Menschwerdung Gottes
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Die Menschwerdung eines Gottes ist zum ersten Mal im Hinduismus erwähnt. In Hunderten von Geschichten wird berichtet, dass Shiva die Gläubigen in Menschengestalt besucht, um ihre Opferbereitschaft und ihren Glauben zu prüfen.
Die Erscheinung eines Gottes in Menschengestalt ist auch in der griechisch-römischen Antike ein verbreitetes mythologisches Motiv. Beispielsweise beschreibt Homer gleich zu Beginn der Odyssee, dass Pallas Athene nach dem Ratschluss der Götter zum Haus des Odysseus eilt, wo sie mit dessen Sohn Telemach in Gestalt eines Fremden spricht, um seine Widerstandskraft gegen die Freier seiner Mutter Penelope zu stärken und damit drohendes Unrecht zu verhindern.
Allerdings erfüllt das Auftreten eines Gottes in Menschengestalt nicht eigentlich den Begriff Menschwerdung, da die Gestalt nur Schein und Verkleidung ist - wie auch bei der Erscheinung eines Gottes in Tiergestalt.
[Bearbeiten] Christentum
Im Bereich des Christentums begegnet der Gedanke der Menschwerdung Gottes zum ersten Mal im Prolog des Johannesevangeliums. Dort heißt es: „Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort … und das Wort ward Fleisch.“
Die darauf aufbauende Christologie sieht in Jesus von Nazaret den ewigen Sohn des Vaters (siehe Trinität) als wahren Menschen (also gerade nicht nur als "Erscheinung in Menschengestalt"), der geboren wurde, lehrte und heilte, litt, am Kreuz starb und von den Toten auferstand. Diese Inkarnation Gottes in Christus in die Menschenwelt, bis zum Verbrechertod, ist der Kern des christlichen Glaubens.
Die Menschwerdung (lat. incarnatio „Fleischwerdung“; et incarnatus est de Spiritu Sancto … et homo factus est Nicäno-Konstantinopolitanum) wird Weihnachten unter dem Aspekt der Geburt, Ostern unter dem Aspekt des Todes und der Auferstehung, Pfingsten unter dem Aspekt der bleibenden Gegenwart gefeiert. Sie steht auch im Mittelpunkt des Eucharistieglaubens.
Anschaulich geschildert wird diese Menschwerdung Gottes von Gregor von Nazianz in seiner dritten Theologischen Rede:
- „Er wurde als Mensch getauft, aber er vergab als Gott Sünden – nicht weil er selbst Reinigungsriten brauchte, sondern um das Element des Wassers zu heiligen. Er wurde als Mann versucht, und überwand als Gott. Ja, er fordert uns auf, frohen Muts zu sein, denn er hat die Welt überwunden. Er hungerte, aber er speiste Tausende. Ja, er ist das Brot, das Leben gibt und das vom Himmel kommt. Er dürstete, aber er rief, wer da dürstet, der komme zu mir und trinke. Ja, er versprach, dass Quellen lebendigen Wassers aus denen strömen, die glauben. Er war müde, aber er ist die Erquickung derer, die müde und beladen sind. Er zahlt die Tempelsteuer, aber mit einer Münze aus einem Fisch. Ja er ist der König derer, die sie verlangten. […] Er betet, aber er erhört auch Gebete. Er weint, aber er trocknet Tränen. Er fragt, wo Lazarus begraben ist, denn er ist ein Mensch; aber als Gott erweckt er Lazarus vom Tod. Er wird verraten für nur dreißig Silberstücke, aber er erlöst die Welt für einen hohen Preis, denn der Preis war sein eigenes Blut. Als Lamm wird er zur Schlachtbank geführt, aber er ist der Hirte von Israel und jetzt auch von der ganzen Welt. […] Er stirbt, aber er gibt Leben und zerstört den Tod durch seinen Tod. Er ist begraben, aber ist wieder auferstanden.“
Wird eine behutsame Erweiterung der Quellen über die derzeit anerkannten kanonischen Schriften des alten (Kanon des Alten Testaments) und neuen Testamentes (Kanon des Neuen Testaments) zugelassen, könnten sich möglicherweise weiterführende Einblicke in dieses christliche Mysterium ergeben. In den Neuoffenbarungen Bertha Duddes wird der vermeintliche Gegensatz Mensch – Gott dadurch aufgehoben, indem Gott, als reines Geistwesen höchster Vollkommenheit, die Liebe als Urelement seiner selbst zu beschreiben ist. Da sich der Mensch Jesus durch seinen Lebenswandel innerlich zu einem Aufnahmegefäß gestaltet hat, sodass die ewige Liebe als geistige Kraft selbst in ihn einziehen und uneingeschränkt wirken konnte, handelte Jesus Christus als Mensch und als Gott. Er konnte somit zum einen ganz Mensch bleiben, um damit allen Menschen, die nach ihm kommen würden, beispielhaft vorzuleben, was sie tun müssen, um selbst wieder ihrem Gott und Schöpfer nahezukommen (Nachfolge Christi). Zum anderen konnte er dennoch als Mensch und Sohn Gottes mit der inwendigen Liebe als unbeschränktem Anteil Gottes selbst das Opfer zur Erlösung aller Schuld erbringen, denn als Mensch konnte er sterben, doch die unsterbliche Seele wurde eins mit dem Vater, die ewige Liebe selbst tat demnach durch das Opfer der eigenen göttlichen Gerechtigkeit genüge.
Der Philosoph Slavoj Žižek sieht das Christentum als einzige Religion, in der Gott selber für einen Augenblick Atheist war und an sich selber (bei der Kreuzigung) gezweifelt hat (vergleiche Mark. 15,34). Seine Lesart des Christentums betont, dass, wenn Gott "einer von uns" geworden ist, darin die Fähigkeit zu zweifeln impliziert ist, da sie eine logische Konsequenz des bewussten Daseins darstellt. Ohne diesen Zweifel wäre die Menschwerdung Gottes unvollständig gewesen.
Bestritten wurde die Inkarnation vom Arianismus, später von den Unitariern, den Zeugen Jehovas und anderen Gruppen. Das Judentum und der Islam lehnen Vorstellungen jeder Form der Inkarnation Gottes, beispielsweise in einen Menschen, und der Anbetung der Inkarnationsform (Jesus Christus) ab.
[Bearbeiten] Literatur
Klassisch
- Anselm von Canterbury: Cur Deus homo. Lateinisch und deutsch = Warum Gott Mensch geworden. Übers. von Franciscus Salesius Schmitt. Bibliothek klassischer Texte. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 5. Aufl. 1993
Historisch-theologische Studien
- Walter Mostert: Menschwerdung. Eine historische und dogmatische Untersuchung über das Motiv der Inkarnation des Gottessohnes bei Thomas von Aquin. Beiträge zur historischen Theologie 57. Mohr, Tübingen 1978 ISBN 3-16-140322-3
- Dieter Zeller (Hrsg.): Menschwerdung Gottes, Vergöttlichung von Menschen. Novum testamentum et orbis antiquus 7. Univ.-Verl., Freiburg (CH) u.a. 1988 ISBN 3-7278-0604-4
- Frank Meessen: Unveränderlichkeit und Menschwerdung Gottes. Eine theologiegeschichtlich-systematische Untersuchung. Freiburger theologische Studien 140. Herder, Freiburg i.Br. u.a. 1989 ISBN 3-451-21555-1
- Hans Küng: Menschwerdung Gottes: Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie. Serie Piper 1049. Piper, München u.a. 1989 ISBN 3-492-11049-5
- Ulrich B. Müller: Die Menschwerdung des Gottessohnes. Frühchristliche Inkarnationsvorstellungen und die Anfänge des Doketismus. Stuttgarter Bibelstudien 140. Verl. Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1990 ISBN 3-460-04401-2
- Theodore M. Snider: The Divine Activity. An Approach to Incarnational Theology. American University Studies 7/63. Lang, New York u.a. 1990 ISBN 0-8204-0946-4
- Hermann Brandt: Gottes Gegenwart in Lateinamerika: Inkarnation als Leitmotiv der Befreiungstheologie. Hamburger theologische Studien 4. Steinmann & Steinmann, Hamburg 1992 ISBN 3-927043-14-1
- Michael Rieger: Inkarnation: Christliches Heilsverständnis im Kontext französischsprachiger Theologie der Menschwerdung. EHS 23/496. Lang, Frankfurt a.M. u.a. 1993 ISBN 3-631-46589-0
- James D.G. Dunn: Christology in the Making. A New Testament Inquiry into the Origins of the Doctrine of the Incarnation. Eerdmans, Grand Rapids 2. Aufl. 1996 ISBN 0-8028-4257-7
- Ulrike Link-Wieczorek: Inkarnation oder Inspiration? Christologische Grundfragen in der Diskussion mit britischer anglikanischer Theologie.FSÖTh 84. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1998 ISBN 3-525-56291-8
- Karin Ulrich-Eschemann: Vom Geborenwerden des Menschen: theologische und philosophische Erkundungen. Studien zur systematischen Theologie und Ethik 27. Lit-Verl., Münster u.a. 2000 ISBN 3-8258-5098-6
- Richard Cross: The Metaphysics of the Incarnation. Thomas Aquinas to Duns Scotus Univ. Press, Oxford u.a. 2002 ISBN 0-19-924436-7
- Christian Uhrig: "Und das Wort ist Fleisch geworden". Zur Rezeption von Joh 1,14a und zur Theologie der Fleischwerdung in der griechischen vornizänischen Patristik. Münsterische Beiträge zur Theologie 63. Aschendorff, Münster 2004 ISBN 3-402-03968-0
- Jean-Bertrand Madragule Badi: Inkarnation in der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs. Mit einem Vorw. von Michael Wyschogrod. Studien zu Judentum und Christentum. Schöningh, Paderborn u.a. 2006 ISBN 3-506-72944-6
- Wilson Paroschi: Incarnation and Covenant in the Prologue to the Fourth Gospel (John 1:1-18). EHS 23/820. Lang, Frankfurt a.M. u.a. 2006 ISBN 3-631-54830-3