Integration (Soziologie)
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Integration bedeutet in der Soziologie die Wiederherstellung eines Ganzen durch Prozesse, die das Verhalten und Bewusstsein nachhaltig verändern. Integration kann einerseits zwischen einzelnen Individuen gegenüber Gruppen, andererseits zwischen Gruppen, Schichten, Rassen, Kulturen und Klassen innerhalb einer Gesellschaft untereinander und weiter noch zwischen verschiedenen Gesellschaften stattfinden. Ziel jeglicher Integration ist die Herausbildung neuer sozialer Strukturen und sozialer Ordnungen.
Es handelt sich dabei nicht nur um eine reine Assimilation (völlige Anpassung) an ein bereits bestehendes 'Ganzes', sondern um die kombinatorische Schaffung eines neuen Ganzen unter Einbringung der Werte und Kultur der außen stehenden Gruppe in die neue Gesellschaft, bei Erhalt einer eigenen 'Identität' (vgl. SPECK, 1991, S.294). So könnten beispielsweise Immigranten in eine Kultur integriert werden oder aber auch Menschen mit Behinderung in das Regelschul- und Arbeitssystem. „Integration“ in diesem Sinne hat jedoch starke Züge einer politischen Zielsetzung; die widersprüchlichen Züge von gleichzeitig angestrebter Einpassung und Nichteinpassung haben eine streng soziologische Begriffsbildung zur „Integration“ bis heute (2004) erschwert.
Auch werden Assimilation und Integration begrifflich oft gleich gestellt oder miteinander verwechselt. Es handelt sich aber um zwei verschiedene Prozesse, die unterschiedliche Auswirkungen haben. „Assimilation“ ist - nach Emil Kobi - die „allgemeine Bezeichnung für ein Ähnlichwerden aufgrund eines Angleichungs- oder Anpassungsprozesses“ (Kobi, Emil E.: Was bedeutet Integration? Analyse eines Begriffs. In: EBERWEIN, 1994, S.71-79)
Demgegenüber wird laut Brockhaus Integration im soziologischen Sinn als "Prozess der bewusstseinsmäßigen oder erzieherischen Eingliederung [...] oder ihre Anpassung an allgemein verbindliche Wert- und Handlungsmuster" definiert." Damit handelt es sich im Unterschied zur Unterscheidung nach Emil Kobi auch bei Integration um einen Anpassungsprozess.
Kulturelle Leitbilder der Integration und Konsequenzen (H. Häussermann, W. Siebel: Stadtsoziologie: Eine Einführung. S. 192-193)
Homogenität: Assimilationstheorien und die Idee des melting-pot, d.h. die Verschmelzung der kulturellen Eigenarten zu etwas Neuem.
Differenz: Urbane Indifferenz und Mosaik kleiner Welten
Assimilation: Die "eingliedernde" Kultur bleibt unverändert und verlangt von den Zuwanderern Anpassung an die vorgefundene Kultur. Die Zuwanderer sollen ihre Fremdheit ablegen und sich unauffällig integrieren. Die Anpassungleistung liegt allein beim Individuum. In der deutschen Politik ist bis heute dieses Modell dominant.
Melting-pot (Schmelztiegel): Die amerikanische Idee unterstellt dagegen, dass sich im Prozess der Zuwanderung auch die Aufnahmegesellschaft verändert. Sie entwickelt eine neue Identität.Es findet eine Verschmelzung von mitgebrachten kulturellen Eigenschaften zu etwas Neuem statt. Die Anpassungsleistung liegt also auf beiden Seiten.
Urbane Indifferenz: Georg Simmel ging es um die Aufrechterhaltung von Differenz in der modernen Großstadt, und diese Leistung musste nach seiner Ansicht vom Individuum erbracht werden. Simmel hatte die Ansicht, dass die Individuen in der Stadt sich gegenseitig in ihrer Fremdheit respektieren müssen. Sowohl bei den Zuwanderen noch bei der Mehrheitsgesellschaft gibt es einen Zwang zur Anpassung. In der Großstadt leben die Menschen in anonymer Distanz zueinander, ja sie ignorieren sich als individuelle Menschen wechselseitig, was zu der großstadttypischen Reserviertheit, Blasiertheit und Unpersönlichkeit bei alltäglichen Beziehungen führt. Dadurch entsteht ein sozialer Raum für die Koexistenz des Heterogenen.
Mosaik kleiner Welten: Auch in diesem Modell bleibt die Differenz der verschiedenen Kulturen erhalten. Aber Integration wird dabei ganz anders gedacht: als Möglichkeit des Fortbestehens von einander fremden Kolleektiven. Die Stadt wird ein Mosaik kleiner Welten gedacht, die räumlich voneinander getrennt sind. Das ist die segregierte Stadt, in der sozial und kulturelle Distanzen in räumliche Distanzen übersetzt sind und dadurch direkte Konflikte zwischen den verschiedenen Kulturen vermieden werden. Anpassung wird nicht verlangt und nicht erzwungen, sondern vielmehr als Möglichkeit in die Zukunft verlagert.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Ethnisierung
- Heilpädagogik
- Ignaz-Glaser-Symposion
- Multikulturelle Gesellschaft
- Interkulturelle Kompetenz
- Strukturfunktionalismus
- Weißsein
[Bearbeiten] Literatur
- BAUMER, Thomas: Handbuch Interkulturelle Kompetenz (2 Bände); Verlag Orell Füssli, Zürich. ISBN 3-280-02691-1 und ISBN 3-280-05081-2
- EBERWEIN, Hans (Hrsg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik. 3. Auflage, Weinheim / Basel 1994
- HILLMANN, K.-H.: Wörterbuch der Soziologie. 4. Auflage, Stuttgart 1994
- Ulrike Hormel, Albert Scherr: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft, 2004, ISBN 3-531-14399-9
- SPECK, Otto: System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. 2. Auflage, München 1991
[Bearbeiten] Weblinks
- Forum zum Thema Zuwanderung
- CeLA-Arbeitshefte Nr. 91: „Integrationsprozesse im ländlichen Bolivien“: Studie zur sozialen und systemischen Integration von Zuwanderern in die Aufnahmegesellschaft. Autor: Winter, Johannes (2005). In: http://www.uni-muenster.de/CeLA/publik/Ah/AH91.htm
- Institut für deutsch-türkische Integrationsstudien und interreligiöse Arbeit Mannheim e.V.
- Ignaz-Glaser-Symposion zum Thema Integration
- Was heißt eigentlich ... Integration? Flyer des IDA e. V.
- Was bedeutet "Integration" für die Arbeit mit Jugendlichen? Textseite
- Web-Portal der Heinrich-Böll-Stiftung zu den Themen Migration-Integration-Diversity mit Hintergrundinformationen, Debatten