich Buchhändler waren) auf regelmäßig stattfindenden Buchmessen, zu denen sie ihre wenigen selbst produzierten Titel in großen Auflagen mitbrachten, untereinander tauschten und mit breiten Sortimenten wieder zurückfuhren. Wer mit Raubdrucken auf die Messe kam, machte sich vor den Kollegen unmöglich, mit denen er tauschen musste. Er schloss sich selbst vom weiteren Handel aus, wenn niemand mehr mit ihm tauschte. Der Raubdruck war daher vor allem praktisch, wenn der Raubdrucker über eigene Absatzwege verfügte – wenn er den Titel bequem im eigenen Laden absetzen konnte oder ihn unter der Hand mit Kollegen tauschte.

Die standardisierte Gegenstrategie gegen den Raubdruck war die soziale Ächtung und der Aufbau von Vertrauensnetzen, in denen man erfuhr, wer einen da bestahl. Die Reaktion war keine juristische, sondern eine öffentliche: Eine Interaktion vor der Kollegenschaft, bei der es galt, Stimmung gegen den Konkurrenten zu machen.

Gegenüber der sozialen Ächtung gab es einen weiteren offiziellen Weg der Prävention, den Druck unter Privileg. Bei kostspieligen Verlagswerken erwirkte das Unternehmen die landesherrliche oder kaiserliche Protektion: „Mit Königl. Pohln. und Churf. Sächs. Privilegio“ oder „Avec Privilege du Roy“ stand dann in der letzten Zeile auf dem Titelblatt. Der Landesherr drohte hier mit der Verfolgung jedes Raubdrucks. Im Regelfall erschienen Bücher ohne diesen kostspieligen Schutz. Da er sich außerhalb des Territoriums des jeweiligen Landesherrn rechtlich nicht durchsetzen ließ, garantierte er weder, dass der Titel nicht nachgedruckt wurde, noch dass illegale Nachdrucker gefasst wurden. Bei großen Verlagswerken blieb der Schutz sinnvoll, da Erstverleger hier noch am ehesten darauf vertrauen konnten, dass sich das auffällige Werk nicht unauffällig als Nachdruck in den Handel bringen ließ.

[Bearbeiten] Produktive Unsicherheit

Es ist fahrlässig, Vorstellungen modernen Verlagsbuchhandels auf die frühe Neuzeit zu übertragen. Die Interaktionen zwischen Autoren und Verlegern, der Umgang, der innerhalb der Berufsstände herrschte, lassen sich nicht adäquat erfassen, wenn man hier ein Spiel um Rechte und geistiges Eigentum sieht:

Christian Friedrich Hunolds (alias Menantes) erste Gedichtsammlung von 1702 enthielt ein Gedicht, das einem Rivalen auffiel, der hier eine Chance sah, Hunold zu schaden. Hamburgs Stadtrat würde die Verbreitung dieses Gedichts verbieten müssen, wenn es ihm vorgelegt würde. Der Verleger und der Autor bekamen von der Überprüfung kurz vorher Wind. Gut hundert ungebundene Restexemplare hatte man noch übrig; man tauschte die Seiten mit dem Gedicht aus, band ein harmloses in die Restexemplare und teilte die neu zusammengestellten Bücher schließlich unter den Ratsherrn aus. Der Drucker verteidigte sich damit vor der Stadt: Jeder habe hier Originalexemplare vor sich, sie enthielten das fragwürdige Gedicht nicht. Nur ein Raubdruck, der ihm untergeschoben worden sei, weise es auf – der schwarze Peter lag damit bei den Klägern, die selbst über die betroffenen Botschafter Spaniens und Frankreichs die Angelegenheit vor die Stadt gebracht hatten. Sie hätten nun auftreten müssen mit dem Beweis, dass ihre Exemplare durchaus keine Raubdrucke waren – das war weniger das Problem, als dass sie sich damit überhaupt als die Initiatoren der Intrige erwiesen hätten.

Diese Geschichte ist willkürlich herausgegriffen, wirft jedoch viel Licht auf den Umgang, der dort herrschte, wo es keinen wirksamen Schutz gegen den Raubdruck gab. In der zeitgenössischen Rechtsliteratur wurde der Raubdruck als Betrug und als strafbares falsum bewertet (Karl Grundmann: Grundsätze der Criminalwissenschaft. Gießen 1798, § 334), in der Praxis aber eher als Schändlichkeit denn als justitiables Faktum aufgefasst. Wer zur Verantwortung gezogen wurde, konnte im Extremfall versuchen, andere Raubdrucker zu Schuldigen zu machen. Wer Raubdrucke im eigenen Buchladen ausliegen hatte, beteuerte bei Beanstandung, sie von anderen Verlegern erhalten zu haben, und nicht zu wissen, was ihm da untergeschoben worden sei. Man klagte laut über Missbrauch und arbeitete mit entsprechender Risikobereitschaft in einem durchaus produktiven System.

[Bearbeiten] Die Umgestaltung des Markts: Raubdruck und Urheberrecht 1750–1950

Der Verleger wird bis aufs Hemd ausgezogen und Justitia schaut weg. Der Raubdruck, Kupferstich von Daniel Chodowiecki (1781).
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Der Verleger wird bis aufs Hemd ausgezogen und Justitia schaut weg. Der Raubdruck, Kupferstich von Daniel Chodowiecki (1781).

Der Buchmarkt, wie er sich im frühen 18. Jahrhundert entwickelt hatte, zeigte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erheblichen Reformbedarf. Die Entwicklung des Urheberschutzes brachte Autoren neue Formen der Umsatzbeteiligung und schuf damit ganz neue Verantwortlichkeiten. Der am Umsatz beteiligte Autor blieb greifbar. Der Verleger konnte nicht länger behaupten, er habe das Manuskript gekauft und keinen weiteren Kontakt zu dem Verkäufer mehr. Über den Schutz des Autors wurde Transparenz auf dem Markt hergestellt. Der Zugriff der Behörden konnte von nun an fortlaufenden Geldflüssen zwischen den Beteiligten nachgehen – zwischen Verlegern, Autoren, Übersetzern bis hin zu Originalverlegern im Ausland.

Die Geschichte des Raubdrucks endete nicht mit den neuen Gesetzesformen. Der Raubdruck wurde im ersten Schritt zu einer von Landesgrenzen geschützten Praktik. Das größte und erfolgreichste Nachdruckunternehmen war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum der Wiener Verlag von Thomas von Trattner, der als Schulbuchverleger begann und schließlich in großem Stil alle deutschen Klassiker nachdruckte und in den österreichischen Gebieten verkaufte. Er tat dies mit Zustimmung des Wiener Hofes. Erst durch die Neuordnungen, die der Leipziger Buchhändler Philipp Erasmus Reich durchsetzte, wurde das Nach- oder Raubdruckunwesen eingedämmt.

Auf Betreiben der Verleger und Buchhändler, einzelner Autoren und einzelner deutscher Bundesstaaten kam am 2. April 1835 ein Beschluss der Bundesversammlung des Deutschen Bundes in Wien zustande, der ein allgemeines Nachdruckverbot in allen deutschen Landen forderte: Die hohen und höchsten Regierungen vereinbaren sich dahin, dass der Nachdruck im Umfange des ganzen Bundesgebietes zu verbieten und das schriftstellerische Eigentum nach gleichförmigen Grundsätzen festzustellen und zu schützen sei. (Protokolle der deutschen Bundesversammlung, Frankfurt am Main 1837, S. 270).

Indessen war der Weg zu einem allseits befriedigenden Urheberrecht noch lang, und die Gesetzgeber der Bundesländer ließen sich Zeit. Die Mehrzahl von ihnen wollte eine allgemeine Schutzfrist für Druckwerke von zehn Jahren einführen. Preußen hingegen drang darauf, die Schutzfrist bis zum dreißigsten Jahre nach dem Tode eines Urhebers andauern zu lassen, konnte sich mit dieser Tendenz aber zunächst nicht durchsetzen. So beschloss die Bundesversammlung des Deutschen Bundes am 9. November 1837 wie folgt:

Art. 1 Literarische Erzeugnisse aller Art, sowie Werke der Kunst, sie mögen bereits veröffentlicht seyn oder nicht, dürfen ohne Einwilligung des Urhebers, sowie Desjenigen, welchem derselbe seine Rechte an dem Original übertragen hat, auf mechanischem Wege nicht vervielfältigt werden.
Art. 2 Das in Art. 1 bezeichnete Recht des Urhebers oder dessen, der das Eigentum des literarischen oder artistischen Werkes erworben hat, geht auf dessen Erben und Rechtsnachfolger über, und soll, insofern auf dem Werke der Herausgeber oder Verleger genannt ist, in sämtlichen Bundesstaaten mindestens während eines Zeitraumes von zehn Jahren anerkannt und geschützt werden. (Protokolle der deutschen Bundesversammlung 1837, S. 846 ff.)

Im Vergleich mit den weitaus besseren Regelungen Großbritanniens und Frankreichs war das wenig, und es dauerte immerhin bis zum 19. Juni 1845, ehe durch Beschluss der Bundesversammlung für alle Bundesstaaten bestimmt wurde:

Der durch den Artikel 2 des Beschlusses vom 9. November 1837 für mindestens zehn Jahre von dem Erscheinen eines literarischen Erzeugnisses oder Werkes der Kunst an zugesicherte Schutz gegen den Nachdruck und jede andere unbefugte Vervielfältigung auf mechanischem Wege wird fortan innerhalb des ganzen deutschen Bundesgebietes für die Lebensdauer der Urheber solcher literarischer Erzeugnisse und Werke der Kunst, und auf dreißig Jahre nach dem Tod derselben gewährt.

Die Ausbreitung internationalen Rechtsschutzes zum Beispiel durch die Berner Übereinkunft von 1886 und die Universal Copyright Convention der UNESCO von 1951 lösten weitgehend die noch verbliebenen Probleme.

[Bearbeiten] Sozialisierte Drucke und proletarische Reprints

Umschlag eines typischen Raubdrucks vom Ende der sechziger Jahre
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Umschlag eines typischen Raubdrucks vom Ende der sechziger Jahre

In der linken Protest- und Emanzipationsbewegung der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der Raubdruck als subversive Rebellion gegen das „kapitalistische System“ entdeckt. Für den Gebrauch in Lese-, Studien- und Diskussionsgruppen wurden Raubdrucke von Schriften hergestellt, die zu dieser Zeit nicht oder nur schwer auf normalem Wege aus Bibliotheken oder aus dem Buchhandel zu beschaffen waren. Es handelte sich dabei um die marxistische, sozialistische, sozialphilosophische, psychoanalytische, soziologische und pädagogische Theorie vor allem der zwanziger und dreißiger Jahre, die klassischen Analysen, Quellen und Dokumente zur Arbeiterbewegung, zur politischen Ökonomie, zum Anarchismus, Syndikalismus, zur Rätebewegung, zur materialistischen Ästhetik und Kunsttheorie und besonders die Arbeiten der Kritischen Theorie des alten Frankfurter, mit der Machtergreifung des Faschismus emigrierten Instituts für Sozialforschung. (A. Götz von Olenhusen) Die frühesten Produkte dieser Raubdruckbewegung zeigen viele drucktechnische Mängel, sie sind offensichtlich zum kurzfristigen Gebrauch in aktuellen Diskussions- und Schulungszusammenhängen entstanden.

Daneben wurden von den Raubdruckern wichtige Grundlagentexte reproduziert und damit wieder zugänglich gemacht, die von den Autoren zurückgehalten wurden, weil sie dem Stand der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Ansicht nach nicht mehr entsprachen, oder die von den Verlagen nicht wieder aufgelegt wurden, weil nur mit geringem Verkaufserfolg gerechnet wurde. Zu diesen Drucken gehören Aufsätze Max Horkheimers aus den 1930er Jahren und Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung, eine Schrift, die heute zu den Grundlagentexten der Neuen Linken gezählt wird, ferner Schriften von Lukács, Korsch, Benjamin, Rosa Luxemburg, Trotzki, Wilhelm Reich und anderen, also das, was Walter Mehring in seinen Berichten über die verlorene und die veruntreute Bibliothek aufgezählt hatte.

Das Impressum solcher Drucke nannte als herstellende Verlage Fantasiegebilde wie „robber's press berlin oberschöneweide“, „Rotkohl“, „Verlag zerschlagt das bürgerliche Copyright“. Die Auflagenhöhe betrug 500 bis 1000 Stück, die Preise waren niedrig, oft gab es Hinweise, für welche linken Aktivitäten der (meist geringe) Überschuss verwendet werden sollte. Die etablierten Verlage reagierten über den Börsenverein mit Klagen, Durchsuchungen, Verboten und einer Pressekampagne und kriminalisierten mit diesen Maßnahmen die Raubdruckbewegung. Es gab allerdings auch kommerzielle Raubdrucke, billige Ausgaben von Bestsellern in schlichtem Pappumschlag, die meist über „linke“ Buchhandlungen oder Büchertische vor den Unis vertrieben wurden, etwa Sigmund Freuds Gesammelte Werke, sowie einen in Berlin bei Pretzell & Siebrasse hergestellten verkleinerten Nachdruck von Arno Schmidts Zettels Traum, der durch die Medienberichterstattung zu einem spektakulären Fall wurde. (Die Raubdrucker wollten dem Autor das nicht unbeträchtliche Honorar über den Gartenzaun reichen, der jedoch lehnte aus Rücksicht auf seinen Verlag und aus grundsätzlichen urheberrechtlichen Erwägungen ab.)

Die Raubdrucker der späten 60er und frühen 70er Jahre rechtfertigten ihre Aktivitäten damit, dass dadurch die vom „kapitalistischen Profitsystem“ unerschwinglich teuer gemachten Texte „sozialisiert“ und „den Massen zugänglich gemacht“ würden.

[Bearbeiten] Gegenwart: Globalisierung, Markenpiraterie und GNU-Projekte

Mit der Globalisierung und dem Aufkommen der Mikroelektronik im ausgehenden 20. Jahrhundert bekam das Thema Raubdruck eine neue Qualität. Auf der einen Seite privatisierte er sich: Fotokopiergeräte wurden in den 1970ern allgemein zugänglich, jeder konnte sich damit Kopien ganzer Bücher, bei teuren Verlagswerken auch weit unterhalb der Handelspreise, anfertigen. Dieses Problem wurde im deutschsprachigen Raum durch die Reform des Urheberrechts von 1972 pragmatisch gelöst: Die VG-Wort erhält einen Anteil der Kopierkosten, der nach Schlüssel an die Autoren neuer Verlagswerke weiterverteilt wird.

Als kommerziell höchst interessant erwies sich der Raubdruck in Bereichen außerhalb des Buchhandels. Strategien, mit denen man Mitte des 20. Jahrhunderts lediglich Zigaretten und Autos vermarktete, weiteten sich auf andere Produkte aus: T-Shirts, Hosen, Jacken erhielten deutlich sichtbare Markenaufdrucke. Die Produktion oftmals gleich aussehender, z. T. auch gleichwertiger Ware, die Schnitt und Markenaufdruck kopierte und sich die Kosten für Werbung, teure Kundenbindung und Herstellergarantien sparte, war die Folge. Dafür wurde der Begriff Produkt- bzw. Markenpiraterie geprägt. Die aufstrebenden und für die europäischen und US-amerikanischen Marken nicht sofort transparenten Märkte Asiens fassten auf diesem Produktionsfeld Fuß.

Mit der Ausbreitung von elektronischen Massenmedien kam die Möglichkeit hinzu, mit geringem Aufwand Musikkassetten, Videobänder, Disketten, CDs und DVDs zu vervielfältigen. Diese eher klassische Raubdruckvariante digitaler Information wird heute im Allgemeinen als Raubkopie bezeichnet. Der Raubdruck, der im Zeitalter des Buchdrucks noch auf technologisch umfassend ausgestattete Betriebe angewiesen und mit dem Aufkommen von Kopiergeräten bereits unkontrollierbar dem privaten Zugriff geöffnet worden war, fand nun in den heimischen vier Wänden der Konsumenten, die Computer und Videorekorder besaßen, hinreichende technische Voraussetzungen. Am Ende des 20. Jahrhunderts kamen neue, elektronische, für jedermann anonym nutzbare Vertriebswege wie internetbasierte Tauschbörsen, File Sharing und Peer-to-Peer-Netzwerke auf, um die privat hergestellten Kopien zu verbreiten. Die intensiven Bemühungen von Branchenverbänden wie der Business Software Alliance oder der RIAA, solche Kopien aufzuspüren und ihre Verbreiter juristisch zu belangen, waren bisher nur punktuell erfolgreich. Ob und wie dieser Form der illegalen Kopie wirkungsvoll zu begegnen ist, wird erst die Zukunft zeigen. Im Experimentierstadium befinden sich beispielsweise Medienformate mit einprogrammierter Nutzungsdauer, die sich auch durch Kopieren nicht verlängern ließe. Ein anderer Ansatz ist das Digital Rights Management (DRM). Bisher hat sich allerdings gezeigt, dass noch jede Form digitaler Informationssicherung über kurz oder lang von Crackern überwunden werden konnte.

Mit dem Aufbau des Internets wiederholten sich in abgewandelter Form Entwicklungen, die schon die Frühzeit des Buchdrucks geprägt hatten. Das gilt auch für den Raubdruck, sowohl von gedruckten Texten, die nun im Internet eingescannt wiedererschienen, wie von Informationen, die im Internet ihre Erstveröffentlichung erfuhren und im selben Medium ihre nächste Vervielfältigung auf anderen Websites fanden. Ein neues Feld von Informationsanbietern eroberte das neue Medium und gab – wie im frühen Buchdruck – wenig auf Autorschaft. Das schien anfänglich bei der kleinen Gruppe von Internetbenutzern unkritisch. Die Interaktion mittels Pseudonymen und die Verbreitung von Informationen über Provider, die sich im Ausland der Strafverfolgung entziehen konnten, formten in der Folge präzise Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts nach. Der neue Markt wurde durch seine Unübersichtlichkeit geschützt. Die Rahmenbedingungen waren jedoch nun nicht mehr die des 17. und 18. Jahrhunderts: Staaten und Rechtssysteme waren jetzt vorbereitet auf die Problemstellungen. Sie konnten über die Provider den Zugriff auf die tatsächlichen Autoren durchsetzen. Großfirmen haben nun solide Erfahrung in der Integration unorganisierter Märkte. Sie wuchsen auf dem noch weitgehend unerschlossenen Feld binnen weniger Jahre zu weltumspannenden Monopolen und witterten ihre Zukunft gerade im Aufkauf von Urheber- und Abbildungsrechten.

Demgegenüber bildeten sich unter den Internetnutzern, beispielsweise im Rahmen des Usenet oder der Open-Source-Bewegung, informelle Benutzergruppen, die eine Gegenkultur entwickelten, zu deren Prinzipien der Widerstand gegen die Kommerzialisierung des Netzes und der freie, kostenlose und ungehinderte Zugang zu Informationen gehört. Die Möglichkeit, dass Autoren darauf verzichten könnten, Urheberrechte für ihre Arbeit geltend zu machen, die in der bisherigen Urheberrechtsordnung juristisch zwar vorhanden war, aber faktisch keine Rolle spielte, gewann jetzt dadurch an Bedeutung, dass die Autoren eigene Netzwerke zum Vertrieb ihrer urheberrechtsfreien Arbeit aufbauen konnten. Zur rechtlichen Absicherung dieses Verfahrens wurden eigene Lizenzformen wie die GNU-FDL oder die Creative-Commons-Lizenz entwickelt. In diesem Rahmen gibt es keinen Raubdruck der von den Autoren freigegebenen Informationen mehr, sondern nur noch die legale, ja erwünschte Weiterverbreitung. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist daher zu unterscheiden zwischen

  • durch das Urheberrecht geschützter Information,
  • als Raubdruck oder Raubkopie illegal vertriebener Information,
  • im Rahmen des Urheberrechts durch Ablauf der Schutzfrist gemeinfrei gewordener Information,
  • lizenzfreier bzw. frei lizenzierter Information.

Es ist noch unklar, wie sich diese freie Information gegenüber der urheberrechtlich geschützten letztlich positionieren wird. Festzustellen ist jedoch, dass besonders erfolgreiche Projekte wie die Wikipedia von Lexikonverlagen bereits als ernsthafte Konkurrenz wahrgenommen werden. Hier entstehen neue Konkurrenzverhältnisse, die das Problem des Verhältnisses von Raubdruck und urheberrechtlich geschützter Information völlig neu definieren werden.

[Bearbeiten] Andere Wortbedeutung

In der Biologie bezeichnet „Raubdruck“ die Häufigkeit der Angriffe von Beutegreifern auf wildlebende Tiere.

[Bearbeiten] Literatur

  • Johann Stephan Pütter: Der Büchernachdruck nach ächten Grundsätzen des Rechts geprüft. Göttingen im Verlage der Wittwe Vandenhoeck 1774
  • Adolph von Knigge: Ueber den Bücher-Nachdruck. An den Herrn Johann Gottwerth Müller in Itzehoe. Hamburg, bey Benjamin Gottlob Hoffmann 1792
  • August von Kotzebue: Denkschrift über den Büchernachdruck. Zugleich Bittschrift um Bewürkung eines deutschen Reichsgesetzes gegen denselben. Den bei dem Congress zu Wien versammelten Gesandten deutscher Staaten überreicht im Namen deutscher Buchhändler. Kummer, Leipzig 1814
  • Ludwig Friedrich Griesinger: Der Büchernachdruck aus dem Gesichtspuncte des Rechts, der Moral und Politik betrachtet. Macklot, Stuttgart 1822
  • Hellmut Rosenfeld: Plagiat und Nachdruck. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 11 (1971). Sp. 337-372.
  • Günter von Gravenreuth: Das Plagiat aus strafrechtlicher Sicht. Software-, Video- u. Markenpiraterie, Raubdrucke. Die Straftatbestände des gewerblichen Rechtschutzes. Einschlägiges Prozeßrecht. Heymann, Köln 1986, ISBN 3-452-20379-4
  • Olaf Simons: Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde. Amsterdam 2001, ISBN 90-420-1226-9
  • Jörg Drews, Doris Plöschberger (Hg.): „Des Dichters Aug’ in feinem Wahnwitz rollend …“ Dokumente und Studien zu „Zettel’s Traum“. edition text + kritik, München 2001, ISBN 3-88377-658-0
  • Albrecht Götz von Olenhusen und Christa Gnirß: Handbuch der Raubdrucke. Verlag Dokumentation, Pullach bei München 1972, ISBN 3-7940-3419-8 (Überarbeitete, ergänzte und korrigierte Fassung auf CD-ROM: Freiburg im Breisgau, Raubdruck-Archiv Verlag, 2002).
  • Robert Darnton: The Science of Piracy: a Crucial Ingredient in Eighteenth-Century Publishing. In: SVEC: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century. Oxford, 12/2003, S. 3–29

[Bearbeiten] Weblinks

Wiktionary: Raubdruck – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen
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