Modernismus (Katholizismus)
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Als Modernismus bezeichnet man seitens der römisch-katholischen Kirche eine starke Strömung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die theologische Aussagen mit dem damaligen Erkenntnisstand der modernen Wissenschaft und Philosophie in der Weise zu verbinden suchte, indem sich die kirchliche Lehre diesen Erkenntnisstand zu eigen machen sollte.
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[Bearbeiten] Begriff
Der Ausdruck "Modernismus" wurde vorwiegend von seinen Gegnern gebraucht; es handelt sich nicht um die Selbstbezeichnung einer bestimmten Gruppe. Unter dem Titel "Modernismus" werden durchaus verschiedenartige Erscheinungen zusammengefasst, so dass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, welche Ansichten vertreten wurden. Aus diesen Gründen wird der Ausdruck nicht allgemein als neutraler historischer Begriff gebraucht.
Der Ausdruck Modernismus wird auch auf Strömungen im Protestantismus angewandt, wo ähnliche Ideen von vielen großen Kirchen ganz oder teilweise akzeptiert wurden - in der Reaktion darauf entstanden der christliche Fundamentalismus und die evangelikale Bewegung.
Ebenso entwickelte sich ein Modernismus im Reformjudentum, insbesondere in den Vereinigten Staaten.
Weiteste Verbreitung fand der Ausdruck Modernismus aber in der katholischen Kirche, da er dort zu einem umfangreichen Streit und zu einer (durch lehramtliche Verurteilungen verschärfte) Polarisierung zwischen Gegnern und Anhängern "modernistischer" Auffassungen führte.
[Bearbeiten] Inhalte
Der Modernismus favorisierte eine bestimmte Anwendung der historisch-kritischen Exegese in Bibelauslegung und Dogmengeschichte. Diese Methoden begründeten den Verdacht, die kirchlichen Dogmen und Bekenntnisse zu relativieren. Als ein gemeinsames Ziel der des Modernismus beschuldigten Theologen kann ihr Wille angesehen werden, der Kirche durch eine voreilige Anpassung an das damalige Weltbild der Moderne ermöglichen. Man glaubte irrtümlich, der Religion nur so noch eine Zukunft zu eröffnen.
In der katholischen Kirche förderte der Modernismus, der überwiegend in Frankreich, England und Italien auftrat, aber auch in Deutschland einige Befürworter hatte, ebenfalls die "wissenschaftliche" Bibelauslegung im Anschluss an Reimarus, D.-F. Strauß und Ernest Renan, aber auch die Ablehnung der päpstlich geförderten neoscholastischen Theologie (Thomismus).
[Bearbeiten] Modernismusstreit
Insbesondere sah sich das kirchliche Lehramt durch den Modernismus angegriffen. Schon der Begriff "Modernismus" als eine einheitliche Bezeichnung für eine breitere Strömung wurde (nicht etwa durch programmatische Schriften der "Modernisten") durch die päpstliche Gegenwehr konstituiert. Teilweise anknüpfend an die theologische Richtung des "Syllabus Errorum" (1864) von Pius IX., bezeichnete Papst Pius X., den Modernismus als "Sammelbecken aller Häresien". Feierlich verurteilte er den von ihm so genannten Modernismus in der Enzyklika Pascendi vom 7. September (1907), die vor allem gegen den frz. Theologen Alfred Loisy gerichtet war. Vorausgegangen war das Dekret Lamentabili sane exitu vom 3. Juli 1907, wurde die kritische Haltung des Lehramts gegenüber der Bibelkritik von Loisy bekräftigt. Diese Publikation des Hl. Offizium wird auch als Kleiner Syllabus (Syllabus = Zusammenstellung) bezeichnet. In ihm werden 65 dem "Modernismus" zugeschriebene Thesen aufgezählt und verworfen. Am 18. November 1907 verurteilte Pius X. nochmals die Lehren des "Modernismus" in seinem Motuproprio Praestantia Scripturae und verhängte darin als Strafe für die Modernisten die automatische Exkommunikation. Loisy selbst äußerte, dass bereits 1908 (mit seiner Exkommunikation) das völlige Scheitern seiner Bemühungen eingetreten sei.
Der Kampf des 1954 heiliggesprochenen Papstes war Teil einer mit größtem Eifer durchgeführten Reform der Kirche. Pius X. führte 1910 den Antimodernisteneid ein, mit dem jeder Kleriker dem Modernismus abschwören musste. Dieser Antimodernisteneid war bis 1967 in Kraft; heute wird an seiner Stelle ein Glaubensbekenntnis verlangt.
[Bearbeiten] Weitere Entwicklung
Nachdem zunächst Papst Benedikt XV. übertrieben antimodernistische Bestrebungen eingedämmt hatte, verurteilte Papst Pius XI. zwischen 1922 und 1939 als "sozialen Modernismus" den Kommunismus, den Nationalsozialismus, den ital. Faschismus und die Ideologie der Action Francaise. Die französische Bewegung hatte bereits Papst Pius X. 1914 verurteilt, die Veröffentlichung erfolgte jedoch aus politischen Gründen erst im Dezember 1926.
Papst Pius XII. veröffentlichte am 12. August 1950 sein Apostolisches Rundschreiben Humani Generis. Darin greift er neue moderne Lehren an und verurteilt sie, unter anderen den Irenismus, den Relativismus und den Historizismus, jedoch werden diese Lehren bewusst nicht mehr dem Modernismus (also dem Konflikt der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts) zugeordnet. Die Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI. kritisierten in ihren jeweiligen Antrittsenzykliken gleichfalls schwerwiegende Irrtümer, doch wird das Zweite Vaticanum von einigen Kirchenhistorikern (z.B. Manfred Weitlauff und Otto Weiß) als ein zumindest teilweiser Sieg ehedem als modernistisch verurteilter Auffassungen betrachtet. Die Sorge um eine angemessene Modernität in der Kirche kennzeichnete auch das Pontifikat von Papst Johannes Paul II.
In der o.g. Enzyklika verließ Pius X. 1907 die traditionelle Methode, bestimmte Sätze kontradiktorisch als falsch zu verwerfen, und versuchte, das gegnerische Weltbild systematisch zu beschreiben. Die meisten Modernisten konnten ihre Auffassung darin indessen nicht wiedererkennen, weswegen einige von ihnen auch den Anti-Modernisteneid leisteten, ohne ihre Überzeugungen zu ändern. Seit Benedikt XV. sahen die Päpste wegen der offenkundigen Interpretationsprobleme die Verwerfung einzelner Sätze nicht mehr als taugliches Instrument der Disziplin an. Daher hat das II. Vatikanische Konzil (1962-65) der kath. Kirche zur Aufgabe gemacht, den Anspruch Jesu durch Überzeugungsarbeit im Dialog zu verbreiten, anstatt Lehrverurteilungen einzelner Sätze auszusprechen. Kirchenamtliche Lehrverurteilungen von Zeitirrtümern (veränderlichen Irrtümern also) sind daher heute selten geworden.
Die nachkonziliare Krise begünstigte innerhalb der römisch-katholischen Kirche die Tendenz, dem modernen Weltbild entgegenzukommen. Bei konservativen bzw. integralistischen Gruppen hat sich dafür der Ausdruck neo-modernistisch bzw. Neo-Modernismus eingebürgert. Umgekehrt argumentieren liberale Theologen im Hinblick auf die antimodernen Gruppen, zumindest in der Tendenz, mit der Bezeichnung Fundamentalismus bzw. Integralismus.
[Bearbeiten] Vertreter des Modernismus
- Joseph Turmel [alias: Henri Delafosse] (Frankreich 1859–1943) Delafosse, Der Brief an die Römer
- George Tyrrell (England, 1861–1909)
- Alfred Firmin Loisy (Frankreich, 1857–1940) Artikel von Loisy (englisch)
- Ernesto Bounaiuti (Italien, 1881-1946)
Protestanten:
- Shailer Matthews
- Arthur Cushman McGiffert
[Bearbeiten] Literatur
- Marie-Joseph Lagrange, M. Loisy et le modernisme, Paris (Cerf) 1932.
- Michael Davies: Partisanen des Irrtums, Der hl. Papst Pius X gegen die Modernisten, Stuttgart, 2004, ISBN 3-932691-43-1
- Manfred Weitlauff: Kirche zwischen Aufbruch und Verweigerung. Ausgewählte Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; als Festgabe zum 65. Geburtstag. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 2001. ISBN 3-17-016967-X (Einzelstudien zur Geschichte und Vorgeschichte des Modernismusstreits)
- Otto Weiß: Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte. Pustet, Regensburg 1995. ISBN 3791714783 (umfassende Darstellung)