Tyrannenmörder
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Die Gruppe der Tyrannenmörder ist eines der bedeutendsten Hauptwerke der frühen klassischen Plastik Griechenlands.
Sie stellt die befreundeten Männer Harmodios und Aristogeiton dar, die während der Panathenäen von 514 v. Chr. die Tyrannen-Brüder von Athen, Hipparch und Hippias, zu ermorden versuchten. Dieses Attentat galt als Geburtsstunde der attischen Demokratie.
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[Bearbeiten] Hintergrund
Der Anschlag hatte eher persönliche als politische Gründe. Hipparch hatte sich in den jungen Harmodios verliebt. Da letzterer die Anträge des Tyrannen abwies, entehrte Hipparch die Schwester des Harmodios, indem er ihr die Teilnahme am Panathenäenzug als Korbträgerin versagte. Das bedeutete eine Beleidigung der Familienehre, die mit dem Mord an den beiden Tyrannen gerächt werden sollte. Der Anschlag schlug jedoch fehl. Hipparch wurde zwar getötet, nicht aber dessen Bruder Hippias, und zudem fand Harmodios während des Angriffs den Tod. Aristogeiton wurde gefangen genommen und später nach grausamem Verhör auf der Athener Akropolis umgebracht.
Fünf Jahre danach fand die Herrschaft der Tyrannen mit der Vertreibung von Hippias, dem letzten der Peisistratiden, dennoch ihr Ende. Die Demokratie wurde fortan zur athenischen Staatsform erhoben. Der Demos (Volk) von Athen ließ 510/09 v. Chr. zu Ehren von Harmodios und Aristogeiton vom Bildhauer Antenor auf der Athener Agora eine Statuengruppe errichten. Offensichtlich spielte das persönliche Motiv der beiden keine Rolle mehr, stattdessen wurden sie zu Symbolen des Protests gegen die Tyrannis im Namen der Freiheit erkoren und die Gruppe somit das erste öffentlich-politische Denkmal der europäischen Kunstgeschichte.
[Bearbeiten] Die Statuengruppe
Die Statuengruppe wurde 480 v. Chr. von den Persern unter Xerxes I., nach der Eroberung und Plünderung von Athen als Trophäe nach Susa verschleppt.
Doch bereits drei Jahre nach der Entführung dieser Statuengruppe schufen 477/76 v. Chr. zwei andere Künstler, die Bildhauer Kritios und Nesiotes, eine neue Gruppe. Sie gehört zum Strengen Stil. Nach der Überlieferung von Pausanias in seiner "Beschreibung Griechenlands" aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stand die zweite Gruppe unweit des Arestempels. Im Gegensatz zur älteren sog. Antenorgruppe, die zwar von Alexander dem Großen nach der Eroberung Persiens nach Griechenland zurückgeführt worden war, aber von den Römern nie kopiert wurde, ist uns die zweite Version dank mindestens sieben römischen Kopien bekannt. Die vollständigste Kopie, die aus hadrianischer Zeit stammt, ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Zwischen 1586 und 1790 befand sie sich im Palazzo Farnese in Rom. Im Jahre 1790 wurde sie mit der übrigen Haussammlung der Adelsfamilie Farnese nach Neapel überführt (jetzt im Museo Nazionale). Allerdings hat sich bei dieser Statuengruppe der Kopf des Aristogeiton nicht erhalten. Diese wurde durch ein weiteres Fragment, das sich im Konservatorenpalast in Rom befindet, ergänzt.
Mit kräftigem Ausfallschritt stürmen die beiden durch ihre Nacktheit heroisierten Tyrannenmörder nach vorne. Aristogeiton ist der bärtige und somit als der ältere der beiden Dargestellten charakterisiert. Das eng anliegende kurzgelockte Haar und der dichte Bart verstärken den kubischen Eindruck seines Kopfes. Stilistische Ähnlichkeiten mit der Themistokles-Herme von Ostia sind unverkennbar. Das betrifft besonders die Haargestaltung. Die Muskelpartien seines Oberkörpers sind durch deutliche Zäsuren voneinander getrennt. Über den linken, nach vorne ausgestreckten Arm hat er seinen Mantel geworfen. In der Hand hielt er ursprünglich eine Schwertscheide, das Schwert selbst umfasste er mit der Hand des rechten, zum Stoß ausholenden Armes.
Der jüngere Harmodios ist in ähnlicher, jedoch aber umgekehrten Vorwärtsbewegung erfasst. Sein Kopf ist rundlicher und erinnert mit seinen stilisierten Buckellöckchen an archaische Kourosstatuen. Seine jugendliche Kraft wird durch den kräftigen Oberkörper betont, dessen Muskelpartien geschmeidiger und elastischer wirken, als es beim älteren Aristogeiton der Fall ist. Bei beiden Gestalten sind Elemente, die an den so genannten Strengen Stil erinnern, in den Gesichtszügen zu sehen. Anhand vergleichbarer Darstellungen der Gruppe auf Vasen-, Münz- und Reliefbildern lassen sich die Bewegungen und Attribute der originalen Statue in den Grundzügen rekonstruieren.
Der Tyrannenmord ist auch ein Motiv in der griechischen Vasenmalerei.
[Bearbeiten] Philologische Überlieferung
Aristogeiton war der ältere der beiden Tyrannenmörder. Die bekannte Statuengruppe stellt ihn nicht nur als den gegenüber seinem Freund und Mittäter Harmodios Älteren und darum Bärtigen dar, sondern auch als den im Kampf und daher im Umgang mit Waffen Geübteren und Erfahreneren. In der Statuengruppe wird das durch die Haltung des Schwertes verdeutlich, womit er versucht zum Stoß und nicht wie der jüngere Harmodios von oben her zum Schlag auszuholen. Tatsächlich war auch sein Freund und Mittäter Harmodios bei dem missglückten Attentat sofort getötet worden, während Aristogeiton zumindest den Hipparch töten konnte, bevor er zum Verhör gebracht und getötet wurde. Was wir von Aristogeiton als auch von Harmodios neben der archäologischen Überlieferung wissen, verdanken wir zu einem guten Teil dem Geschichtsschreiber Thukydides I, 20-2. Dieser lieferte hierin unter anderem diese Beschreibung (Auszug):
- 20) So also fand ich die Vorzeit, in mühsamer Untersuchung, da nicht jedem ersten besten Zeugnis zu trauen war. Denn die Menschen nehmen alle Nachrichten von Früherem, auch was im eignen Lande geschah, gleich ungeprüft voneinander an. So meinen zum Beispiel die meisten Athener, Hipparchos sei von Harmodios und Aristogeiton als Tyrann erschlagen worden, und wissen nicht, dass Hippias als der älteste der Peisistratos-Söhne herrschte und Hipparchos und Thessalos seine Brüder waren, und dass Harmodios und Aristogeiton an jenem Tage argwöhnisch, einer ihrer Mitwisser möchte sie im Augenblick dem Hippias verraten haben, diesen sein ließen, weil er gewarnt war, und dafür, um doch vor der Verhaftung noch eine Tat zu vollbringen, den Hipparchos suchten, der gerade am sogenannten Leokoreion den Panathenäenzug ordnete, und diesen erschlugen. Und so gibt es noch manches, auch Heutiges, nicht durch die Zeit Verschollenes, was auch die anderen Hellenen irrig meinen, wie etwa, dass die Lakedaimonierkönige nicht jeder einen Stimmstein dazulegten, sondern zwei, und dass der Pitanatische Trupp ihnen gehöre - den es gar nie gegeben hat. So unbemüht sind die meisten in der Erforschung der Wahrheit und bleiben lieber bei den herkömmlichen Meinungen. 21) Wer sich aber nach den genannten Zeichen die Dinge doch etwa so vorstellt, wie ich sie geschildert habe, wird nicht fehlgehn, unverführt von den Dichtern, die sie in hymnischer Oberhöhung geschmückt haben, noch von den Geschichtenschreibern, die alles bieten, was die Hörlust lockt, nur keine Wahrheit - meistenteils unglaubhafte, durch die Zeit sagenartig eingewurzelte Unbeweisbarkeiten; vielmehr wird man sie nach den augenfälligsten Anzeichen für ihr Altertum zur Genüge aufgehellt finden. Und obgleich die Menschen den Krieg, den sie gerade führen, immer für den größten halten, um nach seinem Ende wieder das Frühere höher zu bewundern, so wird doch dieser Krieg sich dem, der auf das wirklich Geschehene achtet, als das größte aller bisherigen Ereignisse erweisen. 22) Was nun in Reden hüben und drüben vorgebracht wurde, während sie sich zum Kriege anschickten, und als sie schon drin waren, davon die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts; nur wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen mußte, so stehn die Reden da, in möglichst engem Anschluss an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten. Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht 'nach meinem Dafürhalten', sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis. Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: Zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfaßt.
Nicht unwichtiger sind bei Thukidides die Stellen VI 54,3 / VI 56,2 / VI 57,3. Hierin wird bei ihm nachgewiesen, dass Eifersucht und Rache die Motive für den Anschlag waren. Eine weitere, wenn auch anders geartete Beschreibung liefert Aristoteles in seiner Athenaion politeia 14-19.
[Bearbeiten] Literatur
- John Boardman: Griechische Plastik - Die klassische Zeit. Zabern, Mainz 1987. S. 37–46, Abb. 3–9. ISBN 3-8053-0818-3
- Ernst Buschor: Die Tyrannen-Mörder. Bay. Akademie der Wiss., München 1940. (Sitzungsberichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung, 1940, Heft 5)
- Burkhard Fehr: Die Tyrannentöter oder: Kann man der Demokratie ein Denkmal setzen? Fischer, Frankfurt/Main 1984. (Fischer-Taschenbücher, 3914) ISBN 3-596-23914-1
- Christa von Hees-Landwehr: Griechische Meisterwerke in römischen Abgüssen. Der Fund von Baia. Haßmüller, Frankfurt am Main 1984. (Ausstellungskatalog Freiburg i. Br.) S. 24–26.
- Werner Oenbrink: Die Tyrannenmörder. Leitbilder der athenischen Demokratie. – Rezeption eines politischen Denkmals in der attischen Vasenmalerei. In: Bildergeschichte. Festschrift Klaus Stähler. Bibliopolis, Möhnesee 2004, ISBN 3-933925-59-2
- Mario Rausch: Isonomia in Athen. Veränderungen des öffentlichen Lebens vom Sturz der Tyrannis bis zur zweiten Perserabwehr. Lang, Frankfurt am Main 1999. (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 821) ISBN 3-631-33648-9
- Peter Suter: Das Harmodiosmotiv. Dissertation Basel 1975.
- Michael W. Taylor: The tyrant slayers. The heroic image in fifth century B.C. Athenian art and politics. 2. ed. Ayer, Salem, N.H. 1981. ISBN 0-88143-113-3
- Die Griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit. Zabern, Mainz 2002. (Ausstellungskatalog Berlin und Bonn) S. 237–240, Kat. Nr. 132. ISBN 3-8053-2854-0
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.klassik-berlin.de/klassiksite_v2_e/themen/0_lichthof/zoom1/index.html
- http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e_/uni/c/02/01/index_html
- http://www.thomasgransow.de/Athen/Athen_Gruendungsmythos.html
- http://www.skulpturhalle.ch/sammlung/highlights/2004/01/tyrannentoeter.html