Peter Weiss
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Peter Ulrich Weiss (Pseudonym Sinclair) (* 8. November 1916 in Neubabelsberg bei Berlin; † 10. Mai 1982 in Stockholm, Schweden) war ein bekannter deutscher Schriftsteller, Maler und Graphiker.
Die Familie Weiss, zum Christentum konvertierte Juden, musste 1935 vor den Nationalsozialisten nach England fliehen. In London besuchte Peter Weiss kurzzeitig die Polytechnic School of Photography. Zwischen 1935 und 1938 studierte er auf Anraten seines väterlichen Freunds Hermann Hesse an der Prager Kunstakademie. Für das Gemälde "Gartenkonzert" erhielt er den Akademiepreis. Peter Weiss lebte danach kurzzeitig bei Hesse in Montagnola in der Schweiz und ab 1939 in Schweden (schwedische Staatsbürgerschaft 1946). 1943 heiratete er die Malerin und Bildhauerin Helga Henschen, 1949 Carlota Dethorey und 1964 Gunilla Palmstierna. 1966 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin.
Einen Namen als Schriftsteller erwarb sich Weiss durch seine mikroskopisch genauen Erzählungen (Der Schatten des Körpers des Kutschers), autobiographische und historische Romane (Abschied von den Eltern, Fluchtpunkt; Die Ästhetik des Widerstands) und Bühnentexte (Marat/Sade, Die Ermittlung).
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben und Werk
Peter Weiss wird am 8. November 1916 in Nowawes (heute Neubabelsberg) bei Berlin als ältester Sohn (zwei Stiefbrüder aus der 1. Ehe der Mutter, 3 weitere Geschwister) von Frieda Weiss geb. Hummel (Hausfrau, die z.T. Nebenrollen am Deutschen Theater in Berlin spielte) und Eugen „Jenö“ Weiss (jüdisch-ungarischer, zum Christentum konvertierter Textilkaufmann) geboren.
1918 zieht die Familie nach Bremen, nachdem Jenö Weiss aus dem Militärdienst entlassen wurde. Jenö gründet ein erfolgreiches Textilwarengeschäft (gehobener Lebensstandard: zeitweise Köchin, Haushaltshilfe und Kindermädchen im Haushalt). 1929 kehrt die Familie Weiss nach Berlin zurück. Sohn Peter beginnt sich für Kunst und Kultur zu interessieren: „Da fing es an mit einigen Freunden, die ich damals hatte, die sehr interessiert waren an Kunst. [...] Wir gingen jeden Sonntag in die Museen, in das Kaiser-Friedrich-Museum – das waren meine frühen Eindrücke, die ich später in der Ästhetik in veränderter Form schildere, obwohl es genau so in meinem eigenen Leben war, die Malerei-Erlebnisse, die Musik-Erlebnisse, wir hörten uns die Bach-Passionen an im Berliner Dom, wir gingen in die Bibliotheken, wir lasen alles, was überhaupt zu lesen war, wir verschlangen ein Buch nach dem anderen. In diesen Jahren, zwischen 1931 und 1933, erwarb ich meine ganzen Literaturkenntnisse, den ganzen Hesse, den ganzen Thomas Mann, den ganzen Brecht, alles lasen wir damals als ganz junge Leute. Ich hatte schon angefangen Gedichte zu schreiben, die ich heute noch habe, diese Manuskripte, geprägt durch Eindrücke, Einflüsse von Wedekind, Hesse und eine Mischung aus beiden“. Auf Druck des Vaters wechselt er vom Gymnasium zur Handelsschule. Jenö Weiss versucht sich in dieser Zeit zu assimilieren, bewirbt sich um die deutsche Staatsbürgerschaft und will angeblich sogar in NSDAP und SA eintreten.
1935 emigriert die Familie Weiss nach England. Peters jüngere Schwester stirbt kurz vor der Abreise an den Folgen eines Autounfalls. In London besucht Weiss die Polytechnic "School of Photography". Er malt u.a. „Die Maschinen greifen die Menschen an“ und schreibt „Bekenntnis eines großen Malers“. Wenig später eröffnet er seine erste Ausstellung in einer Londoner Garage. Ein Jahr später übersiedelt die Familie nach Nordböhmen, in das Dorf Warnsdorf.
Im Januar des Jahres 1937 stellt Weiss Kontakt zu Hermann Hesse her, seine Werke sind für ihn „Spiegel in denen eine sehnsüchtige Identifizierung gebannt ist“ - dies ist für ihn der persönliche Durchbruch. Im selben Jahr reist er nach Montagnola im Tessin zu Hesse, studiert an der Kunstakademie in Prag und erhält für sein Gemälde „Das Gartenkonzert“ den Akademiepreis, außerdem malt er „Das große Welttheater“.
Als die deutsche Wehrmacht 1938 das Sudetenland besetzt, emigrieren Weiss' Eltern nach Schweden, er selbst geht zunächst in die Schweiz. Die Eltern bemühen sich noch die „Lebenslüge“ (Peter Weiss) aufrecht zu erhalten, sie seien aus wirtschaftlichen und nicht aus politischen Gründen umgezogen. Peter verdient seinen Lebensunterhalt u.a. als Textilmusterzeichner und an privaten Malschulen.
Weiss zieht 1940 nach Stockholm, wo er bis an sein Lebensende bleibt. Es entstehen die Gemälde „Jahrmarkt am Stadtrand“, „Zirkus“ und „Villa mia“. Ein Jahr später folgt die erste schwedische Ausstellung Peter Weiss'. Er studiert ab 1942 an der Stockholmer Kunstakademie („Die Kartoffelesser“ entstehen). 1943 heiratet er die Malerin und Bildhauerin Helga Henschen. Die gemeinsame Tochter Randi Maria wird geboren.
Weiss findet Aufnahme in der schwedischen Künstlerszene. 1944 beteiligt er sich an der Ausstellung „Konstnärer i landsflykt“ („Künstler im Exil“). Im selben Jahr wird seine Tochter Rebecca geboren. („Die Schnecke“ und „Obduktion“ entstehen). Am 8. November 1946 erhält Weiss die schwedische Staatsbürgerschaft.
1947 veröffentlicht Weiss „Der Vogelfreie“ - sein erstes in deutscher Sprache geschriebenes, aber nicht in Deutschland veröffentlichtes Buch. Als Korrespondent der Stockholms-Tidningen schreibt Weiss sieben Reportagen. Er verfasst den Prosatext „De Besegrade“ („Die Besiegten“) und malt „Der Webstuhl I“ und „Zersplitterter Kopf“. 1949 heiratet Weiss Carlota Dethorey, die bereits mit Sohn Paul schwanger ist. Das Hörspiel "Rotundan" ("Der Turm") entsteht.
Ab 1952 arbeitet Weiss als Lehrbeauftragter an der Stockholmer „Högskola“ (zu Filmtheorie- und Praxis sowie der Theorie des Bauhauses). Die Experimentalfilme Studie I, II, III, IV und V entstehen. Seine filmtheoretischen Überlegungen wird er bald darauf im Buch „Avantgardefilm“ (1956) zusammenfassen. Bis 1960 dreht Weiss insgesamt sechs Dokumentarfilme. Auch in Kurzfilmen wie "Gesichter im Schatten" und "Im Namen des Gesetzes" benutzt Weiss dokumentarische Aufnahmen aus dem Alltagsleben. 1959 dreht er mit dem Spielfilm „Hägringen/Fata Morgana“ nach der Buchvorlage „Der Vogelfreie“ - sein wohl wichtigstes filmisches Werk.
Zusammen mit Barbro Boman schreibt Weiss 1960 das Drehbuch zu "Schwedische Mädchen in Paris" (Dt. Verleihtitel: "Verlockung") und ist bei den Dreharbeiten als Bildregisseur tätig. Collagen zu Der Schatten des Körpers des Kutschers entstehen. Im selben Jahr erscheint die Erzählung Der Schatten des Körpers des Kutschers (verfasst 1952), die Einfluss nimmt u.a. auf Ror Wolf und dessen Roman Fortsetzung des Berichts (1964). Weiterhin erscheinen die Erzählung „Abschied von den Eltern“ (1961) und der Roman „Fluchtpunkt (Roman)“ (1962), für den Weiss den Schweizer Charles-Veillon-Literaturpreis verliehen bekommt.
1964 heiratet Weiss Gunilla Palmstierna. Das Drama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ wird uraufgeführt und ist weltweit erfolgreich.
1965 bekommt Weiss den Lessing-Preis in der Freien und Hansestadt Hamburg verliehen. Am 19. Oktober wird "Die Ermittlung" (Untertitel: "Oratorium in elf Gesängen"), das sich mit Auschwitz und den Prozessen in Frankfurt auseinandersetzt, gleichzeitig in mehreren Städten Europas uraufgeführt. Ein Jahr später erhält Weiss den Heinrich-Mann-Preis der Deutschen Akademie der Künste, Ost-Berlin. 1967 bringt Weiss sein politisches Musical „Der Gesang vom Lusitanischen Popanz“, das die portugiesische Kolonialherrschaft angreift auf die Bühne und nimmt am Bertrand Russell-Tribunal gegen den Vietnam-Krieg in Stockholm teil (einer der so genannten Richter ist Jean Paul Sartre). Weitere Uraufführungen folgen: „Viet-Nam-Diskurs“ in Frankfurt a.M. (1968), "Trotzki im Exil" in Düsseldorf (1970), "Hölderlin" in Stuttgart (1971).
Weiss' dritte Tochter Nadja kommt 1972 zur Welt. Drei Jahre später erscheint das Opus magnum „Die Ästhetik des Widerstands“ (1975). Band zwei und drei werden in den Jahren 1978 und 1981 publiziert. Das rund 1.000 Seiten umfassende Werk reflektiert die Debatten und Konflikte innerhalb der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Der fiktive Ich-Erzähler durchläuft dabei eine musterhafte Entwicklung hin zum kommunistischen Idealbild des politisch bewussten Proletariers. Die Parallelen zur Lebensgeschichte des Autors, die aber an entscheidenden Punkten gebrochen werden, legen die Deutung nahe, dass Weiss eine Wunschautobiographie verfasst hat. Ein Kernanliegen der Trilogie ist die Reflexion über das Verhältnis zwischen Kunst und Politik. Dass Weiss dabei linksradikale Deutungskonzepte anhand klassischer Werke der bildenden Kunst entwickelt, gilt als äußerst ungewöhnlich und war auch einer der Hauptstreitpunkte in den Lektürekursen und Diskussionsveranstaltungen der Gewerkschaften und linke Gruppen in den 1980er und 90er Jahren. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der Kommunist Weiss einen Schwerpunkt auf Widersprüche, Fehler und Scheitern linker Politik legt und der anarchistischen Bewegung eine so bedeutende Rolle zuweist, was darin begründet liegen mag, dass Weiss der Freiheit, und speziell der Meinungs- und Kunstfreiheit, eine herausragende Bedeutung zumisst - was wiederum als Kritik an der Herrschaftspraxis sozialistischer Staaten verstanden werden kann. Während der institutionalisierte Kulturbetrieb die Bedeutung der Trilogie erst spät erkennt (die FAZ war zunächst "tief enttäuscht"), wird „Die Ästhetik des Widerstands“ für Linke in West- und Ostdeutschland schnell zum Kultroman, da Weiss den historischen Hintergrund ihrer politischen Heimat in einem leidenschaftlichen Stil zugänglich macht und überdies Geschichte "von unten", also vom einfachen Menschen her, erzählt. Angesichts der außergewöhnlich breiten Rezeption der Trilogie hat Gerhard Scheit "Die Ästhetik des Widerstands" als den "letzten gemeinsamen Nenner" der deutschen Linken bezeichnet.
1981 erscheinen Weiss' tagebuchartigen Notizbücher 1971-1980, gefolgt von den Notizbüchern 1961-1970. Weiss wird der Literaturpreis der Stadt Köln verliehen.
1982 wird das Stück „Der neue Prozess“ in Stockholm unter Regie des Autors uraufgeführt. Kurze Zeit später, am 10. Mai 1982 stirbt Peter Weiss in einer Stockholmer Klinik.
Der Georg-Büchner-Preis kann ihm nur noch postum verliehen werden.
[Bearbeiten] Literatur
- Manfred Haiduk: Der Dramatiker Peter Weiss. Henschelverlag, Berlin 1977
- Anat Feinberg Wiedergutmachung im Programm. Jüdisches Schicksal im deutschen Nachkriegsdrama Köln: Prometh, 1988 ISBN 3922009859 (über Die Ermittlung)
- Jochen Vogt: Peter Weiss, Reinbek 1987
- Rudolf Wolff (Hrsg.): Peter Weiss. Werk und Wirkung (Reihe: Sammlung und Profile, Bd. 27), Bonn 1987
- Literatur-Konkret 1982 (Schwerpunkt Peter Weiss)
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Peter Weiss im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Peter Weiss in der Internet Movie Database
- Biographie Peter Weiss
- www.ub.fu-berlin.de/ - Linksammlung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin
- www.peterweiss.org - Internationale Peter Weiss-Gesellschaft e.V. / Peter Weiss-Jahrbuch
Personendaten | |
---|---|
NAME | Weiss, Peter |
KURZBESCHREIBUNG | Schriftsteller, Maler, Graphiker |
GEBURTSDATUM | 8. November 1916 |
GEBURTSORT | Neubabelsberg bei Berlin |
STERBEDATUM | 10. Mai 1982 |
STERBEORT | Stockholm, Schweden |