Textus receptus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Textus receptus (lat. für der überlieferte Text) nennt man jene Textform des griechischen Neuen Testaments (NTs), die in den weit verbreiteten Druckausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden ist und sich in der Folge im Westen für lange Zeit durchgesetzt hat. Ursprünglich bezog er sich auf die Ausgabe des griechischen NTs durch Elzevier im Jahre 1633, die mit diesen Worten beworben wurde. Aber auch andere Ausgaben dieses Druckhauses, sowie einige Ausgaben von Erasmus von Rotterdam und Robert_Estienne werden als Ausgaben des Textus Receptus angesehen.
Die Druckausgabe des Erasmus von Rotterdam von 1516 ist zwar, wie jede Ausgabe vor Einsetzen der modernen Textkritik des Neuen Testaments, diesen Ausgaben (die auch kleinere Abweichungen untereinander zeigen) ziemlich ähnlich, aber unterscheidet sich doch z.B. durch das Fehlen des Comma Iohanneum und sollte deshalb besser nicht als "Textus receptus" bezeichnet werden.
In der komplizierten Textgeschichte des Neuen Testaments unterscheidet man verschiedene Textfamilien. Erasmus hat seiner Erstausgabe vier mehr oder minder zufällige Manuskripte des so genannten byzantinischen Reichstextes zu Grunde gelegt, die er über italienische Zwischenhändler erworben hatte. Diese Textform wird zwar von der Mehrheit der erhaltenen Handschriften überliefert, ist aber, wie die wissenschaftliche Textkritik heute annimmt, eine vergleichsweise späte Entwicklung, die sich im Lauf der Textüberlieferung vom Urtext recht weit entfernt hat.
Im 18. Jahrhundert wird der Textus receptus in Frage gestellt: Ausgaben des griechischen Neuen Testaments enthalten nun einen textkritischen Apparat, in dem abweichende Lesarten aus anderen Handschriften und Übersetzungen verzeichnet sind, zum Teil mit Angabe, sie seien vermutlich ursprünglicher als die Lesart des Textus receptus. Im 19. Jahrhundert werden weitere Handschriften entdeckt, entziffert und in ihrer Wichtigkeit für die Textüberlieferung erkannt. Mit der Ausgabe von Konstantin von Tischendorf von 1869/1872 und derjenigen von Westcott/Hort 1881 darf der Textus receptus in der wissenschaftlichen Textkritik als überwunden gelten, auch wenn man an den textkritischen Leitprinzipien insbesondere von Westcott/Hort durchaus berechtigte Kritik üben kann.
Einzelne Anhänger des Textus receptus, die diese Textform als die von Gott inspirierte ansehen, gibt es allerdings bis heute. Auch die Griechisch-Orthodoxe Kirche, in deren Gottesdiensten bis heute die altgriechische Originalsprache üblich ist, verwendet als ihren Bibeltext weiterhin einen Text, der Erasmus' Textus receptus ähnlich, allerdings nicht genau gleich ist; er basiert auf einer größeren Zahl von Manuskripten des byzantinischen Reichstextes, als Erasmus zur Verfügung standen. Dies wird damit begründet, dass der Heilige Geist nicht nur speziell die ursprünglichen Autoren, sondern vielmehr die gesamte kirchliche Überlieferung inspiriert habe; auch wenn man die Rekonstruktion der Originaltexte als möglich annehme, seien diese daher nicht prinzipiell besser als der kirchlich überlieferte Text.
Bibelübersetzungen aus der Reformationszeit wie diejenige von Martin Luther oder die englische King-James-Bibel legen den Textus receptus zu Grunde, während heutige revidierte Übersetzungen die neueren textkritischen Ausgaben des griechischen Neuen Testaments zur Grundlage nehmen. Ausnahmen sind die Schlachter-Bibel Version 2000 und die Luther-Revision von 1998 (NT), die beide einen Textus Receptus als Grundlage benutzen, sowie in den USA die populäre "New King James Version".
Siehe auch: Textgeschichte des Neuen Testaments, Textkritik des Neuen Testaments
[Bearbeiten] Literatur
- Kurt Aland, Barbara Aland: Der Text des Neuen Testaments. 2. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1989 ISBN 3-438-06011-6
- Kurt Aland, Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes. 1967.
- Rudolf Ebertshäuser Gottes zuverlässiges Wort, Esra Schriftendienst, 1. Auflage Mai 2004
- Rudolf Ebertshäuser 300 wichtige Veränderungen im Test des NT, Esra Schriftendienst, 1. Auflage April 2004
- Karl-Hermann Kauffmann Der Text des Neuen Testaments, Manuskriptdruck Freie Brüdergemeinde Albstadt