Zeugen Jehovas
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Die Zeugen Jehovas sind eine im ausgehenden 19. Jahrhundert in den USA durch Charles Taze Russell gegründete christlich-chiliastische Religionsgemeinschaft. Es gibt weltweit etwa 6,6 Millionen aktive Mitglieder (2005), davon ca. 165.000 in Deutschland, 20.000 in Österreich und etwa 18.000 in der Schweiz.
Das deutsche Verwaltungszentrum der Religionsgemeinschaft befindet sich unter dem Namen "Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft, Deutscher Zweig e.V." in der Gemeinde Selters im Taunus. Der Sitz der Religionsgemeinschaft KdÖR befindet sich Berlin.
Die Zeugen Jehovas grenzen sich streng von anderen Glaubensgemeinschaften ab und sind für ihre stark ausgeprägte Missionstätigkeit, ihre Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!, die Ablehnung von Bluttransfusionen sowie die Verweigerung des Militärdienstes bekannt.
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Einordnung
Einige Kritiker werfen ihr totalitäre Strukturen und Missachtung der Menschenwürde vor[1]. Durch die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde den Zeugen Jehovas jedoch die geforderte Rechtstreue gegenüber der staatlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland attestiert. Auch empfahl die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zu sogenannten Sekten und Psychogruppen in ihrem Abschlussbericht 1998, den Begriff Sekte aufgrund seiner sprachlichen Vieldeutigkeit nicht zu benutzen.[2]
Name
Den Namen „Jehovas Zeugen“ benutzt die früher als „Ernste Bibelforscher“ oder „Internationale Bibelforschervereinigung“ bekannte Religionsgemeinschaft erst seit 1931. Die Bezeichnungen Jehovas Zeugen und Zeugen Jehovas werden nicht einheitlich verwendet; Ortsvereine sind teilweise als „Jehovas Zeugen (mit Stadtbezeichnung) e.V.“ eingetragen.
In Deutschland wird die neureligiöse Gemeinschaft durch Jehovas Zeugen in Deutschland, K. d. ö. R. und durch die Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft der Zeugen Jehovas, e. V. vertreten. Letztere, deren Mitgliederzahl und Funktion nicht so genau feststeht, wird kurz auch als Wachtturm-Gesellschaft bezeichnet.
Zur Herkunft des Namen Jehova siehe auch Artikel JHWH.
Geschichte
Die Ursprünge der Zeugen Jehovas finden sich in der Gruppe und dem späteren Lesekreis um Charles Taze Russell, der als Presbyterianer erzogen wurde, und der damals noch Mitglied der Kongregationalistenkirche war[3]. Er begann enttäuscht von den Lehren seiner Kirche, ein intensives Studium der Bibel. Er verstand nicht, wie ein Gott der Liebe eine ewige Qual für Sünder anordnen könne. 1870 gründete er nach diesen Erlebnissen mit Bekannten einen Kreis zur Erforschung der Bibel. Bis 1875 bildeten sie sich aus der Bibel die Meinung, dass
- es keine unsterbliche Seele gebe, aber die Unsterblichkeit als Gabe im himmlischen Reich gewährt würde
- Jesu Tod ein Loskaufsopfer für alle Menschen darstelle
- die Wiederkunft Christi zunächst unsichtbar erfolgen würde, um die Seinen zu sammeln
- die Wiederkunft Christi nicht in erster Linie den Zweck einer Vernichtung hat, sondern einen Segen für die wiederhergestellte Menschheit bedeuten würde.
Im Jahr 1876 erhielt Russell eine Ausgabe der Zeitschrift Herald of the Morning, die von dem Adventisten Nelson H. Barbour in Rochester herausgegeben worden war. Barbour überzeugte Russell davon, dass die unsichtbare Wiederkunft Christi bereits 1874 stattgefunden habe. Diese Überzeugung ließ Russell noch aktiver werden; dazu schränkte er seine geschäftlichen Aktivitäten ein. Er unterstützte die Zeitschrift, deren Mitherausgeber und Finanzier er wurde. Gemeinsam gaben sie auch das Buch Three Worlds, and the Harvest of This World heraus, in dem sie Gründe für die angebliche Wiederkunft Christi im Jahre 1874 und für „die irdische Phase des Reiches Gottes“ (Ende der Zeiten der Nationen, „sieben Zeiten“) im Jahre 1914 ausführten.
Barbour und Russell arbeiteten zusammen, bis es zum Eklat in Bezug auf den Wert des Loskaufsopfers kam. Kurz darauf trennten sich die Beiden. Russell gründete eine eigene Zeitschrift, Zion's Watch Tower and Herold of Christ's Presence, die ab Juli 1879 mit einer Startauflage von 6.000 Exemplaren erschien und bis heute als Der Wachtturm in einer Millionenauflage ohne Unterbrechung erscheint.
1881 gründete er die Zion's Watch Tower Tract Society, die 1884 nach den Gesetzen des Staates Pennsylvania als Körperschaft eingetragen wurde. Die Leitung übernahm Russell selbst.
Zu seinem umfangreichen Schrifttum zählt auch die ab 1886 erscheinende Buchreihe Millennium-Tagesanbruch, die später (in kleineren Auflagen ab 1904) in Die Schriftstudien umbenannt wurde. Zu Russells Lebzeiten erschienen sechs Bände. Der abschließende siebte Band erschien kurz nach seinem Tod, der sich inhaltlich nur zum Teil auf das stützte, was Russell geschrieben hatte. Bis 1916 waren knapp 9,4 Millionen Exemplare erschienen.
Nachdem Russell auf der Heimfahrt von einer Vortragsreise in einem Zug verstarb, wurde am 31. Oktober 1916 Joseph Franklin Rutherford nach verschiedenen internen Spannungen einstimmig zum Präsidenten der Watch Tower Society gewählt.[4]. Die Veränderungen in Lehre und Leitung führten zum Bruch und zur Gründung verschiedener Bibelforscher-Bewegungen, z.B. des Pastoralen Bibel Institutes, oder der auch in Deutschland heute noch ebenso aktiven Tagesanbruch Bibelstudien-Vereinigung und der Laien-Heim-Missionsbewegung.Die Annahme des Namens Jehovas Zeugen im Jahr 1931 diente zur Abgrenzung von den Freien Bibelforschern und entsprach dem Wunsch eine biblische Basis für die Gruppenbezeichnung zu finden; der Hinweis auf Jesaja 43, 10-12: „ihr seid meine Zeugen, ist der Ausspruch Jehovas“ wurde dafür herangezogen.
Der Wachtturm auf Deutsch erschien erstmals 1897. In Deutschland gibt es sie offiziell seit 1903, als in Elberfeld (heute Wuppertal) ein Zweigbüro der Wachtturmgesellschaft eröffnet wurde. Später gab es ein Zweigbüro in Magdeburg. 1927 wurde die Gemeinschaft als Internationale Bibelforscher-Gemeinschaft im Vereinsregister des Amtsgerichts Magdeburg eingetragen. 1946 wurde ein zusätzliches Büro in der amerikanischen Zone eröffnet.
Unter Bezugnahme auf ein russisches Gesetz gegen „Religionen, die Intoleranz und Hass predigen“ sind nach einem langjährigen Prozess seit 2004 die Aktivitäten der Zeugen Jehovas in Moskau verboten[5][6].
Die Watchtower Bible and Tract Society Inc. geriet in die Kritik, nachdem Vorwürfe erhoben wurden, dass Älteste sexuellen Missbrauch in der Gemeinschaft vertuscht hätten. Mitglieder der Zeugen Jehovas, die Opfer von sexuellem Missbrauch werden, sind angewiesen, das den Ältesten zu melden[7].[8]. In mehreren Fällen sollen Älteste Opfern geraten haben, die Anschuldigungen zu verschweigen oder gar mit einem internen Verfahren wegen Lästerei und Verleumdung gedroht haben[9][10][11][12]. In den USA wurden darauf hin etwa 57 Klagen eingereicht[13][14].
Diskriminierung und Verfolgung in Deutschland
- Siehe auch Hauptartikel Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus
Wegen ihrer konsequenten Weigerung, den Hitlergruß zu erbieten, wurden sie in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus zum Teil heftig verfolgt.
Später auch in der DDR, wobei führende Zeugen Jehovas als Mitarbeiter der Stasi viele der einfachen Gläubigen an die Stasi verraten haben. Seit einigen Jahren beschäftigen sich die Zeugen Jehovas mit dieser Zeit und ihren Auswirkungen auf die Mitglieder der Gemeinschaft und ihres Umfelds.
Nach dem Krieg erhielten die Zeugen Jehovas zunächst die Zulassung der „gottesdienstlichen Betätigung“ in Magdeburg. Doch im August 1950 wurden sie in der DDR völlig verboten und ihr Zweigbüro in Magdeburg geschlossen. Ihnen wurde vorgeworfen, Hetze gegen die demokratische Ordnung zu betreiben und Spione einer imperialistischen Macht zu sein. Am 3. und 4. Oktober 1950 wurden Schauprozesse durchgeführt, die mit hohen Zuchthausstrafen für die Angeklagten endeten. Bis 1956 war allerdings kein einziger Zeuge Jehovas des Vorwurfs der Spionage überführt worden. In diesen ersten Jahren versuchte man durch besondere Härte vorzugehen. Es kamen 1.850 Zeugen Jehovas in den DDR-Strafvollzug. In dieser Zeit gab es 60 Todesfälle, die auf Misshandlung, Unterernährung, Krankheit und hohes Alter zurückzuführen sind. Es wurden zwölf lebenslange Haftstrafen ausgesprochen (später wurden sie auf 15 Jahre Haft abgeändert). Man versuchte sogar, den damaligen Leiter des Ost-Berlin-Büros in West-Berlin zu entführen.
Bis Mitte der 1950er Jahre war der Mitgliederbestand der ostdeutschen Zeugen Jehovas in etwa mit dem vor Beginn des Verbots vergleichbar. Das MfS änderte nun die Taktik (auch aufgrund der Abkehr vom Stalinismus). Man versuchte jetzt, die Gemeinschaft zu zersetzen, indem man sie mit eingeschleusten Personen zu unterwandern suchte, um so die Zeugen Jehovas von innen heraus zu zerstören. Man beabsichtigte dabei, das Vertrauen in die Leitung der Zeugen Jehovas durch Briefe und ab 1965 durch eine eigens herausgegebene Zeitschrift „Christliche Verantwortung“ zu erschüttern. Dieses nicht in der offiziellen Postzeitungsliste der DDR nachgewiesene Blatt stand Interessenten in Ost und West auf Anfrage zur Verfügung. Darüber hinaus erhielten es etliche Zeugen Jehovas in der DDR und BRD als ungebetene Zusendung.
Ab 1967 wurde jedoch kein Zeuge mehr wegen seiner Tätigkeit von Strafgerichten verurteilt. Der illegale Predigtdienst und die Verbreitung von Zeitschriften wurde aber weiter als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Von 1962 bis 1985 wurden Zeugen Jehovas wegen ihrer Weigerung, Wehrdienst zu leisten, zu Haftstrafen verurteilt (bis 1987 waren es 2.750). Noch kurz vor Ende der DDR wurden für den Predigtdienst unsystematisch Geldstrafen bis zu 1.000 Mark (mehr als ein Monatslohn eines Arbeiters) erhoben.
Das 1978 eingeführte Pflichtfach „Wehrunterricht“ brachte junge Zeugen Jehovas in Bedrängnis. Vielen wurde daraufhin eine berufliche und schulische Weiterbildung verwehrt.
Insgesamt kamen bis zum Ende der DDR-Zeit über 5.000 Zeugen Jehovas in Strafvollzugsanstalten und Haftarbeitslager. Ein Teil der Betroffenen gilt als „Doppeltverfolgte“: etwa 325 waren bereits im NS-Regime eingesperrt. Trotz vieler persönlicher Leiden und obwohl es durch die beiden Diktaturen zahlreiche Doppelopfer gab, gelang es dem SED-Staat nicht, die Organisation der Zeugen Jehovas zu zerschlagen.
Verhältnis zum Staat in der Bundesrepublik Deutschland
- Siehe auch den Hauptartikel Kriegsdienstverweigerung der Zeugen Jehovas
Nach einem 15-jährigen Rechtsstreit ist vom Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden worden, dass der Anspruch der Zeugen Jehovas auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Berlin zu Recht besteht.
Diese Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde vom Land Berlin bisher mit der Begründung abgelehnt, die Zeugen Jehovas weisen die für die Anerkennung erforderliche Rechts- und Staatstreue nicht auf, obwohl das Grundgesetz diese Anforderung der Staats- und Rechtstreue nicht (explizit) fordert.
1993 befand daraufhin das Verwaltungsgericht Berlin, dass diese ungeschriebene Verleihensvoraussetzung der 'Rechtstreue' bzw. der 'uneingeschränkten Achtung der Rechtsordnung' für den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht führte aus, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihrer Rechtsstellung als Körperschaft im außerkirchlichen Bereich nicht die Gewähr der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen biete oder dem Staat aktiven Widerstand leisten werde. Das allein könne die Versagung der Verleihung von Körperschaftsrechten begründen. Angesichts des Umstands, dass die Beschwerdeführerin als mitgliederstarke Religionsgemeinschaft jahrzehntelang in der demokratischen Gesellschaft unbeanstandet tätig sei, müsse man davon ausgehen, dass es verfassungsfeindliche Bestrebungen und gesetzeswidrige Verhaltensweisen bei den Zeugen Jehovas nicht gebe.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin bestätigte 1995, dass die ungeschriebene Voraussetzung der 'Rechtstreue' erfüllt sei.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bemängelte jedoch die Nichtteilnahme an staatlichen Wahlen, erkannte aber an, dass „die Gemeinschaft ... dem Staatswesen gegenüber ... grundsätzlich positiv eingestellt [sei]“.[15]
Gegen dieses Urteil des BVerwG legten die Zeugen Jehovas Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht bemerkte daraufhin in seinem Urteil im Jahre 2000, dass „nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens in Frage“ stelle. „In ihrer auf Abgrenzung bedachten Haltung, die sich auf religiös begründete Verlautbarungen beschränkt und sich politischer Optionen enthält, übt die Beschwerdeführerin offenbar keinen spürbaren Einfluss auf Nichtmitglieder aus.“ Inwieweit „durch die von ihr empfohlenen Erziehungspraktiken das Wohl der Kinder beeinträchtigt oder austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft festhält und damit dem staatlichen Schutz anvertraute Grundrechte beeinträchtigt“ seien, wollte das Gericht durch Zurückverweisung an das Bundesverwaltungsgericht prüfen lassen.[16]
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte am 17. Mai 2001 entsprechend den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts und verwies den Rechtsstreit mit der Begründung an das Oberverwaltungsgericht Berlin zurück, dass die bisher getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Frage der Beachtung der Grundrechte durch die Zeugen Jehovas nicht ausreichend geklärt seien. Es sei vom Oberverwaltungsgericht zu klären, ob die Erziehungspraktiken der Zeugen Jehovas darauf hinauslaufen, dass sie Austrittswillige aus der Familie herausdrängen oder den Kontakt von Kindern mit ihren Eltern erschweren würden.
Am 2. Dezember 2004 schlug das Gericht eine Einigung zwischen den Prozessparteien bis zum 20. März 2005 vor. Im Rahmen des Vergleichs wären die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt worden, hätten jedoch auf einige Rechte verzichten müssen. Die Zeugen Jehovas stimmten dem Vergleich zu, nicht jedoch das Land Berlin.
Daraufhin kam es am 24. März 2005 zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin, wonach die Zeugen Jehovas in Deutschland die Voraussetzungen zur Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit allen damit verbundenen Rechten erfüllen und vom Land Berlin deshalb anerkannt werden müssten. Das Gericht sah den Vorwurf der mangelnden Rechtstreue als nicht bewiesen an.[17] Eine vom Berliner Senat beim BVerwG Leipzig eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde wurde am 10. Februar 2006 abgelehnt.[18] Am 13. Juni 2006 wurde der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas die Rechte einer KdöR durch den Berliner Senat verliehen.[19]
Verbreitung
Im Jahr 2005 gab es weltweit in 98.269 Versammlungen ca. 6,6 Millionen aktive Zeugen Jehovas, davon wurden 164.593 in Deutschland gezählt. Über eine Million Mitglieder leben allein in den USA.
Durch deren intensive Mission werden jährlich etwa 250.000 Erwachsenentaufen durchgeführt (was 3,8% entspricht). Abzüglich der Todesfälle, Ausschlüsse und Austritte, sowie Unterscheidung zwischen aktiven und inaktiven Mitgliedern (in den Statistiken werden nur die aktiven Mitglieder gezählt) ergibt sich der tatsächliche Zuwachs um etwa 1,3%. Dieser Zuwachs findet zu großen Teilen in Osteuropa und in den Entwicklungsländern statt; in westlichen Ländern ist die Mitgliederzahl rückläufig (die Daten basieren auf den Jahresbericht 2004/2005).
Lehre
Die Zeugen Jehovas leiten ihren Glauben nur von ihrem Verständnis der Bibel ab; dies wird im Sprachgebrauch der Zeugen Jehovas „die Wahrheit“ genannt. Für Jehovas Zeugen beinhaltet die Bibel als Gottes Wort die geoffenbarte Wahrheit. Wer gemäß ihrer Interpretation lebt, befindet sich „in der Wahrheit“ oder „hat die Wahrheit in sich“. Ihre Interpretation der Bibel unterscheidet sich dabei in vielen Punkten von der, die in den meisten anderen christlichen Gemeinschaften anzutreffen ist.
Die „Leitende Körperschaft“ (siehe unten) betrachtet sich als geistgesalbt, nicht nur wenn sie als alleinige Exegetin die gültige Lehre der Zeugen Jehovas bestimmt. Insofern sieht sich jedes Glied dieser Körperschaft als „Bruder Christi“. Auch wenn dieses Gremium keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erhebt, wird doch von jedem erwartet, diese Lehre als „gegenwärtige Wahrheit“, im „Licht der fortschreitenden Erkenntnis“, anzuerkennen und damit sein Leben entsprechend zu gestalten. Zeugen Jehovas glauben, dass die wirkliche Leitung Jesus Christus als von Gott eingesetztes Haupt der Christenversammlung (gemäß Epheser 5, 23-25) inne hat und diese Leitung durch den Heiligen Geist ausübt. Neue Mitglieder der Leitungsgremien werden durch bestehende Mitglieder ernannt und nicht durch Wahlen unter allen Glaubensangehörigen bestimmt (so genanntes theokratisches Prinzip (da der Wille der Leitung mit dem Willen Gottes vermutlich übereinstimme) und keine synodale Kirchenordnung).
Gottesbild (Namen, Dreifaltigkeit)
Angebetet wird „der allmächtige und ewige Gott“ Jehova. Nach dem Bibelverständnis der Zeugen Jehovas hat er die Welt und das Leben im Himmel (Engel) und auf der Erde erschaffen. Seine wichtigsten Haupteigenschaften sind Liebe, Gerechtigkeit, Macht und Weisheit, wobei die Liebe herausragt und all sein Handeln bestimmt. Jehova ist ein unsichtbarer Geist, der unabhängig vom Menschen lebt und persönliches Interesse an jedem Menschen auf der Erde hat.
Die Zeugen Jehovas lehnen hingegen die Lehre der Dreifaltigkeit ab [20]. Sie sind der Auffassung, dass es keine Verse in der Bibel gibt, die bei korrekter Übersetzung und Auslegung die Lehre der Dreieinigkeit stützen. Der heilige Geist ist ihrer Meinung nach weder eine Person noch Teil eines dreieinigen Gottes, sondern lediglich Gottes wirksame Kraft. Sie betrachten die Ablehnung der Lehre der Dreieinigkeit als eines ihrer Haupteckpfeiler im Glaubensgebäude. So sehen sie sich im Widerspruch zu den meisten christlichen Konfessionen, von denen Einige, wie z.B. die Adventisten, zu dieser ursprünglich abgelehnten Lehre zurückgekehrt sind.
Jesus Christus
Das Verständnis der Person Jesu Christi ist bei den Zeugen Jehovas ein völlig anderes als in fast allen anderen christlichen Kirchen. Jesus sei von Gott als erstes Geschöpf erschaffen worden und somit nicht ewig. Da er als Sohn niedriger und geringer sei als Gott, dürfe er nicht angebetet werden, gleichwohl Gebete durch Jesus Christus – in Funktion als Fürsprecher – an Gott gerichtet werden.
Zeugen Jehovas stimmen mit etlichen christlichen, insbesondere protestantischen Gemeinschaften in verschiedenen Punkten über Jesus Christus überein. Dazu gehört, dass Jesus der Sohn Gottes ist, und dass Gott durch ihn alles erschaffen hat. Etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung kam er, „das Wort“ aus Johannes 1,1, auf die Erde und wurde dort als vollkommener Mensch Jesus geboren, indem sein Leben durch Gottes Geist in seine irdische Mutter Maria verpflanzt worden sei. Hauptzweck seines Kommens auf die Erde sei es gewesen, sein vollkommenes menschliches Leben zur Erlösung von Sünde und Tod zu opfern; er ersetzte mit seinem Tod den Verlust des vollkommenen Menschen Adam als ausgleichenden Wert. Christus sei nach dem Tode auferweckt worden und habe sein Opfer Gott im Himmel dargebracht. Seitdem sei er das Haupt der Christenversammlung, die er gründete. Zu Gott könne man nur durch Jesus Christus beten, nur durch ihn gäbe es Vergebung von Sündenschuld und nur durch ihn sei ewiges Leben möglich.
Anders als andere christliche Gruppen deuten die Zeugen Jehovas die Aussage von Johannes 1,1 („und das Wort war Gott“; in der Neue-Welt-Übersetzung als „und das Wort war ein Gott“ wiedergegeben) nicht trinitarisch in dem Sinn, dass Jesus und sein Vater wesenseins seien. Sie unterscheiden sich somit von anderen Gemeinschaften, da sie ihn als Geschöpf ansehen, das von seinem Vater erschaffen wurde und demzufolge auch bei aller Wesens-Ähnlichkeit 'unter' Gott 'stehen' würde [21].
Die Auferstehung Jesu war ihrer Auffassung nach nicht leibhaftig; sie glauben, sein menschlicher Leib sei in der Osternacht vernichtet worden und er sei als „Geistperson“ mit einem „geistigen Leib“, der jedoch nicht aus Materie bestehe, auferstanden. In dieser vor- und nachmenschlichen Gestalt als „Geistperson“ sei Jesus mit dem Erzengel Michael (Judas 9)[22] identisch. Mit dem Erzengel Michael sei niemand anderes als Jesus Christus gemeint, denn der Apostel Paulus gebraucht den Begriff „Erzengel“ ein weiteres mal in 2. Thessalonicher 4:16: „...denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen mit dem gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes, und die in Gemeinschaft mit Christus Verstorbenen werden zuerst auferstehen.“ (Neue-Welt-Übersetzung). Dies müsse deshalb so sein, weil vom Himmel herab niemals der Vater kam, sondern immer nur Engel oder Jesus Christus. Außerdem lasse der Kontext zu obigem Bibeltext keinen anderen Schluss zu, als den dass Jesus Christus der Heerführer der Engelscharen ist. Dabei handelt es sich um eine Sonderlehre der Zeugen Jehovas, die bei keiner anderen christlichen Gruppierung vorhanden ist.
Die Zeugen Jehovas glauben, dass Jesus an einem Pfahl und nicht am Kreuz starb. Die biblischen Wörter auf griechisch („xylon“ bzw. „stauros“) bedeuteten Pfahl, Balken, Stamm oder Baum; in der Bibel werde somit keine explizite Aussage gemacht, ob der Pfahl einen Querbalken hatte oder nicht, sondern nur darüber, dass mehrere Nägel für die Hände verwendet wurden. Sie sehen auch keinen Sinn in der Verehrung eines Gegenstandes – sei es Kreuz oder Pfahl - an dem der Herr Jesus Christus gestorben war. Es sei lediglich ein Hinrichtungswerkzeug, vergleichbar einer Mordwaffe, dem keinerlei Symbolismus beizumessen sei.
Vorstellung von der Zukunft
Sie glauben an die Wiederherstellung des im Garten Eden verloren gegangenen Paradieses auf Erden. Ausgangspunkt ist in ihrer Weltsicht der Hauptwidersacher Gottes Satan, ein abgefallener Engel, der aus Selbstsucht wollte, dass die Menschen ihn anbeten. Er verführte die ersten Menschen, die bewusst sündigten. Ihre dadurch eingetretene Unvollkommenheit vererben die Menschen seitdem an ihre Kinder.
Jehova habe sofort reagiert und für eine Erlösung gesorgt, indem er den Messias ankündigte (1. Mose 3,15). Gott habe aber nicht sofort das Böse beseitigt, weil Satan das Herrscherrecht Gottes und dessen Recht zu bestimmen, was Gut und Böse ist, in Frage stelle. Zur Klärung dieser „Streitfrage“ räume Gott Zeit ein; er erlaube den Menschen zu beweisen, ob sie von Gott unabhängig über sich selbst regieren können und ihre Probleme selbst in den Griff bekämen. Da Satan seinen schlechten Einfluss als „Herrscher der Welt“ (1. Johannes 5,19) geltend mache, gebe es auf der Erde zur Zeit so viel Leid und Ungerechtigkeit.
Leben nach dem Tod
Menschen besitzen nach Auffassung der Zeugen Jehovas keine unsterbliche Seele, sondern der Leib, welcher zu atmen begann, wurde dadurch eine lebendige Seele (1. Mose 2,7). Die Seele sei demnach kein Teil des Menschen, sondern der ganze Mensch — der Mensch als lebendes Wesen. Daher sei die Seele sterblich (Hesekiel 18,4; Prediger 9,5.10) und somit vertreten sie zur Hölle (wie auch die Siebenten-Tags-Adventisten) den annihilationistischen Standpunkt.
Zeugen Jehovas unterscheiden zwei Gruppen von Christen. Eine begrenzte Anzahl von 144.000 (die „kleine Herde“ oder „Geistgesalbte“) habe die Hoffnung, nach ihrem Tod in den Himmel zu kommen, um dort mit Christus als Priester und Könige eine himmlische Regierung zu bilden. Eine unbestimmte Anzahl von Menschen würde in dem oben beschriebenen irdischen Paradies ewig leben. Diese Gruppe setze sich aus Personen zusammen, die zu den Überlebenden von Harmagedon gehören, und aus denen, die in einer irdischen Auferstehung wieder zum Leben gekommen sind. Die Unterscheidung der Gruppen begründen sie mit Texten wie Matthäus 25,40, Johannes 10,1-16 und Offenbarung 7,4-8 sowie 14,1-3. Die Salbung mit Heiligem Geist, durch die jemand ein „Kind Gottes“ und „Bruder Christi“ werde, und die Teilnahme am Abendmahl sei auf diejenigen beschränkt, die mit Jesus Christus im Himmel regieren würden. Denn nur mit ihnen hätte Jesus einen Bund für das Königreich geschlossen und durch den „neuen Bund“ befänden sie sich in einem besonderen Verhältnis zu Gott als ihrem Vater, das durch Jesus vermittelt werde (1.Timotheus 2,5f). Schriftstellen wie Galater 3,26 („Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus“) sehen sie als an die Christen der apostolischen Zeit gerichtet, denn alle damaligen Christen sollen zu den 144.000 gehören, selbst wenn dies der Buchstäblichkeit der Zahl widerspreche; heute seien es dagegen nur noch sehr wenige. Die Einsammlung dieser Gruppe sei im Wesentlichen mit dem Jahr 1935 abgeschlossen, nach diesem Jahr Hinzugefügte wären Ersatz für „Abtrünnige“.
1914 - Beginn der „letzten Tage“
Als Beginn der „letzten Tage“ bezeichnen sie die angeblich 1914 erfolgte Übernahme der Herrschaft Jesu über das „Königreich Gottes“ im Himmel in Form einer „theokratischen Regierung“. Er habe als erste Amtshandlung Satan und seine Dämonen (abtrünnige Engel) aus dem Himmel in die Nähe der Erde (Offenbarung 12,7-9) verbannt. Mit diesem Jahr begannen in den Augen der Zeugen Jehovas die von Jesus vorhergesagten „letzten Tage“. Bis 1914 glaubten sie jedoch, dass die „letzten Tage“ zu diesem Zeitpunkt enden würden.
Dafür spräche u.a., dass die „Zeiten der Nationen“ 2.520 Jahre lang seien. Hierzu sehen sie in den 7 Jahren des Wahnsinns Nebukadnezars (Daniel 4) eine Parallele, die als sieben „prophetische Jahre“ zu jeweils 360 prophetischen Tagen (Hesekiel 4,6) gedeutet werden. 607 v.Chr. hätten die „Zeiten der Nationen“ mit der Zerstörung Jerusalems begonnen. Dieses Jahr weicht allerdings von dem von Historikern genannten Jahr 587/86 v.Chr. als Jahr der Zerstörung Jerusalems ab. Zeugen Jehovas gehen hingegen von 537 v.Chr. als dem Jahr der Rückkehr der jüdischen Bewohner aus dem Babylonischen Exil aus und davon, dass die Bibel eine 70-jährige Gefangenschaft mit anschließender Rückkehr aus dem Exil ankündigte (2. Chronika 36,20-23). Sie geben in ihren eigenen Veröffentlichungen zu, dass sie damit eine von der Historiographie abweichende Sicht einnehmen, was sie allerdings damit begründen, dass sie die Bibel als einzig zuverlässige Quelle respektierten (Siehe Dein Königreich komme, Seite 187).
Endzeit
Der Höhepunkt der Endzeit gipfelt bei Jehovas Zeugen in Harmagedon und wird wie folgt geschildert: Dämonen und Menschen würden zunehmend aggressiv gegen Zeugen Jehovas und andere Menschen vorgehen. Dieses feindliche Klima wird auch als „Große Drangsal“ bezeichnet. Zu einem nur Gott Jehova bekannten Zeitpunkt wird er zum Schutz seines Volkes eingreifen. Der resultierende Krieg soll im Tod aller anderen Menschen und der Festsetzung der Dämonen im Tartarus – einem Gefängnis für Geistwesen – enden. Menschen, die in diesem Krieg von Gott zu Tode gebracht werden, hätten genau wie bei der Sintflut keine Auferstehungshoffnung.
Nach Ansicht der Zeugen Jehovas sind sie in Harmagedon die einzige Organisation, die unter dem besonderen Schutz Jehovas steht [23]. Die Erde bleibe zwar immer bestehen (Psalm 37,10-11, Offenbarung 21,1-5, Johannes 17,3), aber das Böse System samt den Menschen, die nicht Jehovas Willen tun, würde vernichtet (Offenbarung 16,16). Zu verschiedenen Zeiten haben Zeugen Jehovas versucht, den Zeitpunkt dieses Ereignisses zu errechnen. Neben den Jahren 1914 und 1925 war das bekannteste Jahr 1975. Nachdem diese Prognosen nicht eingetreten sind, machen die Zeugen Jehovas nun keine konkreten Zeitangaben mehr.
Die Erde würde bei dem Krieg von Harmagedon nicht buchstäblich, sondern nur sinnbildlich zerstört. Die „alte Erde“ und der „alte Himmel“, die vernichtet würden, stellen die derzeitige Weltordnung mit allen anderen Menschen und Regierungen dar. Andere, sogenannte „falsche“ Religionen – bezeichnet als „Babylon die Große“ – würden zeitlich vor Harmagedon vernichtet werden. Die Zeugen Jehovas sind der Auffassung, ein Mitglied der Gemeinschaft zu sein sei kein Freibrief für das Überleben dieses Krieges. Es zähle die Handlungsweise der jeweiligen Person. Letztendlich gehe es darum, die uneingeschränkte Autorität Gottes über den Menschen zu akzeptieren, zu bezeugen und dementsprechend zu leben.
Paradies auf Erden
Nach Harmagedon beginne das Tausendjährige Reich. Die Überlebenden werden als „Große Volksmenge“ bezeichnet und würden die Erde in ein Paradies umwandeln. Zu dieser Zeit findet die Auferstehung „der Gerechten und Ungerechten“ (Johannes 5,28f) aus dem „Hades“ statt, von der nur die bereits gerichteten Menschen (z.B. in Harmagedon oder zur Zeit der Sintflut), die sich in der „Gehenna“ befinden, explizit ausgenommen seien. Nach der Tausendjahrherrschaft, welche das Ziel habe, die Menschen zur Vollkommenheit zu bringen, finde durch Satan, der diese Zeit über gebunden gewesen sei, eine Endprüfung statt. Diejenigen Personen, die diese Endprüfung bestünden, erhielten ewiges Leben, das Adam und Eva durch den Sündenfall verloren hätten. Damit wäre das verloren gegangene Paradies wiederhergestellt.
Wer diese Zukunft erleben möchte, müsse sich ernstlich bemühen, dem Beispiel Jesus Christus zu folgen, das er auf Erden gab. Notwendig sei es, eine bewusste persönliche Entscheidung zu treffen (Römer 9,9-10), Jehova anzurufen (Gebet) und an Jesus Christus und dessen Opfer zu glauben. Die einzig mögliche Übereinstimmung mit biblischen Lehren erreiche man, indem man sich den Zeugen Jehovas anschließe. Das beinhalte eine Lebensführung nach dem Verständnis der biblischen Grundsätzen, wie es von den Zeugen Jehovas gepflegt werde. Zeugen Jehovas werden dazu angehalten ein ausgedehntes Predigt- und Lehrwerk durchzuführen, um die Menschen überall zu erreichen (Matthäus 24,14; 28,19-20).
Blut, Bluttransfusionen und Operationen
Seit Jahrzehnten vertreten Zeugen Jehovas die Ablehnung von jeder Art des sog. „Blutgebrauchs“, weil ihrer Lehre gemäß die Verwendung von Blut nur bei den Israeliten für heilige Handlungen erlaubt gewesen sei und deshalb sein Genuss in Lebensmitteln (z. B. in Blutwurst) oder anderweitiger Gebrauch nicht in Frage komme. Insbesondere durch das von Jesus vergossene Blut habe es eine besondere Bedeutung für Zeugen Jehovas erlangt.
Seit 1944 werden auch Bluttransfusionen abgelehnt. Zeugen Jehovas glauben, dies sei durch Texte wie 1. Mose 9,4 („Nur Fleisch mit seiner Seele — seinem Blut — sollt ihr nicht essen“, NWÜ) und Apostelgeschichte 15,29 („...euch (...) zu enthalten (...) von Blut...“, NWÜ) gestützt. Die Verwendung von Bluthauptbestandteilen (Blutplasma, Blutplättchen, roten und weißen Blutkörperchen) wird ebenso abgelehnt wie die Blutspende und die präoperative Eigenblutspende. Die Akzeptanz der Verwendung von Plasmafraktionen (Albumine, Globuline, Gerinnungsfaktoren, Fibrinogen u.ä.) und Ableitungen von den anderen Komponenten (Hämoglobinlösung von Erythrozyten; Interferone und Interleukine von Leukozyten) stellen sie der Gewissensentscheidung des Einzelnen anheim, ebenso Organ- und Knochenmarktransplantationen. In der Vergangenheit hat man Organ- und Knochenmarktransplantationen als „Kannibalismus“ abgelehnt.[24]
Für den Kontakt zu Ärzten, Krankenhäusern und Pflegepersonal haben die Zeugen Jehovas den Krankenhausinformationsdienst und Krankenhaus-Verbindungskomitees. Zur Information von Betroffenen, denen eine Operation bevorsteht, haben Jehovas Zeugen eine DVD produziert. In dieser DVD werden komplizierte Operationen von weltbekannten Chirurgen vorgestellt und ausführlich fachärztlich kommentiert. Durch die Zusammenarbeit mit ausgewählten Ärzten, weltweit ca. 100.000, konnte die Möglichkeit einer blutransfusionslosen Behandlung optimiert werden.
Todesfälle, die mit der Ablehnung von Bluttransfusionen in Verbindung gebracht wurden, haben in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt, besonders durch Berichte in den Massenmedien. Seitens der Zeugen Jehovas wird dies mit dem Hinweis, dass ein Zusammenhang zwischen den Todesfällen und Verzicht auf die Bluttransfusionen nicht bewiesen sei, beantwortet. Sie bemühen sich, so argumentieren Jehovas Zeugen, Verbindungen zu knüpfen zwischen Operateuren, welche auf dem Gebiet der blutlosen Operation neueste Erfahrungen erworben haben und anderen Medizinern, welche noch nicht diese Kenntnisse besitzen. Als Grundlage ihrer Entscheidung gegen eine Bluttransfusion werden sowohl für sich selbst als auch für die minderjährigen Kinder neben medizinischen insbesondere religiöse Gründe angeführt.[25]
Wissenschaft und Schöpfung
Die Zeugen Jehovas erkennen die Leistungen von Wissenschaft und Technik an. Sie betrachten die Bibel nicht als wissenschaftliches Lehrbuch, aber als wissenschaftlich genau. Sie weisen der Bibel die höhere Autorität zu, falls Aussagen von Wissenschaftlern ihrer Ansicht nach biblischen Aussagen widersprechen.
Deutlich wird das bei der Evolutionstheorie, die sie als falsch betrachten, da die Bibel ausdrücklich von einer Schöpfung spricht. Sie fassen die Schöpfungstage in der Genesis als Schöpfungszeiträume auf, die einige tausend Jahre umfassten. Sie vermuteten eine Zeit lang, jeder Schöpfungstag habe 7.000 Jahre gedauert [26], legen sich aber aufgrund heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr auf konkrete Zahlen fest. Sie zählen zu den „Alte-Erde-Kreationisten“, da sie anerkennen, dass Universum und Erde Milliarden Jahre alt sein können.
Da sie politisch enthaltsam leben, versuchen sie auch nicht, wie andere kreationistische Gruppierungen, politischen Druck auszuüben, um die Schöpfung in den schulischen Lehrplan aufzunehmen.
Wenn in der Bibel chronologische Angaben gemacht werden, ziehen sie diese den anderen Quellen vor. Daher glauben sie z.B., die Sintflut hätte 2370 v.Chr., der Turmbau zu Babel 2269 v.Chr. stattgefunden. Sie nehmen damit erhebliche Diskrepanzen in Kauf – z.B. wird die Fertigstellung der Cheops-Pyramide auf das Jahre 2530 v.Chr. geschätzt, somit vor den erwähnten Ereignissen, müsste allerdings chronologisch weit nach dem Turmbau zu Babel eingeordnet werden.
Aussagen zur Bibel
Nach Ansicht der Zeugen Jehovas ist die Bibel zwar von Menschen geschrieben (Aussage von Paulus in 2 Timotheus 3,16), aber von Gott – wenn auch nicht wortwörtlich – inspiriert worden (Jesaja 1,1, Offenbarung 1,1-2). Sie sei nur im Gesamtzusammenhang zu verstehen und alle Aussagen seien nützlich und wichtig. Der Bibeltext sei von einem einheitlichen Thema durchzogen: „Die Rechtfertigung des Rechtes Gottes, über die ganze Menschheit zu herrschen, sowie die Verwirklichung seines liebevollen Vorsatzes durch sein kommendes Königreich“.[27]
Aus dem für die Zeugen Jehovas nicht mehr verbindlichen Mosaischen Gesetz (Galater 3,24-25) werden nur Grundsätze abgeleitet (Matthäus 22,37-40). Die Aussagen der Bibel werden sowohl wörtlich ausgelegt als auch symbolisch interpretiert.
Die Zeugen verwenden in den Landessprachen, in der sie vorhanden ist, eine eigene Bibelübersetzung, die Neue-Welt-Übersetzung. Früher fand im deutschsprachigen Raum die unrevidierte Elberfelder Bibel Verwendung.
Gottesdienst und Praxis
Zusammenkünfte
In den Zusammenkünften werden auf Grundlage der Bibel Vorträge gehalten, deren Rahmen meist vorgegeben ist, Situationen aus dem Predigtdienst demonstriert, Interviews geführt und der Lehrstoff anhand von Fragen und Antworten gemeinsam besprochen. Zu Beginn und zum Abschluss der Zusammenkünfte und zur Überleitung zwischen den zwei 45- bis 60-minütigen Programmteilen wird jeweils ein Lied gesungen. Am Anfang und am Ende wird gemeinsam gebetet. In der einstündigen Zusammenkunft der „Buchstudiengruppe“ entfällt das Singen.
Die Versammlungsstätten werden Königreichssäle genannt und zweckmäßig jeweils für 60 bis 200 Personen eingerichtet. Allerdings fehlen jegliche religiösen Symbole wie Altar, Kreuz oder Heiligenbilder. Nur Stühle, Tische, ein Sprechpult, Lautsprecher, Mikrofone und eine schlichte Bühnendekoration sowie eine Bibliothek für Schriften der Wachtturm-Gesellschaft, verschiedene Bibelausgaben und andere religionsbezogene und allgemeine Nachschlagewerke sind vorhanden.
Es finden wöchentlich fünf Zusammenkünfte statt, die insgesamt 4 3/4 Stunden dauern, von denen jeweils zwei zeitlich zusammengelegt werden:
- das „Versammlungsbuchstudium“, bei dem in Gruppen zu 10-20 Personen ein Buch oder eine Broschüre besprochen wird.
- die „Theokratische Predigtdienstschule“, in der das Predigen in kurzen Reden und Rollenspielen geübt wird.
- die „Dienstzusammenkunft“ dient der Unterstützung für den Predigtdienst.
- die „Zusammenkunft für die Öffentlichkeit“, bei der ein Vortrag auf Basis eines vorgegebenen Redeplans gehalten wird.
- das „Wachtturm-Studium“, bei dem ein Artikel der Zeitschrift in Frage und Antwort mit Beteiligung aller Anwesenden besprochen wird.
Die Leitung der Zusammenkünfte obliegt den männlichen Mitgliedern, da nur diese die Funktion eines Ältesten (siehe unten Organisation) übernehmen können (1. Korintherbrief 14,33; 1. Timotheusbrief 2,12). An bestimmten Programmteilen auf der Bühne sind auch Frauen beteiligt, nicht jedoch an der Vortragstätigkeit im Rahmen dieser Zusammenkünfte.
Taufe
Die Zeugen Jehovas praktizieren eine Erwachsenentaufe. Gemäß einer Studie, die Zeugen Jehovas 1994 in Deutschland durchgeführt haben, hat jedes neue Mitglied vor der Taufe etwa drei Jahre die Zeugen Jehovas und deren Lehren kennen gelernt. Bevor ein Taufanwärter zur Taufe zugelassen wird, werden mit ihm/ihr Gespräche geführt, die belegen sollen, dass ausreichendes Verständnis der Lehre vorhanden ist. Vor der eigentlichen Taufe werden öffentlich zwei Fragen gestellt, die jeder Taufanwärter mit „Ja“ beantworten muss, will er getauft werden:[28]
- Hast du auf der Grundlage des Opfers Jesu Christi deine Sünden bereut und dich Jehova hingegeben, um seinen Willen zu tun?
- Bist du dir darüber im klaren, dass du dich durch deine Hingabe und Taufe als ein Zeuge Jehovas zu erkennen gibst, der mit der vom Geist geleiteten Organisation Gottes verbunden ist?
Abgesehen von der Befragung der Taufkandidaten unterscheidet sich die Taufe der Zeugen Jehovas von der Taufe, wie sie in vielen anderen Kirchen praktiziert wird. Die Täuflinge werden z. B. vollständig im Wasser untergetaucht und nicht nur symbolisch mit Wasser benetzt. Es erfolgt keine vorhergehende Segnung des Wassers und während der Taufe wird keine Taufformel gesprochen.
Die Taufe anderer christlicher Richtungen erkennen die Zeugen Jehovas nicht an, sowie andererseits die meisten deren Taufe ebenfalls nicht anerkennen.
Das Abendmahl
Die einzige religiöse Feier der Zeugen Jehovas ist das Abendmahl des Herrn, das auch Gedächtnismahl oder Feier zum Gedenken an den Tod Christi genannt wird. Dieses Fest wird am 14. Nisan, gemäß der Berechnung des jüdischen Kalenders, der im 1. Jahrhundert gebräuchlich war und heute noch gebräuchlich ist, nach Sonnenuntergang gefeiert. Das Fest fällt jedes Jahr auf ein anderes Datum des heutigen Gregorianischen Kalenders. Während der Feier wird eine Ansprache gehalten, nach der die Minderheit mit himmlischer Hoffnung von den Symbolen nimmt, dem ungesäuerten Brot und Wein. Da diese Minderheit durch alle Zeiten nur 144.000 Menschen umfasst (weltweit seien es derzeit um die 8.700, die jetzt leben; in Deutschland ungefähr 200), nimmt in dem überwiegenden Teil der Versammlungen niemand von den Symbolen.
Evangelisation und Mission
Besonders fallen Zeugen Jehovas durch ihre Evangelisation auf, die sie als Predigtwerk bezeichnen. Jeder Zeuge Jehovas ist verpflichtet, mit anderen Menschen über seinen Glauben zu sprechen. Über seine Tätigkeit fertigt er monatlich einen sog. Predigtdienstbericht an, den er an den Sekretär der Versammlung weitergibt. Gemäß eigenen Statistiken wenden die Zeugen Jehovas dafür je nach Land durchschnittlich 100 bis 500 Stunden jährlich auf.
Sie sprechen Menschen an Haustüren oder auf öffentlichen Plätzen mit Themen aus der Bibel an und hinterlassen bei Interesse kostenfrei Zeitschriften, Broschüren, Traktate oder bei besonderem Interesse Bücher und Bibeln. Bei dieser Gelegenheit besteht auch die Möglichkeit, den Zeugen Jehovas Geld zu spenden. Vor 1991 gaben Zeugen Jehovas das Schrifttum für ihren missionarischen Einsatz zum Selbstkostenpreis weiter.
Über diese Hausbesuche und Gespräche fertigt sich der Zeuge gewöhnlich private Notizen an, die er für Nachfolgebesuche verwenden kann. Regelmäßig wird darauf hingewiesen, dass diese Notizen nur mit Einverständnis der Betroffenen an andere Verkündiger weitergegeben werden sollen. Angeboten wird ein Bibelkurs (meist Heimbibelstudium genannt). Das Material dafür ist in erster Linie ein Buch oder eine Broschüre (z. B. Was erwartet Gott von uns?) mit thematisch geordneten Bibelzitaten und -kommentaren, die jeder Teilnehmer erhält und anhand konkreter Fragen durcharbeiten kann, die dann mit dem Verkündiger besprochen werden.
Freiwillige können vereinbaren, mehr Zeit im Predigtwerk einzusetzen – entweder zeitlich begrenzt („Hilfspionier“) oder zeitlich unbestimmt („Dauer-Hilfspionier“ oder „Allgemeiner Pionier“). Allgemeine Pioniere werden nach einem Jahr zu einer zehntägigen „Pionierdienstschule“ eingeladen, in der sie Predigtwerk, biblische Lehre und Organisation vertieft kennen lernen.
Zeugen Jehovas betreiben auch ein weltweites Missionswerk, zu dem sie jährlich unter anderem in den USA Missionare in der „Gileadschule“ ausbilden.
Behandlung von Verstößen gegen Glaubensmaßstäbe
Bei einem Fehlverhalten prüfen Älteste bei Bekanntwerden, ob die Voraussetzungen für ein „Rechtskomitee“ erfüllt sind, das aus drei oder mehr Ältesten der Versammlung besteht. Diese fungieren in Personalunion als Ankläger, Verteidiger und Richter. Der Beschuldigte hat nicht das Recht jemanden als Beobachter zum Rechtskomitee mitzunehmen. Das Komitee spricht mit dem Angeklagten darüber, warum sein Verhalten gewissen Lehrpunkten widerspricht. Ändert er sein Verhalten entsprechend den Vorschriften der Zeugen Jehovas, wird er „still zurechtgewiesen“, bei allgemeinem Bekanntwerden vor der Versammlung ohne Angabe der Gründe durch eine kurze Mitteilung. Zeigt er keine Reue, wird er, nachdem er eine Woche Zeit für eine Berufung hatte, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Er kann verlangen ein anderes Komitee einzurufen, wenn er triftige Gründe anführen kann, die Formfehler aufzeigen. Nach dieser Berufung besteht als letzte dritte Instanz eine Berufung eingesetzt vom Zweigbüro in Selters.
Ausgeschlossene können die Zusammenkünfte im Königreichssaal besuchen, dürfen sich aber nicht aktiv daran beteiligen. Die Zeugen meiden Ausgeschlossene (1. Korinther 5, 11-13; 2. Johannes 10). Sie werden ignoriert, sofern sie nicht mit einem aktiven Zeugen Jehovas in einem gemeinsamen Haushalt als Ehepartner oder minderjährige Kinder zusammenleben (keine belegende Bibelstelle). Kritiker sehen durch diese Praxis des Ausschließens einen hohen sozialen Druck auf die Mitglieder ausgeübt, da weite Teile des sozialen Umfeldes verloren gehen würden. Oft wird ebenfalls der Umgang (enger Kontakt) mit Glaubensbrüdern, welche sich nicht vorbildlich und „schriftgemäß“ verhalten, als „schlechter Umgang“ bezeichnet und als zu unterlassen dringend angeraten.
Ausgeschlossene haben die Möglichkeit, durch schriftlichen Antrag wieder in die Gemeinschaft zurückzukehren, falls sie das an ihnen gerügte Verhalten nicht mehr zeigen und es aufrichtig bereuen. Es wird dann erwartet, dass sie die Zusammenkünfte regelmäßig besuchen, soweit es ihre privaten und/oder beruflichen Verpflichtungen zulassen. Etwa ein Viertel bis ein Drittel machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Rückkehr ist selbst nach Verbrechen möglich. Falls jemand den Kontakt ausdrücklich missbilligt, wird er nicht angesprochen.
Leben im Alltag
Verhältnis zum Staat
Zeugen Jehovas wenden ihr Verständnis der Bibel auf die Art der Unterordnung unter die Macht des Staates an, indem sie sich nicht an politischen Veränderungen (ob nun gewaltsame Revolutionen, friedliche Demonstrationen, oder aber auch bloße Teilnahme an Wahlen oder Parteitagen) beteiligen, sondern betrachten die staatlichen Organe als von Gott geduldet und mit Autorität ausgestattet (vgl. Römer 13, 1-7). Im Allgemeinen halten sie sich deswegen an die staatlichen Gesetze. In vielen Ländern sind sie von staatlicher Seite als Religion anerkannt. In Österreich sind sie seit 1997 Bekenntnisgemeinschaft.
Es kann aber durchaus zu Konflikten zwischen staatlichen Forderungen und den Forderungen ihres Glaubens führen, da sie in der Bibel lesen: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen (laut Apostelgeschichte 5, 29). So sind sie vor allem dafür bekannt geworden, dass sie sich strikt weigern, Militärdienst zu leisten. (Siehe: Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas) Darüber hinaus lehnen sie alle Handlungen ab, die ihrer Meinung nach einer 'Verehrung' des Staates oder seiner Repräsentanten gleich kommen. Bekannte Beispiele hierfür sind die Ablehnung des Fahnengrußes, des Singens der Nationalhymne oder des Hitlergrußes unter dem Nationalsozialismus.
Sie lehnen den Wehrdienst ab. Bis zur Veröffentlichung eines Artikels im Wachtturm vom 1. Mai 1996 betrachteten sie den Zivildienst als eine unpassende Einschränkung ihrer religiösen Freiheit und eine Form der politischen Betätigung. Nach dem Verständnis der Zeugen Jehova darf heute Zivildienst geleistet werden.
Die Zeugen beteiligen sich nicht an politischen Wahlen, weil sie die Worte Jesu, „kein Teil der Welt“ (Johannes 17,16) zu sein, als Aufforderung zu einem politisch passiven Verhalten verstehen. Aus ähnlichem Grund bekleiden sie keine politischen Ämter (in Johannes 6,15 flieht Jesus vor einer Menge, die ihn zum König machen möchte). Außerdem betrachten sie die Theokratie als der Demokratie überlegen (dies spiegelt sich auch in ihrer Kirchenordnung wieder, die eine hierarchische Ernennung von Funktionsträgern statt demokratische Wahlen vorsieht).
Ausbildung und Beruf
Die Literatur der Zeugen Jehovas weist auf die Widersprüche und Interessenkonflikte hin, welche zwischen einer Hochschulausbildung und dem Leben als Zeuge Jehovas bestehen können. In den Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas wird vor dem vermeintlich unmoralischen Lebenswandel vieler Studenten gewarnt, mit der Begründung, dass sich etliche Hochschulen seit den 60er Jahren zu Brutstätten der Gesetzlosigkeit und der Unmoral entwickelt hätten.[29] Gemäß einer Empfehlung des monatlich erscheinenden internen Mitteilungsblattes Unser Königreichsdienst vom April 1999 wird angeraten, dass Bildungsfragen mit den Eltern, den Versammlungsältesten, dem Kreisaufseher oder mit erfolgreichen Pionieren besprochen werden sollten. Die letzte Entscheidung über die berufliche Zukunft ist aber dem Einzelnen überlassen.[30] Bei allen Überlegungen sollte das Bestreben im Vordergrund stehen, Jehova in größtmöglichem Umfang durch das christliche Predigtwerk zu dienen.[31] Aus diesen Gründen entscheiden sich viele Zeugen Jehovas gegen eine Hochschulausbildung.[32][33]
Zeugen Jehovas lehnen Berufe und Tätigkeiten ab, wenn deren Ausübung ihren religiösen Ansichten zuwiderläuft, zum Beispiel Arbeiten in der Tabakindustrie oder der Handel mit Tabak, Berufe im Zusammenhang mit Glücksspielen oder kirchlich bzw. militärisch unterstützten Einrichtungen, wenn ein solches Beschäftigungsverhältnis ausschließlich aus derartigen Handlungen besteht. Wer solch einer Beschäftigung nachgeht, kann kein Zeuge Jehovas werden.
Lebensweise und soziales Verhalten
In der Lehrverkündung werden Nicht-Zeugen-Jehovas als „Weltmenschen“ oder „Andersgläubige“ bezeichnet. Es wird angeraten, den Kontakt mit ihnen auf ein Minimum zu reduzieren.
Die Zeugen Jehovas lehnen die meisten traditionellen Feste ab, da sie ihrer Ansicht nach heidnischen Ursprungs sind. Zu diesen Feiern gehören neben Festen, die biblischer Ereignisse gedenken, wie Weihnachten, Ostern, Palmsonntag oder die Verklärung des Herrn, auch solche wie Karneval, Erntedankfest, Halloween, Neujahr sowie Geburtstagsfeiern. Ausnahmen werden manchmal gemacht, wenn der religiöse Bezug heutzutage nicht mehr gesehen wird. Hierzu gehört die piñata-Tradition aus Mexiko oder auch das hawaiianische luau. Der einzige religiöse Feiertag für die Zeugen Jehovas ist der 14. Nisan, an dem sie ihr Gedächtnismahl begehen (siehe oben).
Die Mitgliedschaft in Parteien wird abgelehnt, ebenso wie in Vereinen, die ideologischen oder ideellen Zwecke verfolgen. Rein pragmatisch ausgerichtete Vereinsmitgliedschaften (wie z. B. Trägerverein zur Unterstützung einer Kindertagesstätte, die von den eigenen Kindern besucht wird) werden jedoch unkritisch gesehen, und Zeugen Jehovas können sich in ähnlicher Weise wie andere Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisieren.
In kurzfristigen Hilfemaßnahmen sind die Mitglieder einander vorbildlich eingestellt. Langfristige Hilfen sind ungeregelt, bzw. werden auf der Basis von Verlängerungen der kurzfristigen Maßnahmen durchgeführt. Anders als bei anderen Kirchen, bei denen Institutionen wie Caritas oder Diakonie angegliedert sind, unterhalten die Zeugen Jehovas als Institution keine sozialen Einrichtungen, bzw. übernehmen keine Trägerschaften, um dadurch staatliche Aufgaben zu erledigen. In Pflegeheimen, welche von aktiven Jehovas Zeugen betrieben werden und in denen das Personal überwiegend aus Jehovas Zeugen besteht, werden ältere Mitglieder der Religionsgemeinschaft aufgenommen und betreut. Ein Pflegeheim befindet sich auf dem Grundstück, welches Eigentum der WTG ist (Berlin-Charlottenburg).
Innerhalb der Zeugen Jehovas sind kritische Themen über die Organisation verpönt[34].
Ehe und Familie
Zeugen Jehovas legen sehr großen Wert auf sittliche Maßstäbe. Sex vor und außerhalb der Ehe ist mit ihrer Interpretation von biblischen Maßstäben nicht vereinbar. Scheidung mit der Erlaubnis zur Wiederheirat ist nur aus dem Grund der sexuellen Untreue erlaubt. Eine Trennung ohne Wiederheirat ist möglich. Bei gemischtreligiösen Ehen wird empfohlen, die Ehe aufrechtzuerhalten. Innerhalb der Ehe wird auch die Autorität des Mannes über die Frau, sowie die Autorität der Eltern über die Kinder betont. Grundsätzlich gilt die dringende Empfehlung, nur innerhalb der Religionsgemeinschaft zu heiraten. Bei Nichtbeachtung kann die Person gewöhnlich nicht mehr in Vorbild-Funktionen dienen. Homosexualität wird von ihnen auch dann abgelehnt, wenn sie (wie in einigen Ländern möglich) in einer Ehe gelebt wird.[35]
Organisation
Die Watchtower Bible and Tract Society Inc. in Brooklyn, New York ist die Zentrale der weltweit tätigen Religionsgemeinschaft. Hierarchisch sind darunter die Zweige, unter Aufsicht von Zweigkomitees, die Bezirke unter Aufsicht der Bezirksaufseher, die Kreise unter Aufsicht der Kreisaufseher und als lokale Einheiten die Versammlungen angeordnet. Die Hauptverwaltung hat die Zweige in 15 Zonen mit je einem Zonenaufseher, der sie zyklisch besucht, aufgeteilt.
Die Mitteilungen der Zentrale in Brooklyn werden an die Zweigkomitees gesendet und von dort an die einzelnen örtlichen Versammlungen weitergeleitet. Auslegungen der Bibel werden in Veröffentlichungen gedruckt und sind im Allgemeinen jedem zugänglich. Veröffentlicht werden nicht nur die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!, sondern auch eine eigene Übersetzung der Bibel, sowie Bücher, Broschüren und Traktate.
Es gibt weltweit 109 Zweige, in denen Literatur in die jeweiligen Sprachen übersetzt und verschickt wird; in den größeren Zweigen wird auch gedruckt. Die wichtigste Aufgabe der Zweige ist die Organisation der Predigttätigkeit, an der sich ein Großteil der Mitglieder beteiligt. Die dazu nötige Einteilung des Gebietes, die Klärung rechtlicher Fragen und die Schaffung von Zusammenkunftsstätten sind einige weitere Aufgaben der Zweige. Die Organisationen sind nicht auf Erzielung kommerziellen Gewinns ausgelegt. Den Zweigen steht ein Zweigkomitee vor. Gegenwärtig befinden sich die deutschen Zweigbüros in Selters (Taunus) und in Berlin.
Die Zeugen Jehovas bedienen sich weltweit verschiedener rechtlicher Werkzeuge (Organisationen), deren Struktur (Vorstand o.ä.) jedoch nicht mit der geistlichen Struktur ihrer Religionsgemeinschaft identisch ist. In Deutschland sind dies die Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft der Zeugen Jehovas e.V. (kurz Wachtturm-Gesellschaft genannt) sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland. Alle Zeugen Jehovas mit Wohnsitz in Deutschland sind Mitglied der Religionsgemeinschaft (nach eigenen Angaben zählt der Verein ca. 230.000 Mitglieder).
Die Gemeinden werden Versammlungen genannt, denen „Älteste“ (ausnahmslos Männer, 1. Timotheus 2,11-12;3,1-13) vorstehen, die gemeinsam als „Ältestenschaft“ tätig sind und für geistliche Belange der Versammlung verantwortlich sind. Sie haben organisatorische Aufgaben, lehren, besuchen die Mitglieder durch „Hirtenbesuche“ und beteiligen sich, wie die meisten anderen auch, an der Predigttätigkeit.
Gebäude der Jehovas Zeugen
Die Säle werden von den Mitgliedern selbst erbaut. Um regionale Unterschiede auszugleichen und erheblichem Bedarf an Neubauten und Instandhaltungsarbeiten gewachsen zu sein, wurde ein nationales und internationales Bauprogramm gegründet. In diesem Bauprogramm arbeiten ebenfalls nur Freiwillige aus den Reihen der Zeugen Jehovas. Zwischenzeitlich musste es häufiger zweckentfremdet werden, um Wiederaufbauarbeit in Katastrophengebieten leisten zu können (in Deutschland geschah das z. B. bei den Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre). Finanziert wird das Bauprogramm durch freiwillige Spenden und Darlehen. Das Eigentum an den Sälen liegt bei der Religionsgemeinschaft.
Ökumene
Die Zeugen Jehovas lehnen jede ökumenische Zusammenarbeit und jede Mitgliedschaft in ökumenischen Organisationen ab, da sie nach ihrem Verständnis nach damit zu einem Teil von „Babylon der Großen“ werden, wie alle anderen Religionsgemeinschaften bezeichnet werden.
Andererseits erfüllen die Zeugen Jehovas, durch verschiedene Lehrinhalte, auch nicht die Kriterien für einen Beitritt zum Weltkirchenrat. Insbesondere ihre nicht-trinitarische Lehre steht dem entgegen. Darum erkennen auch die übrigen christlichen Kirchen die Taufe der Zeugen Jehovas nicht an.
Literatur
- Umfangreiche Bibliografie - Zeugen Jehovas: A-C · D-G · H-K · L-N · O-R · S-U · V-Z
- Raymond Franz: Der Gewissenskonflikt. Menschen gehorchen oder Gott treu bleiben? Ein Zeuge Jehovas berichtet. Claudius-Verlag, München, 3. Aufl. 1996, ISBN 3-532-62074-X (Bericht eines ehemaligen Führungsmitglieds)
- Detlef Garbe: Die Zeugen Jehovas. Geschichte, Glaube, Organisation. Beck Verlag, München 1999, ISBN 3-486-56404-8
- Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im Dritten Reich. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-4865-6404-8
- Helmut-Dieter Hartmann: Die Zeugen Jehovas – eine Herausforderung. Eine Einladung zur Meinungsbildung. Selbstverlag, Melbeck, 8. Auflage 1999, ISBN 3-00-003453-6
- Eva M. Kaiser, Ulrich Rausch: Die Zeugen Jehovas, ein Sektenreport. Heyene, München 1998, ISBN 3-453-13198-3
- Ursula Neitz: Dämonen auf dem Dach. Lebensberichte von ehemaligen Zeugen Jehovas. IKS Gramond-Verlag, Jena 2004, ISBN 3-934601-83-9
- Ursula Neitz: Weltenwechsel – Phänomene des Übergangs in Biographien ehemaliger Zeugen Jehovas. IKS Gramond-Verlag, 2004, ISBN 3-934601-81-2 (Diplomarbeit zum Thema)
- Günther Pape: Ich war Zeuge Jehovas. Pattloch-Verlag, Augsburg 1993, ISBN 3-629-91104-8
- Martina Schmidt: Ich war eine Zeugin Jehovas. Protokoll einer Verführung. Mohn-Verlag, Gütersloh 2005, ISBN 3-579-06851-2
- Joseph Wilting: Das Reich das nicht kam. IKS Garamond-Verlag, Jena 2000, ISBN 3-934601-01-4
- Gerd Wunderlich: Jehovas Zeugen. Die Paradies-Verkäufer. Erfahrungen auf einem Irrweg. Claudius-Verlag, München 1994, ISBN 3-532-62009-X
- Hans-Hermann Dirksen: „Keine Gnade den Feinden unserer Republik“. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1956 - 1990. 2. erw. Aufl. Duncker & Humblot, Berlin 2002, ISBN 3-428-11075-7
- Waldemar Hirch: Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur (= Europäische Hochschulschriften; Bd. 3/980). Lang, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-631-51620-7 (Dissertation zum Thema; Buchauszüge siehe [2])
- Gabriele Yonan: Jehovas Zeugen – Opfer unter zwei deutschen Diktaturen Corona Consulting, Niedersteinbach, 1999, ISBN 3-00-004151-6
Weblinks
- Abschlussbericht der Enquete-Komission des Deutschen Bundestages „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ (09. Juni 1998)
- Offizielle Website der Zeugen Jehovas
- Zweigbüro von Jehovas Zeugen in Deutschland
- Jehovas Zeugen – Wer sind sie? Was glauben sie? kurze Aufstellung der Hauptlehren
- Kommentar zur Arbeit der Sektenbeauftragten im Anerkennungsverfahren
- Netzwerk Sektenausstieg e.V. Informationsportal ehemaliger Zeugen Jehovas
- Webseite über sexuellen Missbrauch bei den Zeugen Jehovas
- Seite zum Thema Kreuz oder Pfahl
- Links zum Thema „Zeugen Jehovas“ im Open Directory Project
- Kurzinformation über Zeugen Jehovas des Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Videos
Quellen
- ↑ Gegen die staatliche Privilegierung der „Zeugen Jehovas“. Pressemitteilung von Thomas Rachel, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, 2005
- ↑ Endbericht der Enquete-Komission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“, S. 17ff.: „Die unterschiedliche Herkunft und der unterschiedliche Gebrauch des Begriffs ‚Sekte‘ macht seine Verwendung, außer in klar umschriebenen Zusammenhängen (etwa theologischer oder religionswissenschaftlicher Art), sehr problematisch. Zur Abgrenzung von ‚konfliktträchtigen‘ gegenüber ‚nicht konfliktträchtigen‘ Gruppen ist er kaum geeignet. Er gibt zudem nichts her zur Kennzeichnung konkreter Konflikte. […]“ (Siehe auch: [1])
- ↑ Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, S. 14, Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania (Herausgeber), Wiesbaden, 1960
- ↑ Jehovas Zeugen, Verkündiger des Königreiches Gottes 1993, 750 S.
- ↑ CNN: Jehovah's Witness lawsuit tests Russia's religious freedom, 9. Februar 1999
- ↑ Jehovah's Witnesses: Russia—Jehovah's Witnesses Test Religious Freedom
- ↑ Lehrer-Buch Seite 170/171
- ↑ Jehovah's Witnesses Office of Public Information: Jehovah's Witnesses and Child Protection
- ↑ CNN: CNN/Connie Chung-Transcript, 14. August 2002
- ↑ CBS: Another Church Sex Scandal, 29. April 2003
- ↑ BBC: Panorama „suffer the little children“ Transcript, 14. Juli 2002
- ↑ New York Times: Ousted Members Contend Jehovah's Witnesses' Abuse Policy Hides Offenses, 11. August 2002
- ↑ Circuit Court of the State Oregon: Grafmyer vs. Watchtower Bible and Tract Society of New York, Inc., et al, June 2006
- ↑ Law.com: Divining Liability, 5. Mai 2004
- ↑ Urteil des 7. Senats vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 11.96
- ↑ Urteil des Zweiten Senats vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 -
- ↑ OVG Berlin, Urteil vom 24. März 2005
- ↑ BVerwG 7 B 80.05 - Beschluss
- ↑ Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaft „Jehovas Zeugen in Deutschland e.V.“
- ↑ Unterredungen anhand der Schriften, 1990, Seite 90-111
- ↑ Einsichten über die Heilige Schrift Bd. 1, S. 1338
- ↑ Was lehrt die Bibel wirklich 2005 S.218,219
- ↑ Der Wachtturm 1. September 1989 S.19
- ↑ Jehovas Zeugen, Der Wachtturm, 15. Februar 1968, Seite 127
- ↑ Jehovas Zeugen, Schutz der Familie und medizinische Behandlung für Zeugen Jehovas, 1995, Religion 3
- ↑ Der Wachtturm 15. Mai 1970, S.311ff und 1. Januar 1987, S.30
- ↑ Einsichten über die Heilige Schrift Bd. 1, S. 396-408
- ↑ Organisiert, Jehovas Willen zu tun, 2005, Seite 215
- ↑ Der Wachtturm, 1. November 1992 Seite 19.
- ↑ Fragen junger Leute (1989) Seite 179 „Zusammen mit deinen Eltern mußt du bei der Entscheidung, welche Ausbildung die richtige für dich ist, sorgfältig alle Faktoren abwägen. Jeder muß bei dieser Entscheidung „seine eigene Last tragen“.
- ↑ Der Wachtturm, 1. Februar 1996 Seite 14.
- ↑ Fragen junger Leute – Praktische Antworten (1989) Seite 178 „Viele christliche Jugendliche haben sich daher gegen eine Hochschulausbildung entschieden.“
- ↑ Broschüre Jehovas Zeugen, Menschen aus der Nachbarschaft — Wer sind sie? Seite 31 „Aber wegen ihrer Einstellung zu materiellen Dingen und ihrer Zukunftshoffnung verzichten viele junge Zeugen auf eine akademische Ausbildung, allerdings nicht, weil dies verboten wäre. Sie ziehen aus persönlichen Gründen eine anderweitige Ausbildung vor, die sie ausrüstet, für sich selbst und gegebenenfalls für eine Familie zu sorgen.“
- ↑ Personen, die vorsätzlich Lehren verbreiten (hartnäckig daran festhalten und darüber reden), welche im Widerspruch zu der biblischen Wahrheit stehen, die Jehovas Zeugen lehren, sind Abtrünnige. (Gebt Acht auf euch selbst und die ganze Herde, 1991 Seite 94)
- ↑ Das Geheimnis des FAMILIENGLÜCKS 1996