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Verständigung im Strafverfahren - Wikipedia

Verständigung im Strafverfahren

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Verständigung im Strafverfahren, volkstümlich (unter Einfluss amerikanischer Kriminalfilme) auch als "deal" bezeichnet, wird im Strafverfahren eine Absprache bezeichnet, bei der die Folgen einer Verurteilung zwischen den Beteiligten abgestimmt werden sollen.

Das Interesse des Gerichtes und der Staatsanwaltschaft besteht dabei darin, dass der Angeklagte sich bei einer gelungenen Verständigung zu einem Geständnis bereitfinden wird, wodurch der Aufwand des Verfahrens stark reduziert werden kann. Der Vorteil des Angeklagten besteht darin, dass er einerseits eine gewisse Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erlangt, andererseits eben durch das Ablegen des Geständnisses einen erheblich zu seinen Gunsten sprechenden Strafmilderungsgrund herbeiführt.

Ein deal ist gesetzlich nicht geregelt. Von der amerikanischen Variante der Verständigung unterscheidet sich der deal nach deutschem Srafverfahrensrecht in erster Linie dadurch, dass in den USA das Gericht die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht überschreiten darf, weshalb der Verfahrensstoff (ähnlich dem deutschen Zivilprozess) vollständig der Disposition der Verfahrensbeteiligten unterliegt.

In Deutschland, wo dem Gericht eine eigene Aufklärungsfunktion sowie die Urteilsfindung obliegt, ohne hierbei an Anträge der Verfahrensbeteiligten gebunden zu sein (Amtsermittlungsgrundsatz), ist eine Verständigung nicht einfach dadurch möglich, dass sich die Anklagebehörde mit dem Angeklagten oder seinem Verteidiger auf ein Verfahrensergebnis einigt. Vielmehr bedarf es schon theoretisch der Mitwirkung des Gerichts, das seine Aufklärungspflicht hierüber auch nicht verletzen darf.

In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird demnach häufig darauf hingewiesen, die Strafprozessordnung sei anders als der Zivilprozess grundsätzlich vergleichsfeindlich ausgestaltet. Ein "Handel mit der Gerechtigkeit" sei dem Rechtsstaat fremd und habe daher zu unterbleiben.

Angesichts des gleichwohl zur Einsparung prozessualer Ressourcen bestehenden Bedürfnisses nach derartigen Absprachen sind sie jedoch zunehmend ein Teil der Strafprozesswirklichkeit geworden, bis auch der Bundesgerichtshof zögernd die Zulässigkeit von Absprachen anerkannte. Federführend war hierbei der 4. Strafsenat des BGH unter dem Vorsitz von Lutz Meyer-Goßner.

In dem Maße, wie der BGH indes Absprachen grundsätzlich akzeptierte, versuchte er auch, die Grenzen dieser Praxis aufzuzeigen. So darf eine Absprache grundsätzlich nur über den Rechtsfolgenausspruch, keinesfalls über den Schuldspruch erfolgen. Auch ist es dem Gericht verwehrt, sich im Zusammenhang mit einer Absprache versprechen zu lassen, dass die Verfahrensbeteiligten auf Rechtsmittel verzichten werden.

Gerade die Frage nach den Folgen eines gleichwohl unzulässigerweise mit vereinbarten Rechtsmittelverzichts führte dazu, dass sich im Jahr 2005 der Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit dem Problem verfahrensbeendender Absprachen im Rahmen einer Verständigung befassen musste. Der Große Senat stellte hierbei unter anderem die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren, die im 2. Strafsenat noch umstritten gewesen war, fest, weil - sei es aus Gründen der Prozessökonomie, oder auch des Zeugen- und Opferschutzes, ein praktisches Bedürfnis an einer Einschränkung des Umfanges der Beweisaufnahme bestehen kann. Der Große Senat bestätigte aber auch die bereits zuvor in der Judikatur des BGH aufgestellten Grenzen einer derartigen Verständigung.

Ein aktuelles Beispiel für eine solche Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht war das Verfahren gegen Holger Pfahls, dem seine Kooperation und sein Geständnis angerechnet wurden, so dass dieser nun lediglich noch eine Bewährungsstrafe verbüßt.

[Bearbeiten] Probleme und Grenzen

In der Praxis kommen solche Absprachen häufig vor, in der rechtswissenschaftlichen Literatur werden sie scharf kritisiert. Dieses Problems war sich auch der Große Senat in seiner Entscheidung vom März 2005 bewusst:

"An den dem BGH zur Entscheidung unterbreiteten Fällen wird deutlich, dass sich die Verständigung zwischen den Prozeßbeteiligten zunehmend von einem mit der Strafprozeßordnung problemlos zu vereinbarenden "offenen Verhandeln" des Gerichts in Form der Bekanntgabe einer dem jeweiligen Verfahrensstand entsprechenden Prognose entfernt. Die Urteilsabsprache bewegt sich hingegen in die Richtung einer quasivertraglichen Vereinbarung zwischen dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten. Die Strafprozeßordnung in ihrer geltenden Form ist jedoch am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen ist, Versuche der obergerichtlichen Rechtsprechung, Urteilsabsprachen, wie sie in der Praxis inzwischen in großem Umfang üblich sind, im Wege systemimmanenter Korrektur von Fehlentwicklungen zu strukturieren oder - wie die vorstehende Lösung zeigt - unter Schaffung neuer, nicht kodifizierter Instrumentarien ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen, können daher nur unvollkommen gelingen und führen stets von neuem an die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung.
Der Große Senat für Strafsachen appelliert an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln. Es ist primär Aufgabe des Gesetzgebers, die grundsätzlichen Fragen der Gestaltung des Strafverfahrens und damit auch die Rechtsregeln, denen die Urteilsabsprache unterworfen sein soll, festzulegen. Dabei kommt ihm - auch von Verfassungs wegen - ein beachtlicher Spielraum zu (BVerfGE 57, 250, 275 f.)."

BGH, Beschluss vom 3. März 2005, Aktenzeichen: GSSt 1/04

(vgl. hierzu auch schon das Urteil des BGH vom 28. August 1997 - BGHSt 43, 195)

[Bearbeiten] Leitsätze der Entscheidung des GSSt

In den Leitsätzen dieser Entscheidung wurden die Voraussetzungen umrissen, unter denen ein deal im Strafverfahren zulässig ist:

  1. Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken.
  2. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte.
  3. Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt worden ist.

[Bearbeiten] Siehe auch

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