Transzendente Zahl
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Eine reelle Zahl (oder allgemeiner: eine komplexe Zahl) x heißt transzendent, wenn sie nicht als Lösung einer algebraischen Gleichung beliebigen (endlichen) Grades
für n ≥ 1 mit ganzzahligen oder allgemein algebraischen Koeffizienten ak auftreten kann, wobei an ≠ 0 gelten soll. Andernfalls handelt es sich um eine algebraische Zahl. Jede transzendente Zahl ist überdies irrational.
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[Bearbeiten] Grad einer algebraischen Zahl
Im Weiteren wird es außerdem wichtig sein, eine Definition des sogenannten Grades einer algebraischen Zahl zu besitzen. Eine komplexe Zahl x wird als algebraische Zahl vom Grad n bezeichnet, wenn sie der algebraischen Gleichung
aber keiner derartigen Gleichung geringeren Grades genügt.
[Bearbeiten] Geschichtliche Entwicklung des Transzendenzbegriffs
Die Vorstellung der mathematischen Transzendenz kam im Laufe des 18. Jahrhunderts ganz allmählich in den Überlegungen großer Mathematiker wie Gottfried Wilhelm Leibniz (omnem rationem transcendunt) und Leonhard Euler auf, die zwar keine strenge Definition dieses Begriffs besaßen, sich aber trotzdem sicher waren, dass es solche mathematisch "schwer fassbaren" Zahlen geben müsse, von denen Euler schrieb sie "überschreiten [...] die Wirksamkeit algebraischer Methoden". 1748 behauptete Euler in seinem Lehrbuch Introductio in Analysin Infinitorum sogar, dass bei positivem rationalem a≠1 und natürlichem b, das keine Quadratzahl ist, die Zahl nicht nur nicht rational, sondern auch "nicht mehr irrational" sei (wobei er unter "irrationale Zahlen" den heute algebraische Zahlen genannten Zahlenbereich verstand). Tatsächlich wurde diese "Transzendenzvermutung" 1934 als Spezialfall eines Resultats des russischen Mathematikers Alexander Ossipowitsch Gelfond in ihrer Richtigkeit bestätigt.
Joseph Liouville konnte 1844 als Erster die Existenz transzendenter Zahlen beweisen und war imstande, mittels seiner konstruktiven Beweismethode explizite Beispiele zu liefern. In seiner Arbeit konnte er zeigen, dass es für jede algebraische Zahl x vom Grad eine Konstante c gibt, so dass für jede rationale Approximation p / q:
gilt. Daraus folgt, dass die Liouville-Konstante
transzendent ist.
Im Jahr 1874 konnte Georg Cantor nicht nur abermals die Existenz von transzendenten Zahlen beweisen, sondern sogar zeigen, dass es "mehr" transzendente als algebraische Zahlen gibt. Im Gegensatz zu Liouville sicherte Cantor aber seine Erkenntnisse durch einen indirekten Beweis. Die mathematisch exakte Formulierung des Begriffs "mehr" war aber sicherlich das wichtigste Ergebnis von Cantors Arbeit, weil es das Wissen über das reelle Zahlensystem revolutionär vertiefte. Allerdings konnten sich seine neuartigen Ideen gegen einflussreiche konservative Kritiker wie Leopold Kronecker lange Zeit nicht durchsetzen. Er bewies, dass die Menge der algebraischen reellen Zahlen (in moderner Sprechweise) abzählbar ist, während die Menge aller reellen Zahlen überabzählbar (unendlich, aber nicht abzählbar) ist. Daraus folgt auch leicht, dass die Menge aller transzendenten Zahlen gleichmächtig mit der Menge aller reellen Zahlen (insbesondere: ebenfalls überabzählbar) ist.
Dieser Sachverhalt lässt sich mengensprachlich folgendermaßen ausdrücken:
Wenn die Menge der transzendenten Zahlen und die Menge der reellen Zahlen bezeichnet, dann gilt:
Hierbei ist das mengentheoretische Symbol für die Mächtigkeit von ; (sprich "Aleph null") ist das mengentheoretische Symbol für die Mächtigkeit einer abzählbar unendlichen Menge, insbesondere von .
[Bearbeiten] Transzendenzbeweise von e und π
Die ursprünglichen Beweise der Transzendenz von e und π stammen von Charles Hermite bzw. von Ferdinand von Lindemann. Die Beweise sind allerdings nur sehr schwer nachzuvollziehen. Im Laufe der Zeit gab es aber immer wieder Vereinfachungen dieser Beweise. Einen sehr "eleganten" Beweis veröffentlichte der berühmte Mathematiker David Hilbert (1862-1943) im Jahre 1893 in seinem Aufsatz "Über die Transcendenz der Zahlen e und π".
Siehe Beweis der Transzendenz von e und π im Beweisarchiv
[Bearbeiten] Beweis des Liouvilleschen Approximationssatzes
Sei nun also z eine algebraische Zahl vom Grad n > 1, die erfüllt. Weiterhin sei wie oben. Dann erhalten wir Nun teilen wir beide Seiten der Gleichung durch zm − z und benutzen die algebraische Identität Es ergibt sich also Da | zm − z | < 1 für ausreichend großes m gilt, können wir folgende grobe (aber vollkommen ausreichende) Abschätzung machen: M ist eine Konstante, da wir z als feste Zahl angenommen haben. Wenn wir jetzt m so groß wählen, dass in der Nenner qm > M ist, erhalten wir die Ungleichungskette Wenn wir zur Abkürzung p für pm und q für qm schreiben, dann ist Nun kann die Zahl zm keine Nullstelle des Polynoms f sein, denn sonst könnte man (x − zm) aus f(x) ausklammern. Daraus würde aber im Widerspruch zur Voraussetzung (der Grad von z ist n) folgen, dass z einer Gleichung genügen würde, deren Grad < n wäre. Daher ist . Setzt man (2) in (1) ein, erhält man einen ganzzahligen Zähler und den Nenner qn + 1. Dieser Zähler ist ungleich 0, also vom Betrag größer oder gleich 1. Somit ergibt sich:
[Bearbeiten] Beispiele für transzendente Zahlen
- π = 3,1415926535897932384626433832795... Die Transzendenz von π, welche durch Carl Louis Ferdinand von Lindemann bewiesen wurde, ist auch der Grund für die Unlösbarkeit der Quadratur des Kreises.
- e = 2,7182818284590452353602874713526..., die Eulersche Zahl, deren Transzendenz 1873 von Charles Hermite bewiesen werden konnte.
- ea für algebraisches a ≠ 0. Siehe auch Satz von Lindemann-Weierstraß.
- . Allgemeiner konnte Gelfond 1934 zeigen: Ist 0 ≠ a ≠ 1, a algebraisch, b algebraisch und irrational, dann ist ab eine transzendente Zahl. Dies ist eine Teillösung von Hilberts siebtem Problem. Ob der obige Satz auch für transzendente b wahr ist, blieb bisher ungeklärt.
- sin(1)
- ln(a) für rationales positives a ≠ 1
- Γ(1/3) und Γ(1/4) (siehe Gammafunktion)
- ,β > 1. Die Klammer ist hierbei die Gaußklammer.
[Bearbeiten] Verallgemeinerung
Im Kontext allgemeiner Körpererweiterungen L/K betrachtet man ebenfalls Elemente in L, die algebraisch oder transzendent über K sind. Siehe dazu Algebraisch.
[Bearbeiten] Literatur
- P. Bundschuh Zahlentheorie. Heidelberg, Springer 1998, 4. Aufl., ISBN 3-540-43579-4.
Bietet einen einführenden Überblick zum Thema "transzendente Zahlen" an. - A. Baker Transcendental number theory. Cambridge, Cambridge University Press 1990 (Nachdruck), ISBN 052139791X.
Ein anspruchvolles Standardwerk, das tiefgreifende Theoreme entwickelt, aber profundes Vorwissen voraussetzt. - A. Shidlovskii Transcendental numbers. Berlin, de Gruyter 1989, ISBN 3-11-011568-9.
Besser lesbar als das Buch von Baker, dennoch ähnlich fundiert. - A. Jones, S. Morris, K. Pearson Abstract Algebra and Famous Impossibilities. New York, Springer 1994, 2. Aufl., ISBN 0-387-97661-2.
Enthält eine ausführliche Schritt-für-Schritt-Erläuterung des Lindemannschen Transzendenzbeweises für π. - D. Hilbert Über die Transcendenz der Zahlen e und π. Mathematische Annalen 43, 216-219 (1893).