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Wanderjahre - Wikipedia

Wanderjahre

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Verschiedene Handwerker auf der Wanderschaft.
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Verschiedene Handwerker auf der Wanderschaft.

Die Wanderjahre, auch Walz, Stör oder Tippelei genannt, bezieht sich auf die Wanderschaft zünftiger Gesellen. Sie bezeichnet die Zeit des Wanderns der Gesellen nach dem Abschluss seiner Lehrzeit (Lossprechung). Die Wanderschaft war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen für den Gesellen, die Prüfung zum Meister zu beginnen.

Unser heutiges Bild über die Gesellenwanderung ist häufig verklärt durch einzelne fragmentarische Überlieferungen, die sich überwiegend auf den Zeitraum des späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhunderts beziehen. Die Geschichte der Wanderschaft als Teil der Handwerks- und Industriegeschichte sowie der Migrationsforschung ist bislang nur in Bruchstücken rekonstruiert.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wanderschaft im 18. Jahrhundert

Die Ausbildung begann mit der Lehre und endete mit der Gesellenprüfung. Der Zeitraum den die Wanderschaft umfasste unterschied sich über die Jahrhunderte, je nach Gewerk und Ort der Innung. Die Dauer war in den Artikeln der jeweiligen Zunft festgelegt.

Nach dem Ablauf der Hälfte der Wanderjahre bestand die Möglichkeit sich durch Angehörige als Anwärter auf die Meisterschaft im Buch der jeweiligen Innung eintragen zu lassen. Erst nach Beendigung der Wanderschaft und einer weiteren mehrjährigen Arbeitszeit, den so genannten Mutjahren in einer Werkstatt am Ort der Antragstellung, bestand die Möglichkeit sich zum Meisterstück anzumelden. An die Erlangung der Meisterschaft war das Niederlassungsrecht gebunden und damit die Eintragung als Bürger in das Bürgerbuch der Stadt. Erst dann bestand die Möglichkeit der Heirat.

[Bearbeiten] Personenkreis

Die Wanderschaft war ein Teil des vorgeschriebenen Ausbildungsweges all derer, die dem Zunftzwang unterlagen. Frauen und Kleingewerbetreibende in den Vorstädten größerer Städte und Hofhandwerksleute standen im 18. Jahrhundert außerhalb des Zunftzwanges.

[Bearbeiten] Funktion

Die bisherige Interpretation der Wanderschaft geht von zwei prinzipiell damit verbundenen und Funktionen aus. Neben der Ausbildung, dem Wissenserwerb und dem damit verbundenen überregionalen Wissenstransfer war die Regulierung des regionalen Arbeitsmarktes und die schwankenden Absatzbedingungen von Bedeutung.

[Bearbeiten] Ablauf

Der Ablauf der Wanderschaft wurde in den die innere Ordnung der Zunft speziell abgestimmten Artikeln, dem Artikelbuch festgelegt und unterschied sich zeitlich, regional und nach dem Gewerk. Die Einschreibung der Gesellen nach Ankunft bei der Lade war mit der Ablegung eines Geselleneid auf die Zunft- bzw. Innungslade verbunden. Oftmals wurden die Gesellen einzelnen Meistern zugewiesen, da die Zahl der es für die Meister Beschränkungen der in der Anzahl der beschäftigten Gesellen gab. Die Kündigung war beiden Seiten möglich.

Das Artikelbuch der Innungen regelte dabei im Allgemeinen die Bedingungen der Wanderschaft für die ausziehenden Gesellen wie auch das arbeitsrechtliche Verhältnis von Gesellen und Meistern innerhalb der jeweiligen Innung. Dabei wurden neben dem Lohn auch die Beiträge zur Gesellenlade, das Krankenwesen und die Reglementierung des Lebens der Gesellen festgelegt. Ein Beispiel dafür sind die in unterschiedlichen Abständen abgehaltenen Irthen an den so genannten Zechtagen. Diese Trinkgelage während der Gesellenversammlungen, mussten durch den Innungsältesten und dessen Beisitzer genehmigt werden und waren beim Herbergsvater, dem Ladenvater anzumelden.

Gesellen waren ebenfalls zu Innungen vereinigt. Dies wurde jedoch nicht überall widerspruchslos geduldet. Größeren Geselleninnungen standen oft ein oder mehrere Altgesellen, die Ladengesellen vor. Als Geselle gehörte man zu den Besitzlosen, den Habenichtsen.

[Bearbeiten] Wanderrouten

Das Wanderungsverhalten der Gesellen wird in der historischen Migrationsforschung untersucht. Einen nicht geringen Einfluss auf die gewählten Ziele hatten dabei Sprachgrenzen, die Religion und bereits bestehende Migrationsnetzwerke. Dabei waren Ballungsräume das bevorzugte Ziel der Wanderungen. Staatliche Restriktionen des Wanderungsverhaltens wirkten sich erst im 19. Jahrhundert aus.

[Bearbeiten] Journeyman

Die Wanderschaft mitteleuropäischer Handwerksgesellen unterschied sich von denen des journeyman im Vereinigten Königreich. Der Begriff kann nur bedingt mit dem des Gesellen verglichen werden.

[Bearbeiten] Bedeutungsverlust

Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert beginnen im Heiliges Römisches Reich gewerberechtliche Reformen, wie die 1731 vom Kaiser ratifizierte Reichshandwerksordnung die die ständische Gesellschaft in eine vorindustriell geprägte Gesellschaft wandeln sollte. Eine konsequente Umsetzung blieb jedoch aus. Erst nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges kam es in vielen deutschen Ländern zu beschleunigten Staatsreformen, die eine Liberalisierung der Wirtschaft zur Folge hatten. Mit der Zunahme der neu gegründeten Manufakturen entstanden zunehmende Konflikte zum alten Handwerk. Von staatlicher Seite wurde dabei eine immer offenere Förderung und Bevorzugung des Handels- und Manufakturwesens betrieben. Die Reform des Gewerbes im 19. Jahrhunderts bildet den administrativen Abschluss der Entwicklung.

Daraus entstanden Konsequenzen für die überlieferten Privilegien, Regelungen und Bräuche der Innungen des Handwerks. Auch die Verpflichtung zur Wanderschaft war davon betroffen. Die verstärkte Spezialisierung und die beginnende Mechanisierung stellten andere Anforderungen an die Arbeitskräfte. Eine umfassende Ausbildung in dem jeweiligen Gewerbezweig der Manufaktur hatten nur noch wenige Meister, Gesellen und Lehrburschen. Sonderregelungen gestatteten es nicht zünftige Meister und Gesellen anzustellen. Neben diesen wuchs der Anteil unqualifizierter Hilfsarbeiter in den Manufakturen, die nunmehr lediglich Teilarbeiten des Handwerks kannten und ausführten. Die innerbetriebliche Ausbildung der wenigen noch umfassend ausgebildeten Lehrlinge war mit der nachhaltigen Bindung an das Unternehmen gekoppelt. Nur diesen eröffnete sich in der Regel die Möglichkeit des betrieblichen Aufstieges zum Gesellen, Meister oder Werkmeister.

Ihre Förderung war zielgerichtet am Profil des Unternehmens orientiert. Die selbst bestimmten Wanderschaft wurden durch die domestizierte betriebliche Verschreibungen und Delegation in spezielle branchengleiche Unternehmen von gutem Ruf vereinbart. Im Anschluß sollte das gesammelte Wissen das heimische Unternehmen befruchten. Die Form des Wissenstransfers durch Verschreibungen verlor bereits am Ende des 18. Jahrhundert an Bedeutung. Mit der weiteren Spezialisierung vieler Gewerbe einher ging die Gründung von Gewerbe- Ingenieur- und Hochschulen die das Wandern als Qualifikation weitgehend abgelöst haben. Nur in wenigen Haupt- und Nebengewerken des Bauhandwerks blieb die Wanderschaft weiter erhalten.

[Bearbeiten] Gegenwart

Heutzutage ist die Wanderschaft freiwillig. Hat man sich aber dafür entschieden, so sind drei Jahre Wanderschaft als Minimum bei Schächten wie die Rechtschaffenen Fremden, Rolandsbrüder und dem Fremden Freiheitsschacht vorgeschrieben. Ausnahmen machen die Freien Vogtländer Deutschlands und Axt und Kelle-Gesellen, welche eine Mindestreisezeit von zwei Jahren und einem Tag vorschreiben.

Auf die Wanderschaft darf heute nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, jünger ist als 30 Jahre, ledig und schuldenfrei. Oftmals ist ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Einträge erforderlich.

Die Tippelei war und ist teilweise an schwierige Bedingungen geknüpft. So darf der Fremde in seiner Reisezeit einen Bannkreis von meist 50 km um seinen Heimatort nicht betreten, auch nicht im Winter oder zu Feiertagen. Weiterhin muss er in der Öffentlichkeit immer seine Kluft tragen, stets gepflegt erscheinen und sich einer rechtschaffenen Lebensweise befleißigen. Er darf kein eigenes Fahrzeug besitzen und bewegt sich nur zu Fuß oder per Anhalter fort. Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht verboten, aber verpönt. All sein Hab und Gut verstaut der wandernde Geselle in einem Charlottenburger oder Charlie oder (seltener) in einem Felleisen, einem historischen Tornister der Schweizer Armee.

Im mitgeführten Wanderbuch sammelt der "Tippelbruder"- (wobei Tippelbrüder mehr als Beleidigung zählt, da damit Berber und Speckjäger gemeint wurden) die Städtesiegel der von ihm besuchten Ortschaften, nachdem er bei deren Bürgermeistern "zünftig um das Siegel vorgesprochen" hat.

Die Wanderschaft darf nur aufgrund wirklich zwingender Gründe und dann im Einverständnis mit dem zuständigen Schacht abgebrochen werden, etwa bei einer schweren Krankheit. Andernfalls wäre eine Unterbrechung "unehrbar", das Wanderbuch würde eingezogen und die Kluft "an den Nagel gehängt".

Trotz all dieser Bedingungen sind die Wanderjahre für viele Ausgereiste die schönsten Jahre des Lebens, da man in dieser Zeit die größte Freiheit genießen kann.

Im Jahr 2005 waren zwischen 600 und 800 Gesellen freiwillig auf der Wanderschaft.

Viele Wanderlieder sind eigentlich Lieder von Handwerksgesellen. Die Wanderjahre spiegeln sich auch im englischen Wort für Geselle, Journeyman (Reisender), wider. Mehr über die Wanderschaft kann man direkt bei den Schächten, bei Reisenden oder im Blankenburger Herbergsmuseum erfahren.

[Bearbeiten] Literatur

  • Hobsbawm, Eric J. 1965. Tramping Artisan. In: Labouring Men. Studies in the History of Labour. London.
  • Steidel, Annemarie. 2003. Auf nach Wien! Die Mobilität des mitteleuropäischen Handwerks im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel der Haupt- und Residenzstadt. München.
  • Wozel Heidrun. 1990. Ausbildungsprobleme zwischen Handwerk und Manufaktur – dargestellt anhand Dresdner Archivalien. In: Studien zur älteren sächsischen Handwerksgeschichte. Czok, Karl; Bräuer, Helmut. Berlin: Akademie-Verlag.

[Bearbeiten] Siehe auch

Schacht (Vereinigung), C.C.E.G.

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