Grundrechte
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Grundrechte bezeichnet man wesentliche Rechte, die den Bürgern eines Staates als beständig, dauerhaft und einklagbar garantiert werden. Sie sind dabei in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.
Die Grundrechte werden in der Regel in der Verfassung ausdrücklich formuliert, können aber auch in sonstigen Gesetzen oder völkerrechtlichen Verträgen vereinbart sein oder sogar nur aus allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet werden. So enthalten etwa das Grundgesetz, viele deutsche Landesverfassungen und das Europäische Gemeinschaftsrecht Grundrechte.
Die Entwicklung der Grundrechte ist eng mit der Idee der Menschenrechte verbunden. Die Menschenrechtsidee wiederum findet ihre philosophischen Wurzeln in der Idee des Naturrechts, wonach es „Rechtsgrundsätze gibt, die stärker sind als jedes positive Recht“ (Radbruch). Das Grundgesetz bezieht sich auf diese Zusammenhänge, indem es das Bekenntnis des deutschen Volkes zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten“ enthält (Art. 1 Abs. 2 GG), und als Konsequenz hieraus alle Staatsgewalt an die nachfolgenden Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht“ bindet (Art. 1 Abs. 3 GG). In ihrer heutigen Ausprägung sind Grundrechte also Teil des durch Rechtsetzung entstandenen Rechts (positives Recht).
Mitunter wird allerdings der Begriff der Menschenrechte abweichend von der hier gewählten Terminologie verwendet. Als Menschenrechte werden dann etwa Grundrechte bezeichnet, die nicht nur staatsbürgerschaftsbezogen sind, sondern jedermann zustehen.
Inhaltsverzeichnis
|
Einordnung der Grundrechte
Man unterscheidet:
- nach Rechtsquelle: überstaatliche und nationalgesetzliche Grundrechte, auch sprachlich gebräuchlich Menschenrechte bzw. konstitutionelle Rechte, erstere stehen unabhängig von innerstaatlichen Normen jedermann zu und können daher durch die nationale Gesetzgebung weder entzogen noch eingeschränkt werden; indes werden in säkularen Rechtssystemen über- oder vorstaatliche Rechtsquellen weit gehend als rechtsphilisophische Forderungen verstanden und haben geringe Normativkraft (→ Rechtspositivismus)
- nach Kreis der Berechtigten: die Menschenrechte, die allen Menschen, jedermann, zustehen (vgl. Art. 1 Abs. 1, 2 GG), und die Bürgerrechte, die nur Staatsbürger in Anspruch nehmen können
- nach Maß der Rechtsgarantie: Grundrechte ohne Einschränkung und Vorbehalt, die allenfalls immanente Schranken kennen also nur jedem Freiheitsrecht von Natur aus innewohnenden Schranken und Grundrechte, die durch Gesetz eingeschränkt werden können
- nach Rechtsziel: Abwehr- und Freiheitsrechte, Leistungsrechte, Teilhabe- und Teilnahmerechte
Geschichte
- Ihre Wurzeln finden die Grundrechte der Moderne bereits in der Magna Carta von 1215, die die königliche Macht beschränkte und mit ihren Artikeln 39 und 40 jedem Freien in England ein gewisses Minimum an Rechtsschutz gegen Willkür garantierte.
- Danach wurden weitere Grundrechte im Habeas Corpus Act von 1679 schriftlich fixiert. Sie enthielt einen Schutz vor willkürlicher Verhaftung und das Recht, einem Richter vorgeführt zu werden.
- 1689 brachte die Bill of Rights das Petitionsrecht und das Verbot von Verhaftungen ohne richterliche Anordnung.
- 1776 erklärte die Virginia Bill of Rights, dass alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind und ihr Leben und Eigentum unverletzlich sind.
- In der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurden das Leben, Freiheit und das Streben nach Glück zu unveräußerlichen Rechten (Naturrecht) erklärt und das Recht auf Leben garantiert.
- 1789 wurden in der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die Freiheit (liberté), die Gleichheit (egalité), die Meinungs-, Glaubens- und Gedankenfreiheit festgesetzt sowie das Eigentum garantiert.
- Die Bill of Rights der USA, d. h. die ersten zehn Zusätze zur amerikanischen Verfassung (beschlossen 1789, ratifiziert 1791), stellten die erste einklagbare und somit durchsetzbare Grundrechteordnung dar. Sie sind heute noch in Kraft.
- In der Paulskirchenverfassung war die Freizügigkeit, die Berufsfreiheit, die Auswanderungsfreiheit, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Glaubensfreiheit, die Gewissensfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Eigentum garantiert. Zwar trat die Verfassung als solche nie in Kraft, doch ihr späterer Grundrechtsteil (Abschnitt VI, §§ 130 bis 189) entsprach den durch das Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848 für anwendbar erklärten Grundrechten. Den Grundrechten kam allerdings noch kaum praktische Bedeutung zu, da die Gegenrevolution zu diesem Zeitpunkt wieder erstarkt war und mehrere Gliedstaaten des Deutschen Bundes die Veröffentlichung der Grundrechte in ihren Gesetzbättern verweigerten, was nach damaligem Bundesrecht zu deren Inkrafttreten erforderlich gewesen wäre. Schon im August 1851 wurde der Grundrechtskatalog von der Bundesversammlung auch formal wieder aufgehoben.
- Die Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 verbürgte keine Grundrechte („Einheit vor Freiheit“).
- Erst die Weimarer Reichsverfassung knüpfte dann an die Paulskirchenverfassung an und enthielt die gleichen Grundrechte und zusätzlich als soziale Grundrechte unter anderem die Grundpflicht und das Grundrecht auf Arbeit (Art. 163 WRV).
- In der Zeit des Nationalsozialismus wurden mit der Reichstagsbrandverordnung von 1933 die in den Artikeln 114 (Freiheit der Person), 115 (Unverletzlichkeit der Wohnung), 117 (Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis), 118 (Meinungsfreiheit), 123 (Versammlungsfreiheit), 124 (Vereinigungsfreiheit) und 153 WRV (Eigentumsgewährleistung) festgeschriebenen Grundrechte außer Kraft gesetzt.
Grundrechte im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik Deutschland sind die Grundrechte in den Artikeln 1 bis 19 des Grundgesetzes festgelegt. Außerdem finden sich in den Artikeln 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG so genannten grundrechtsgleiche Rechte. Grundrechte dürfen nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden (sog. Gesetzesvorbehalt). Manche Grundrechte wie die Gewissens-, Kunstfreiheit oder das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen unterliegen gar nur verfassungsimmanenten Schranken, können also nur zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts eingeschränkt werden. Die Menschenwürde ist sogar gänzlich unantastbar und damit das einzig wirklich schrankenlose Grundrecht des Grundgesetzes.
Die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes können in sog. Jedermannsrechte einerseits und Staatsbürgerrechte (gelegentlich auch als „Deutschengrundrechte“ bezeichnet) anderereseits unterteilt werden. Staatsbürgerrechte stehen nur Deutschen zu, z. B. die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie im weiteren Sinne das Wahlrecht und der Zugang zu öffentlichen Ämtern. Jedermannsrechte sind die übrigen Rechte. Soweit ein Grundrecht nur für Deutsche gilt, wird jedoch auch Ausländern ein Grundrechtsschutz über die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährt, wobei dieser durch die größeren Einschränkungsmöglichkeiten eine geringere Schutzintesität hat.
Selbst wenn sie einem Gesetzesvorbehalt unterliegen, können die Grundrechte nur insoweit eingeschränkt werden, als nicht ihr Wesensgehalt angetastet wird (Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG), das Grundrecht ausdrücklich im einschränkenden Gesetz genannt ist (Zitiergebot), die Grundsätze der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) gewahrt bleiben u. v. m. Derartige Schranken der Einschränkbarkeit heißen Schranken-Schranken. Sie binden den Staat nicht nur beim Normerlass, sondern auch bei der Anwendung der Normen auf den konkreten Einzelfall.
Auch in den meisten Verfassungen der Bundesländer gibt es Grundrechtskataloge, die sich jeweils etwas voneinander unterscheiden, aber niemals ein durch das Grundgesetz garantiertes Grundrecht außer Kraft setzen können („Bundesrecht bricht Landesrecht“, sagt Art. 31 GG). Solche durch Landesverfassung garantierten Grundrechte bleiben ungeachtet des Vorrangs von Bundesrecht gem. Art. 142 GG in Kraft, soweit sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis 18 GG stehen. Länderverfassungen, die nach dem Grundgesetz entstanden sind, verzichten oft auf einen eigenen Grundrechtskatalog.
Katalog der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte
Artikel | Inhalt |
1 | Schutz der Menschenwürde |
2 | Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Person, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit |
NN | Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz) |
3 | Gleichheitssatz, Gleichberechtigung |
4 | Glaubens- und Gewissensfreiheit |
5 | Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit, sowie die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft |
6 | Schutz von Ehe und Familie |
7 |
Recht auf Schulwahl, auf Erteilung und Teilnahme am Religionsunterricht, zur Errichtung von Privatschulen |
8 | Versammlungsfreiheit |
9 | Vereinigungsfreiheit |
10 | Brief- und Postgeheimnis |
11 | Freizügigkeit im Bundesgebiet |
12 | Freiheit der Berufswahl, Verbot der Zwangsarbeit |
12a | Wehrdienst, Dienstverpflichtungen [Kein Grundrecht] |
13 | Unverletzlichkeit der Wohnung |
14 | Eigentumsrechte |
15 | Überführung in Gemeineigentum [Kein Grundrecht] |
16 | Ausbürgerung, Auslieferung |
16a | Asylrecht |
17 | Petitionsrecht |
17a | Grundrechteinschränkung für Soldaten [Kein Grundrecht] |
18 | Grundrechtsverwirkung [Kein Grundrecht] |
19 | Einschränkung von Grundrechten Abs.4: Rechtsweggarantie (sog. Justizgrundrecht) |
20 Abs. 3 | Gesetzmäßigkeit von Exekutive und Justiz, Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung [keine Grundrechte, können jedoch grundrechtsgleiche Positionen begründen] |
NN | Verhältnismäßigkeitsgebot, Vorbehalt des Gesetzes, Rückwirkungsverbot, Staatshaftung |
20 Abs. 4 | Widerstandsrecht |
33 | Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern |
38 | Wahlrecht |
79 Abs. 3 | Ewigkeitsgarantie und Unveränderlichkeit der Verfassungsprinzipien, Schutz der Artikel 1 und 20 vor Änderung [kein Grundrecht] |
101 | Abs. 1 Satz 1: Verbot von Ausnahmegerichten (sog. Justizgrundrecht)
|
103 | Abs. 1: Anspruch auf rechtliches Gehör (sog. Justizgrundrecht)
Abs. 2: Verbot rückwirkender Gesetze (lat. nulla poena sine lege) (sog. Justizgrundrecht) |
104 | Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug, Habeas-Corpus-Akte (sog. Justizgrundrecht) |
Bezug zum Internationalen Recht
Gemäß Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts vorrangiger Bestandteil des Bundesrechts und gehen den einfachen Gesetzen vor. Dazu zählen insbesondere Regeln des völkerrechtlichen ius cogens, des zwingenden Völkerrechts, von dem man davon ausgeht, dass es durch völkerrechtliche Verträge oder Gewohnheitsrecht nicht geändert werden darf.
Der Grundrechtsschutz in Deutschland wird durch die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergänzt. Infolge ihrer Einführung ins deutsche Recht durch Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genießt die EMRK grundsätzlich nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und steht damit in der Normhierarchie unterhalb des Grundgesetzes. Sofern jedoch Menschenrechtsgewährleistungen der EMRK zugleich völkerrechtliches ius cogens sind, genießen sie bereits aufgrund von Art. 25 GG Vorrang vor Bundesgesetzen.
Systematik und Statuslehre
Die Grundrechte haben eine multiple Funktion im Verfassungssystem, aus ihnen lassen sich verschiedene subjektive Rechtspositionen ableiten, sie sind jedoch zugleich auch objektive Wertentscheidungen der Verfassung. Als solche beeinflussen sie den Staat auf allen Ebenen seines Handelns und können unmittelbar und jederzeit vom Bürger geltend gemacht werden (Art. 1 Abs. 3 GG). Sie stellen zugleich eine Rangordnung im System der Verfassungsgüter dar. Die verschiedenen Funktionen der Grundrechte beschreibt die Grundrechtstheorie.
Als Beispiel dafür lässt sich die Menschenwürde mit ihrem Dualcharakter anführen: Die Menschenwürde ist einerseits der zentrale und höchstrangige Wert des Grundgesetzes und geht allen anderen vor und ist mit keinem anderen Verfassungsgut abwägbar. Auch dem Recht auf Leben oder dem Schutz des Staates geht sie z. B. vor. Selbst wenn sie andererseits kein Grundrecht im engeren Sinne ist, lässt sich ohne Weiteres ein starker und in jeder Situation wirksamer Achtungs- und Schutzanspruch ggü. dem Staat ableiten.
Die Grundrechte sind bewusst schlagwortartig und allgemein gehalten. Aus ihnen ist für jede Situation eine konkrete subjektive Rechtsposition ableitbar (Schutzbereich). Ausgehend von der staatsrechtlichen Statuslehre lassen sich folgende Modi grob einteilen:
- Status negativus ist ein Abwehrrecht gegen den Staat und bildet das klassische Freiheitsrecht ab, es setzt seinem Handeln Grenzen, gleich welcher Form (Bsp.: Der Staat darf den Bürger nicht fragen, ob man ein Kreuz im Klassenzimmer aufhängen dürfe, denn egal ob dafür oder dagegen, geht ihn dieses Meinungsbild nichts an. Umgekehrt darf der Bürger frei seine Meinung dazu verbreiten, der Staat braucht vor der Meinung seiner Bürger nicht geschont zu werden)
- Status positivus ist ein Leistungs,- Teilhabe- und Anspruchsrecht, das den Staat zu einem bestimmten Handeln verpflichtet (Bsp.: Gewährung von Rechtsschutz durch ein effektiv funktionierendes Justizsystem; Gewährung von konsularischer Hilfe im Ausland)
- Status activus ist ein Teilnahme- und Gestaltungsrecht innerhalb des staatlichen Gefüges (Bsp.: Teilnahme an Wahlen und indirekte Kreation von Staatsorganen)
Dieses System wird nach modernem Verfassungsverständnis zwar nicht abschließend verwendet, gilt in seinen Grundzügen gewiss fort.
Verletzung von Freiheitsgrundrechten
Der erste, mit „Die Grundrechte“ überschriebene Teil des Grundgesetzes (GG), enthält Freiheits- und Gleichheitsgrundrechte. Ein Freiheitsgrundrecht ist verletzt, wenn ein nicht gerechtfertigter staatlicher Eingriff in seinen Schutzbereich erfolgt ist. Ob ein Akt der Staatsgewalt in diesem Sinne grundrechtsverletzend ist 3-stufig zu prüfen:
- Definition des grundrechtlichen Schutzbereichs
- Eingriff: Tangiert dieser Akt der Staatsgewalt den Schutzbereich direkt oder indirekt (→ Edukationseffekt)
- Rechtfertigung durch Normen auf Verfassungsebene.
Gerechtfertigt ist ein Eingriff, wenn er durch formelles (Parlaments-)Gesetz des Bundes (Vorbehalt des Gesetzes) oder eines Landes oder auf gesetzlicher Grundlage geschieht (Gesetzesvorbehalt), das Grundrecht also verfassungsrechtlich wirksam eingeschränkt ist. Dieses einschränkende Gesetz muss aber selbst verfassungskonform sein:
- In formeller Hinsicht bedeutet das, dass der Gesetzgeber die erforderliche Gesetzgebungskompetenz besaß (Verbandskompetenz des Bundes oder der Länder) und das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehalten wurde.
- In materieller Hinsicht muss das einschränkende Gesetz die Schranken-Schranken beachten worden sein (Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie, Übermaßverbot) und die sonstigen Staatszielbestimmungen oder Verfassungsprinzipien (Demokratieprinzip, Gewaltenteilung etc.).
- Selbst wenn eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage vorhanden ist, ist der Eingriff nicht gerechtfertigt, sofern er innerhalb dieses Rahmens unverhältnismäßig ist.
Verletzungen von Grundrechten können nicht nur durch typische Handlungsformen der Staatsgewalt wie Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geschehen, sondern durch schlicht jedes andere Handeln oder Unterlassen, direkt oder mittelbar. Für diese Fälle ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG der besondere Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde vorgesehen, mit dem sich der Grundrechtsträger an das Bundesverfassungsgericht wenden kann.
Einschränkung von Grundrechten
formelle Voraussetzungen
Die Einschränkung von Grundrechten ist exklusives Parlamentsrecht. Durch den sog. Parlamentsvorbehalt wird diese Rechtsetzungsmacht auf den Bundestag konzentriert und kann nicht auf andere Organe wie Regierung, Behörden oder Justiz delegiert werden. Gleichzeitig wird durch den Vorbehalt des Gesetzes gesichert, dass Grundrechtseinschränkungen nur auf der Ebene von Parlamentsgesetzen (des Bundes wie der Länder) kodifiziert werden und sich nicht in Regelungswerke wie Verordnungen oder Satzungen einschleichen.
materielle Voraussetzungen
Materiell dürfen Grundrechtseinschränkungen nicht den Wesensgehalt eines Grundrechts berühren. Diese Maxime gilt unabhängig von der juristischen Technik oder vom Standort der Einschränkungsnorm (durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes, Grundrechtsänderung, Erweiterung von Schranken u. ä.). Selbst Verfassungsnormen dürfen in ihrer grundrechtseinschränkenden Wirkung nicht zu weit gehen oder zu weit interpretiert werden, es handelte sich dann ggf. um verfassungswidriges Verfassungsrecht. Grundrechte werden schließlich auch als Derivat der Menschenwürde definiert und genießen damit einen gewissen Ewigkeitsschutz (Art. 1 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG), dies gilt in unterschiedlichem Maße und ist mit ihrem Wesenskern nicht deckungsgleich, verleiht ihnen aber einen zusätzlichen Inhaltsschutz.
Schranken (Rechtstechnik)
Wirksam eingeschränkt werden können Grundrechte durch:
- einfachen Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) eingeschränkt werden“
- qualifizierten Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) zum Zwecke … eingeschränkt werden“
- verfassungsimmanente Schranken – Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter, die nicht als Einschränkungsmechanismen explizit vorgesehen sind, aber einen Eingriff in Grundrechte ermöglichen (Bsp.: Staatsziel Umweltschutz vs. Religionsfreiheit). Der Konflikt dieser widerstreitenden Prinzipien wird durch die Herstellung einer praktischen Konkordanz aufgelöst.
Insbesondere bei Eingriffen in die Kommunikationsgrundrechte (z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. GG) hat die Interpretation dieser Einschränkungsmechanismen jedoch im Lichte des Grundrechts selbst zu erfolgen, so dass sich der zulässige Eingriffsbereich und das Grundrecht sich gegenseitig bedingen und quantitativ definieren (sog. Wechselwirkungslehre).
Gegen die Verletzung eines Grundrechts durch die öffentliche Gewalt kann jedermann nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde erheben. Selbst dies ist ein Grundrecht (Art. 19 Abs. 4 GG).
Schranken-Schranken
Gemäß Art. 19 GG werden den Schranken der Grundrechte wiederum Schranken gesetzt, die vom Bundesverfassungsgericht überwacht werden:
- Verbot von Einzelfallgesetzen
- Zitiergebot
- Wesensgehaltsgarantie
- Verhältnismäßigkeit
- Wechselwirkungslehre
Staatszielbestimmungen
Von den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, die vor Gericht eingeklagt werden können, sind die Staatszielbestimmungen zu unterscheiden. Sie sind objektive Wertentscheidungen der Verfassung bilden die Richtschnur zur Auslegung der Gesetze, geben jedoch dem Bürger kein eigenes subjektives Recht. Beispiel ist hier der Umweltschutz und der Tierschutz (Art. 20a GG). Auf daneben noch mögliche andere Grundrechte, die nicht einklagbar sein würden, wurde bei Abfassung des Grundgesetzes bewusst verzichtet, um es nicht „zu verwässern“. Solche Rechte finden sich in jüngeren Verfassungen wie der Berlins oder Brandenburgs, z. B. das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnraum oder das Recht auf Sport. Solche Grundrechte haben ihren „politischen Wert“ darin, dass sie als in den Verfassungsrang gehoben von jeder Regierung beachtet werden sollten (unabhängig von Parteiprogrammen oder Koalitionsvereinbarungen).
Entwicklung
Bereits die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 billigte am 21. Dezember 1848 einen Katalog von Grundrechten, der allerdings nicht soweit reichte wie der moderne Grundrechtskatalog des Grundgesetzes. Bereits aufgeführt wurden die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit sowie die Habeas-Corpus-Grundrechte. Die Verfassung mit dem Grundrechtskatalog wurde zwar im März 1849 noch verabschiedet, trat aber niemals in Kraft.
Nachdem die Weimarer Reichsverfassung lediglich Programmsätze enthielt, sollte mit dem Grundgesetz ein Regelwerk geschaffen werden, das dem Staat gegenüber verbindlich festlegte, inwieweit er in bestimmte Rechte des Bürgers eingreifen darf. Grundsätzlich sind Eingriffe, die die Grundrechte nicht selbst vorsehen und die sich nicht aus anderen Verfassungswerten ergeben, unzulässig. Gegen diese kann der Bürger sich wehren, z. B. mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten oder vor den ordentlichen Gerichten. Sollte der Bürger nach Erschöpfung des Rechtswegs der Meinung sein, dass immer noch eine Grundrechtsverletzung besteht, kann er das Bundesverfassungsgericht im Wege einer Verfassungsbeschwerde anrufen.
Drittwirkung von Grundrechten
Grundrechte gelten als Mittel der Machtbegrenzung grundsätzlich nur gegenüber Hoheitsträgern. Eine Ausnahme davon befindet sich in Artikel 9 Abs. 3 S. 2 GG, der die Koalitionsfreiheit im Arbeitsleben regelt und davon abweichende privatrechtliche Vereinbarungen für nichtig erklärt. Weitere Ausnahmen befinden sich in Art. 20 Abs. 4 GG und in Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 GG.
Neben diesen einzigen Formen der direkten Drittwirkung (unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen) hat das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil zusätzlich eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht zugelassen. Praktische Bedeutung hat dies nicht nur bei unbestimmten Rechtsbegriffen wie Treu und Glauben oder Sittenwidrigkeit. Objektive Wertentscheidungen der Verfassung als Bestandteil der Grundrechte sind vielmehr das Zivilrecht stellenweise durchdringende Beurteilungsmaßstäbe für privatrechtliche Rechtsbeziehungen und die Entscheidungen von Zivilgerichten. Gerade sie beeinflussen die Entwicklung des modernen Zivilrechts, neuer Rechtsinstitute und die Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung. Eine ungenügende Beachtung dieser Maßstäbe macht Entscheidungen revisibel und eröffnet selbst im Zivilrecht die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.
Beispiele für die Drittwirkung der Grundrechte im Zivilrecht (nicht abschließend):
- Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht, Fürsorgepflichten des Arbeitgebers
- Beweisverbot für heimliche Vaterschaftstests innerhalb einer Vaterschaftsanfechtungsklage
- Rechtsprechung zu Wrongful Life
- Schutz Prominenter gegen Medien
Siehe auch
- Verfassung, Grundgesetz, Demokratie
- Minderheitenschutz, Grundbedürfnis, Menschenrechte, Bürgerrechte, Menschenwürde
- Ewigkeitsklausel, Rechtsstaat, Schutzbereich
Literatur
- Alexy, R.: Theorie der Grundrechte, Suhrkamp, 3. Aufl. 1996, ISBN 3518281828.
- Canaris, Claus-Wilhelm: Grundrechte und Privatrecht, AcP 1984, 201--246.
- Merten, D./Papier, H.-J.: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, C.F. Müller, Bd. I 2004, Bd. II 2005.
- Pieroth, B/Schlink, B.: Grundrechte - Staatsrecht II, C.F. Müller, 21. Auflage 2005.
- Sachs, M.: Verfassungsrecht II. Grundrechte, 2. Aufl. 2003
- Stern, K./M. Sachs: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, Bd. III/2 1994, Bd. IV/1 2005 (i. E.)
- Grundrechte-Report 2004. Hrsgg. von T. Müller-Heidelberg, U. Finckh, E. Steven, B. Rogalla, J. Micksch, W. Kaleck, M. Kutscha, Fischer Taschenbuchverlag, Juni 2004 (ca. 224 Seiten, ISBN 3596163811. Mehr Informationen auf report.humanistische-union.de.
- Eberhard Schockenhoff: Naturrecht und Menschenwürde. Universale Ethik in einer geschichtlichen Welt, Mainz, 1996, ISBN 3-7867-1899-7
- Siekmann, H./Duttge, G.: Staatsrecht I: Grundrechte, EuWi-Verlag: Thüngersheim, 4. Aufl., 2004
- Thiele, Alexander: Basiswissen Staatsrecht I, 3. Aufl., Altenberge 2006
- Thiele, Alexander: Basiswissen Staatsrecht II, 2. Aufl., Altenberge 2005
Weblinks
Wiktionary: Grundrecht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
- Informationsheft über Grundrechte der Bundeszentrale für politische Bildung
- Übersetzung der Virginia Bill of Rights
- „Grundrechte-Jogging“ (Online-Spiel der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)
Bitte beachten Sie den Hinweis zu Rechtsthemen! |