Geschichte des Begriffs Dschihad
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Der Begriff Dschihad hatte in der Geschichte des Islams nicht immer die gleiche Bedeutung.
Im Koran kommt das Wort Dschihad nur viermal vor. Zweimal bezeichnet es kriegerisches Handeln (9, 24 und 60, 1), einmal friedliches Handeln (25, 52) und in einem Fall ist es unklar worauf es sich bezieht (22, 78). Eine Deutung aus dem jeweiligen Vers allein macht jedoch noch nicht deutlich, worauf sich das Wort Dschihad bezieht. Erst eine umsichtige Übersetzung wie die von Rudi Paret oder eine Auslegung zeigt die Bedeutung des Wortes.
Diese mangelnde Klarheit wird aber durch viele andere Koranverse ausgeglichen, die klar sagen, dass Krieg gegen Nichtmuslime äußert verdienstvoll sei, wie z.B. in Sure 4, 95 (nach Paret):
„Diejenigen Gläubigen, die daheim blieben (statt in den Krieg zu ziehen) - abgesehen von denen, die eine (körperliche) Schädigung (als Entschuldigungsgrund vorzuweisen) haben -, sind nicht mit denen gleich(zusetzen), die mit ihrem Vermögen und mit ihrer eigenen Person um Gottes willen Krieg führen. Gott hat diejenigen, die mit ihrem Vermögen und mit ihrer eigenen Person Krieg führen, gegenüber denjenigen, die daheimbleiben, um eine Stufe höher bewertet.“
Aus der Lebensgeschichte Mohammeds von Ibn Ishaq/Ibn Hischam wird auch deutlich, dass Mohammed keineswegs nur defensiv Krieg geführt hat, es sei denn man sieht das Vorhandensein von Nichtmuslimen schon als Bedrohung an, gegen die man "defensiv" Krieg führen muss.
Nach dem Tod Mohammeds eroberten die Muslime durch offensives Kriegführen ein riesiges Gebiet. Auf der arabischen Halbinsel wurden alle Bewohner zwangsislamisiert.
Die sich bald herausbildenden Rechtsschulen (madhhabs) benutzen den Begriff Dschihad ausschließlich in der Bedeutung "Krieg gegen Nichtmuslime", andere Bedeutungen kommen nicht vor. Das historische Schrifttum benutzt das Wort Dschihad in gleicher Weise.
Bald bildete sich auch eine Form von individuellem Krieg von Muslimen gegen Nichtmuslime heraus, die Albrecht Noth "Heiliger Kampf" nennt.
Auch die frühen Sufis (islamische Mystiker) benutzten das Wort Dschihad nur im Sinne von Kriegführen. Erst Al-Ghazali († 1111) interpretierte Sure 4, 95 in völlig neuer Weise und begründet so die Lehre vom "Inneren Dschihad" oder "Großen Dschihad" als Kampf gegen das eigene "niedere Ich" (an-nafs al-ammara). Auf die Praxis des kriegerischen Dschihad hatte dies jedoch keinerlei Auswirkungen. In wieweit der innere Dschihad in dieser Zeit tatsächlich irgendwie relevant wurde, ist zweifelhaft. David Cook schreibt dazu:
- “…that the internal jihad has no reality what-soever – that it is a theoretical, scholarly construct for which we have little to no practical evidence.”
Bestimmungen, dass etwa ein gerechter muslimischer Herrscher (imam 'adil) einmal im Jahr das Gebiet der Nichtmuslime (Dar al-Harb) angreifen muss oder dass es keinen Frieden zwischen dem Gebiet der Muslime und dem Gebiet der Nichtmuslime geben könne, galten unangefochten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Muslime Opfer des Kolonialismus der christlichen Mächte wurden.
Von Britisch-Indien ausgehend, verbreiteten nun muslimische Neuerer die Lehre, der Dschihad sei nur ein defensiver Kampf, was zu dieser Zeit in Indien und anderen Gebieten, die die Kolonialmächte beherrschten, wegen deren Überlegenheit auch stimmte. In anderen muslimischen Gebieten, wie etwa in Westafrika, wurde offensiver militärischer Dschihad bis 1898 betrieben, auf der arabischen Halbinsel dauerten die Kämpfe gegen die als ungäubig angesehenen Feinde bis 1929. Dennoch erklärten immer mehr muslimische Intellektuelle, kaum aber Rechtsgelehrte, Dschihad sei ausschließlich defensiv.
Seit den 1970er Jahren verbreitete sich dann zunehmend die offensive Dschihad-Lehre von Sayyid Qutb, der vier Phasen des Dschihad unterscheidet, die vom friedlichen Kampf bis zum offensiven Krieg gegen alle Nichtmuslime reicht. Die Muslime müssen, nach Qutb, je nach Situation verschiedene Arten von Dschihad führen, wenn sie jedoch stark genug seien, müssten sie einen offensiven militärischen Dschihad führen.
Qutbs Ideen sind seither von vielen Dschihadgruppen in die Tat umgesetzt worden.
Literatur
- Albrecht Noth: Glaubenskriege des Islam im Mittelalter, in Herrmann (Hrsg.): Glaubenskriege in Vergangenheit und Gegenwart. Göttingen, 1996