Kinder der Landstrasse
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Kinder der Landstrasse als „Hilfswerk“ entstand 1926 in der Schweiz unter der Leitung von Pro Juventute und hatte zum Ziel, Jenische bzw. Fahrende sesshaft zu machen. Zu diesem Zweck wurden ganze Familien „aufgelöst“ und die Kinder in Heimen fremdplatziert. In einigen Fällen wurden Kinder der Mutter bereits direkt nach der Geburt weggenommen. Bis 1972 waren es rund 600 Kinder, die vom Hilfswerk „betreut“ wurden. Ziel von Kinder der Landstrasse war das Ansinnen, Menschen zu einer Lebensweise zu zwingen, die den „bürgerlichen Ordnungs- und Sauberkeitsvorstellungen“ entsprachen.
Die rechtliche Grundlage bestand im Zivilgesetzbuch von 1912, welches bei pflichtwidrigem Verhalten der Eltern, dauernder Gefährdung oder ganz allgemein bei Verwahrlosung den Vormundschaftsbehörden das Recht gab, den Eltern das Sorgerecht über ihre Kinder zu entziehen. Obwohl schon das Zivilgesetzbuch eine Aufsicht über die Arbeit der Behörden erwähnte, wurde diese kaum wahrgenommen. Allein die Tatsache, dass die Eltern eines Kindes nicht sesshaft waren, genügte für eine Wegnahme des Kindes.
Mit strengen Mitteln wurde verhindert, dass Eltern Kontakt aufnehmen konnten zu ihrem Kind und umgekehrt. Die Kinder wurden in Pflegefamilien, Heimen, psychiatrischen Anstalten und sogar in Gefängnissen untergebracht. Einige Kinder endeten als Verdingkind, andere wurden sogar verkauft, vermutlich als billige Arbeitskräfte. Kindsmisshandlungen wurden als „Erziehung zur Arbeit“ verstanden.
1972 veröffentlichte der Schweizerische Beobachter die Schicksale von einigen Menschen, die aus ihrer Familie herausgerissen wurden. Die meisten Kinder und Eltern litten das ganze Leben lang unter den Aktivitäten des „Hilfswerks“. Der Bund zahlte finanzielle Entschädigungen, doch die Verantwortlichen von „Kinder der Landstrasse“ sowie die Mitglieder von Vormundschaftsbehörden, die ihre Aufsichtsfunktion nicht erfüllt haben, wurden nie bestraft. Man kann davon ausgehen, dass nach heutigem Recht der Straftatbestand des Völkermords [1] erfüllt ist, insbesondere auf Seiten der beiden Hauptakteure, Dr. Alfred Siegfried (1890-1972) und Clara Reust. Obwohl solche Verbrechen nach Ansicht von Experten nicht verjährbar sind, lässt eine offizielle juristische Aufarbeitung nach wie vor auf sich warten.
Die jenischen Schriftsteller Mariella Mehr und Peter Paul Moser verarbeiteten ihre Schicksale als Opfer des „Hilfswerks“ in mehreren ihrer Bücher.
Der Schweizer Regisseur Urs Egger drehte 1992 einen Film mit dem gleichen Namen über dieses Thema. Die Hauptrolle spielte Jasmin Tabatabai.
[Bearbeiten] Weblinks
- Heimatlose und Fahrende in der Schweiz
- Die Organisation der Opfer des Hilfswerks Kinder der Landstrasse
- Völkermordartikel im schweizerischen Strafgesetzbuch