Zukunftsfähiges Deutschland (Studie)
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[Bearbeiten] Studie Zukunftsfähiges Deutschland
Ab 1995 wurde die Diskussion zur Nachhaltigkeit in Deutschland, wesentlich durch die gemeinsame Studie von Misereor und BUND „Zukunftsfähiges Deutschland - Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung“ (1996) beeinflusst, welche durch das Wuppertal Institut durchgeführt wurde und zu einer intensiven gesellschaftspolitischen und kirchlichen Diskussion führte.
Diese von der Umweltorganisation BUND und dem bischöflichen Hilfswerk Misereor beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie in Auftrag gegebene Studie hat großes Aufsehen, Interesse und Kritik geweckt. Die Studie war die erste wissenschaftlich fundierte Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands.
[Bearbeiten] Ziele der Studie
Ziel der Studie war es, aufzuzeigen, wie das Leben in einem zukunftsfähigen Deutschland aussehen könnte, das einen Beitrag dazu leistet, die natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu erhalten und dem Süden den Spielraum für eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Entwicklung zu öffnen (BUND/MISEREOR 1996).
[Bearbeiten] Die Grundannahmen
Ausgehend von der normativen Grundannahme, dass alle Menschen gleiche Nutzungsrechte an den global verfügbaren Ressourcen haben, wird der Deutschland zur Verfügung stehende Umweltraum berechnet.
Als Umweltraum wird die Menge an natürlichen Ressourcen bezeichnet, die genutzt werden kann, ohne dass die Trag- und Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme beeinträchtigt, d. h. die Umwelt unumkehrbar geschädigt wird.
Dem wird der derzeitige deutsche Umweltverbrauch gegenübergestellt.
Dabei wird nicht nur der in Deutschland anfallende Material-, Energie-, Flächen-, Wasserverbrauch und Schadstoffausstoß bilanziert, sondern auch die durch Deutschland in den Ländern des Südens und auf globaler Ebene in Anspruch genommenen Ressourcen einbezogen.
Es bestätigte sich, dass Deutschland wie die übrigen Industriestaaten auch in überproportionaler Weise für die Emissionen von Treibhausgasen und Fluorchlorkohlenwasserstoffen verantwortlich ist.
Gleiches gilt für die Überfischung der Ozeane und ihre Verschmutzung durch Gifte, Erdöl und Nährstoffe. An den Beispielen landwirtschaftlicher, forstwirtschaftlicher und mineralischer Importgüter wird aufgezeigt, dass Deutschland außerhalb seines eigenen Territoriums enorme Flächen in Anspruch nimmt und damit erhebliche Umweltbelastungen in Gestalt von Bodenaushub, Erosion, Dünger- und Pestizideinträgen sowie Wasserverbrauch und -verschmutzung in Länder des Südens verlagert.
[Bearbeiten] Reduktionsziele
Aus der Gegenüberstellung der Belastungsgrenzen des Deutschland zur Verfügung stehenden Umweltraumes und tatsächlichem Umweltverbrauch werden Reduktionsziele und -zeiträume für den Material-, Flächen- und Energieverbrauch sowie für einzelne Schadstoffemissionen abgeleitet. Auf Grundlage der globalen Reduktionserfordernisse und unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland seinen Energie- und Materialverbrauch bis zum Jahr 2050 um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent reduzieren muss. Als mittelfristige Zieletappe wird eine Reduktion um 10 Prozent bis zum Jahr 2010 genannt (Madleine Brocke 1995).
[Bearbeiten] Die Leitbilder
Die Studie beschränkt sich nicht auf die Darstellung nackter Zahlen, sondern überführt die Reduktionsziele in qualitative Zielvorstellungen. Dazu entwirft sie Leitbilder und Wendeszenarien, die sich als Vision für eine gesamtgesellschaftliche Umorientierung und als praktische Gestaltungsentwürfe für unterschiedliche gesellschaftliche Akteure verstehen Unternehmer, Verbraucher, öffentliche Versorger, Städteplaner, Gesetzgeber, Politiker etc..
Drei Prinzipien ziehen sich durch die Leitbilder: Effizienz, Suffizienz und Strukturveränderung. Der Ruf nach Suffizienz resultiert aus der Erkenntnis, dass die notwendigen Reduktionsziele zwar teilweise durch verbesserte Verfahren und Techniken erreicht werden können, Einsparungen beim Umweltverbrauch aber vielfach durch Mengeneffekte aufgefressen werden. Daher bedarf es über Effizienzsteigerung hinaus auch eines sparsameren Umgangs mit Ressourcen und eines maßvolleren Konsumverhaltens (Madleine Brocke 1995).
[Bearbeiten] Widerstand gegen die Studie Zukunftsfähiges Deutschland
Insbesondere von der chemischen Industrie und dem Bauernverband gab es massive Kritik und Widerstände an der fast schon revolutionären Studie. Stein des Anstoßes war das Nachhaltigkeitsziel der hundertprozentigen Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft bis 2010. Im Zentrum der Kritik stand der Hauptgeschäftsführer von Misereor Prälat Norbert Herkenrath, welcher sich voll hinter die Ergebnisse der Studie stellte - im Gegensatz zur Deutschen Bischofskonferenz, welche hier eine passive Position vertrat. In Bayern rief der Bauernverband seine Mitglieder zum Boykott der jährlichen Misereor Kollekte auf, die zu einer der wichtigsten Einnahmequellen des Hilfswerks Misereor zählte. Dagegen wurde die Studie in kirchlichen Laienkreisen, wie zum Beispiel den Diözesanräten und Verbänden und auch in der ökumenischen Bewegung positiv aufgenommen. Auch auf der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz diskutiert. Die Reaktionen von verschiedener Seite zeigte auch, dass Nachhaltigkeit nur im Dialog und Konsens gesellschaftspolitisch umsetzbar ist - wissenschaftliche Begründungen alleine reichen nicht aus.
Die Ergebnisse der Diskussion sind in die Entwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eingeflossen.
[Bearbeiten] Literatur
- BUND/MISEREOR: Zukunftsfähiges Deutschland. Basel 1996
- BUND/MISEREOR: Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland. München 2002
- Madleine Brocke: Zukunftsfähiges Deutschland ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung'. In: Soziales Seminar. Informationen 4/95.