Henriette Davidis
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Henriette Davidis (* 1. März 1801[1] in Wengern; † 3. April 1876 in Dortmund) gilt als die berühmteste Kochbuchautorin Deutschlands. Bis heute wird ihr bekanntestes Werk das Praktische Kochbuch nachgedruckt, das für zahlreiche weitere deutschsprachige Kochbücher zum Vorbild wurde. Obwohl zeitgleich viele ähnliche Kochbücher erschienen, entwickelte sich das Praktische Kochbuch zu dem Kochbuch des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das zur Grundausstattung vieler deutscher Haushalte gehörte. Die vielen heute noch antiquarisch erhältlichen Exemplare zeigen, dass die Bücher rege benutzt, mit Anmerkungen versehen und oft sogar vererbt wurden. In vielen Familien wird das Praktische Kochbuch auch von Generation zu Generation weitergegeben.
Das Kochbuch war jedoch nur ein Teil eines umfassenden Erziehungs- und Bildungsprogramms für Mädchen und Frauen. Von der Puppenköchin über die junge unverheiratete Frau bis zur Hausfrau mit eigener Verantwortung für Haushalt und Personal boten Henriette Davidis Bücher sich als Lehrbücher und Nachschlagewerke an. Dahinter stand wohl die Erkenntnis, dass die Tätigkeit der Hausfrau ein eigener anspruchsvoller Beruf war, auf den die jungen Frauen des neu entstehenden Bürgertums oft nur unzureichend vorbereitet waren.
Henriette Davidis war, während sie ihre Bücher verfasste, selbst als Hauswirtschaftslehrerin, Erzieherin und Gouvernante tätig. Obwohl ihre Bücher, insbesondere das Praktische Kochbuch, das im Jahr ihres Todes bereits in 56. Auflage erschien, schon zu ihren Lebzeiten sehr erfolgreich waren, lebte Henriette Davidis eher bescheiden und bezog erst im Alter von 74 Jahren eine eigene Wohnung.
Heute erinnert an sie das Henriette-Davidis-Museum in Wetter-Wengern. Das Deutsche Kochbuchmuseum Dortmund im Westfalenpark in Dortmund widmet ihr ebenfalls einen großen Teil seiner Ausstellung. Ihre Herdplatte wurde als Gedenktafel in das Widerlager einer 1934 fertiggestellten Eisenbahnbrücke der Elbschetalbahn bei Wengern eingemauert, wo sie noch heute zu sehen ist.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben
Henriette Davidis wurde 1801 im westfälischen Wengern an der Ruhr, heute einem Stadtteil von Wetter, als zehntes von dreizehn Kindern des Pfarrers Ernst Heinrich Davidis und seiner Ehefrau Katharina Litthauer geboren. Nach der Konfirmation verließ sie ihr Elternhaus und zog zu ihren älteren Schwestern nach Schwelm, später nach Bommern, um den verheirateten Schwestern in deren Haushalt und mit der Erziehung ihrer Kinder zu helfen. 1817/18 besuchte sie eine private Töchterschule und arbeitete danach in verschiedenen Haushalten. Als ihr Vater 1828 starb, kehrte sie zurück nach Wengern und kümmerte sich um ihre Mutter, bis diese 1838 ebenfalls starb.
Von 1841 bis 1848 arbeitete Henriette Davidis als Erzieherin an einer Mädchenarbeitsschule in Sprockhövel. Während dieser Zeit erschien 1845 ihr Praktisches Kochbuch. Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche, 1847 und 1848 folgen die Arrangements zu kleinen und größeren Gesellschaften und die Praktische Anweisung zur Bereitung des Roßfleisches, die später als Anhang im Praktischen Kochbuch aufgingen. Für das Praktische Kochbuch hatte Henriette Davidis umfangreiche Recherchen betrieben und über einen längeren Zeitraum Rezepte zusammengetragen. Ob dies einfach aus persönlichem Interesse geschah und wann sie den Entschluss fasste, diese Rezepte in Buchform zu veröffentlichen, ist nicht bekannt.
Nach der Zeit in Sprockhövel lebte Henriette Davidis an verschiedenen Orten als Erzieherin und Gouvernante, bis sie sich 1856 in Dortmund niederließ, wo sie ab 1875 in einer eigenen Wohnung lebte. In dieser Zeit muss Henriette Davidis, möglicherweise durch den Erfolg des Kochbuches beflügelt, sich entschlossen haben, neben dem reinen Kochbuch eine umfassendere Hauswirtschaftslehre, sowie erzieherische Schriften für junge Mädchen und Frauen zu verfassen. 1850 erschien dann Der Gemüsegarten als Teil I eines geplanten Vollständigen Haushaltsbuches, es folgten 1856 Puppenköchin Anna, 1857 Die Jungfrau und 1858 Puppenmutter Anna. Das geplante mehrbändige Haushaltungsbuch kam allerdings nicht zustande. Nach einem Band mit Gedichten und Novellen erschien 1861 Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbständigen und sparsamen Führung des Haushaltes, das den Abschluss des Bildungsprogramms für die angehende Hausfrau bildete.
Seit den 1860er Jahren schrieb Henriette Davidis, die nun bereits als anerkannte Autorität in Hauswirtschaftsfragen gegolten haben dürfte, auch regelmäßig für die Zeitschrift Daheim, eine nach dem Vorbild der Gartenlaube gestaltete Zeitschrift, die sich an ein bürgerliches Publikum richtete und von 1865 bis 1944 erschien, und für das Christliche Volksblatt. In dieser Zeit veröffentlichte sie auch noch zwei weitere kleinere Schriften: Diätetik für Hausfrauen. Die Gesundheits- und Krankenpflege im Hause… und Kraftküche von Liebig's Fleischextract für höhere und unbemittelte Verhältnisse. Letztere war eine im Auftrag der Firma Liebig abgefasste Werbeschrift, die die Darstellung der Vorzüge des neuentwickelten Liebigschen Fleischextraktes mit dem "Gütesiegel" der Fachfrau Davidis geschickt kombinierte.
Alle Werke wurden vielfach überarbeitet, erweitert und immer wieder aufgelegt, teilweise auch übersetzt. Das Praktische Kochbuch und Die Hausfrau wurden auch speziell für Deutsche in den USA bearbeitet und erschienen von 1879 an in Milwaukee in deutscher Sprache, jedoch mit amerikanischen Maßen und teilweise angepassten Zutaten, Puppenköchin Anna und Die Hausfrau erschienen in niederländischer Sprache in Amsterdam.
Henriette Davidis blieb unverheiratet und lebte selbst nicht das Leben der sich selbst zurücknehmenden hingebungsvollen Hausfrau, das sie in ihren Büchern propagierte. Als berufstätige Frau und erfolgreiche Autorin, die später auch in einer eigenen Wohnung lebte, setzte sie sich scheinbar selbst in Widerspruch zu ihren Werken. Die Gründe dafür sind jedoch heute nicht mehr zu ermitteln, auch weil das im Sommer 1874 erstellte Manuskript der Autorin Erinnerungen aus meinem Leben und Wirken ungedruckt blieb und verschollen ist. Henriette Davidis starb 1876 in Dortmund. Ihr Grab befindet sich auf dem Dortmunder Ostenfriedhof.
[Bearbeiten] Bedeutung
Henriette Davidis Werke lassen sich unter die Frauen-Literatur, wie sie in Form von Anstandsbüchern und Ratgebern, aber auch Lyrikanthologien, Zitatenschätzen und ganzen Bibliotheken speziell für Frauen aufbereiteter Klassiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen großen Teil des Buchmarktes beherrschte, einordnen. Diese oftmals von Frauen für Frauen verfassten Haushaltungsbücher und Frauen-Breviere wirkten „neben ihrer originären Ratgeber- und Trostfunktion … norm- und systemerhaltend“[2]. Auch wenn ihr eigener Lebensweg einer berufstätigen Frau als eher untypisch gelten kann und sie sich, wie die erhaltene Korrespondenz mit ihren Verlegern beweist, durchaus zu behaupten wusste, bewegte sich Henriette Davidis mit ihren Werken innerhalb eines vorgegebenen Rahmens gesellschaftlicher Konventionen und bürgerlicher Normen. Auch ihre Leserinnen sollten nicht aus diesem Rahmen heraustreten, sondern vielmehr befähigt werden, sich innerhalb ihres familiären Umfeldes zu bewähren[3].
In Reaktion auf das Erstarken des Bürgertums im 19. Jahrhundert hatte sich auch die Kochbuchliteratur gewandelt: die bürgerliche Küche wurde zum Begriff, allgemeine Schulbildung und sinkende Druckkosten ermöglichten breiten Kreisen den Zugang zu dieser Art von Literatur. Gleichzeitig bildete sich die bürgerliche Kleinfamilie heraus, in deren häuslichem Zentrum die Hausfrau stand, die das Kochbuch als Bildungs- und Lehrbuch nutzte. Hatten sich Kochbücher zuvor eher an professionelle Köche gerichtet, boten sie nun einen systematischen Zugang zu den Grundlagen des Kochens und der Hauswirtschaft, der sich bewusst auch an Anfänger richtete[4].
Noch zu ihren Lebzeiten wurde Henriette Davidis als Autorität in Fragen der Haushaltsführung angesehen. In den 1860er und 1870er Jahren waren ihre Expertisen, heute würde man von Testimonials sprechen, für Geräte und Produkte, insbesondere für fortschrittliche Neuheiten gefragte Werbemittel (z. B. für das Geliermittel „Agar Agar“ oder für Liebig's Fleischextract), die zusammen mit ihrem Porträt auf die Verpackungen der Produkte aufgedruckt wurden. Auch in ihren Büchern werden immer wieder beiläufig bestimmte Produkte, Hersteller und Marken erwähnt. Ob diese lobenden Erwähnungen und Expertisen eine Gegenleistung durch die beworbenen Firmen erfuhren, lässt sich leider nicht mehr feststellen[5].
[Bearbeiten] Werke
[Bearbeiten] Praktisches Kochbuch
Henriette Davidis' Hauptwerk erschien 1845 mit dem Titel: Praktisches Kochbuch. Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche. Practische Anweisung zur Bereitung von verschiedenartigen Speisen, kalten und warmen Getränken, Gelees, Gefrornem, Backwerken, sowie zum Einmachen und Trocknen von Früchten, mit besonderer Berücksichtigung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen. Für das Kochbuch soll Henriette Davidis acht Jahre lang recherchiert und Rezepte gesammelt und ausprobiert haben. Ein kleines Nota-Heft ist erhalten, in dem sie im Juli 1843 Rezepte für Kuchen und Süßspeisen notierte.
Das Kochbuch enthält eine umfangreiche Rezeptsammlung, die Henriette Davidis nicht nur zusammengestellt, sondern, wie sie im Vorwort betont, auch selbst erprobt und modifiziert hatte:
„Schon wieder die Zahl der Kochbücher vermehrt?“ – wird Mancher fragen, der die Anzeige dieses Buches erblickt. Wohl gibt es deren recht viel, und einigen, die mir bekannt sind, fehlt es an Vielseitigkeit keineswegs; dennoch wird manche praktische Hausfrau und Köchin sich davon überzeugt haben, dass viele nur theoretisch bearbeitet sind und die darin befindlichen Recepte sich nicht immer mit Sicherheit anwenden lassen, indem dieselben oft auf Unkunde gegründet, oft auf guten Glauben zusammen getragen, oft nur aus kostbaren, fremdartigen Theilen bestehen, die sich nicht für jeder Küche eignen und die nur in der Hand einer geübten Köchin gelingen, nicht aber zugleich Anfängerinnen als Anleitung zur Bereitung dienen können. Ich bin weit davon entfernt, dieses Buch, als eine eigene Arbeit hoch stellen zu wollen; allein das darf ich sagen, dass mit Ausnahme einiger Recepte, Alles von mir selbst nach und nach erprobt, verbessert und zusammengesetzt ist und daß ich nur solche aufgenommen, von deren Richtigkeit ich überzeugt bin (…) [6].
Diesem Vorwort folgt eine kurze Einleitung, in der Henriette Davidis vier ihrer Meinung nach grundlegende Anforderungen an die Hausfrau formuliert: Reinlichkeit, Sparsamkeit, Achtsamkeit und Überlegung. Das Inhaltsverzeichnis umfasst die Teile A-V: Allgemeine Vorbereitungsregeln; Suppen; Fische; Gemüse; Puddings; Aufläufe; Eier-, Milch- und Mehlspeisen; Pasteten; Fleischspeisen aller Art; Gelées und Gefrornes; Klöße; Crêmes; Compotes; Salate; Saucen; Backwerk; Vom Einmachen und Trocknen einiger Früchte und Gewächse; Vom Einmachen und Trocknen einiger Gemüse; Getränke und Liqueure; Wurstmachen, Einpöckeln und Räuchern des Fleisches; Essig.
Allgemeine Anmerkungen zum Kochen, zu Kochgeschirren oder bestimmten Lebensmitteln sind sehr knapp und beschränken sich auf das Notwendigste. Die einzelnen Kapitel sind teils weiter unterteilt, z. B. nach den unterschiedlichen Fleischsorten. Jedes Kapitel beginnt mit Grundregeln zur Zubereitung der jeweiligen Lebensmittel. Innerhalb der Kapitel sind die Rezepte durchnummeriert, die Reihenfolge scheint jedoch eher zufällig gewählt. Mengenangaben, Kochzeiten oder Temperaturangaben fehlen, wie dies bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in deutschen Kochbüchern üblich war. Am Ende jedes Rezeptes ist jedoch angegeben, in welchem Geschirr das Gericht aufgetragen werden sollte, woraus sich auch eine ungefähre Mengenangabe ergibt.
Ein Beispiel aus dem Kapitel D. Gemüse:
„1. Regeln beim Kochen der Gemüse
Alle Gemüse müssen gut gereinigt, gewaschen, geschnitten und gleich zu Feuer gesetzt werden; dürfen aber vorher nicht zulange im Wasser liegen. Kartoffeln machen hier eine Ausnahme. Gemüse, die man vorher in Butter anziehen lässt, werden eher gahr, als solche, die man mit Wasser zu Feuer bringt.“[7]
„41. Gefüllte Gurken
Hierzu wählt man große Gurken, schält und schneidet sie bis über die Mitte der Länge nach ein, nimmt da Kernhaus mit einem Löffel heraus, läßt sie in gesalzenem Wasser mit Essig einige mal aufkochen, thut sie daruf in kaltes Wasser und füllt sie, nachdem sie abgetrocknet sind, mit einer Kalbfleisch-Farce. Dann werden die Gurken zugedrückt, mit einem Faden dicht umwunden, in Fleischbrühe, Butter, mit etwas Muskat gewürzt gar gekocht und vor dem Anrichten etwas gestoßener Zwieback daran gegeben. Eine Mittelschüssl.“[8].
Späteren Ausgaben ist ein ausführlicher Anhang beigefügt, der Vorschläge für die Bewirtung von Gästen und saisonal strukturierte Menüvorschläge enthielt. Diese waren ursprünglich als selbständige Publikation erschienen (Arrangements zu kleinen und größeren Gesellschaften, zu Frühstücks-, Mitags- und Abendessen, Kaffee's und Thee's und einem Küchenzettel nach den Jahreszeiten geordnet) und später in das Praktische Kochbuch integriert worden.
Das Buch entwickelte sich zum Standardwerk seiner Gattung und erreichte eine Bekanntheit, die über Deutschland hinausging - dies zeigte sich 1879, als eine besondere Ausgabe für Auslandsdeutsche in Milwaukee in den USA erschien. Die Herausgeber betonen im Vorwort, sie seien „dem als das beste allgemein anerkannte Kochbuche von Henriette Davidis gefolgt“[9].
Nach ihrem Tod wurde das Praktische Kochbuch zunächst von Luise Rosendorfer und ab der 32. Auflage 1898 von Luise Holle weitergeführt. Luise Holle überarbeitete das Kochbuch umfassend. Neben technischen Neuerungen fügte sie vor allem Gerichte der „feinen Küche“ und „Krankenspeisen“ , sowie ein Kapitel „Über die Verwertung von Resten“ hinzu. Auch das Anrichten der Speisen, Vorschläge für Speisezettel und ein Kapitel über die „Kunst des Wirtschaftens“ machten aus dem ursprünglich reinen Kochbuch zunehmend auch ein Haushaltungsbuch. Dem Buch ist nun auch ein alphabetisches Register vorangestellt. Insgesamt erschienen bis 1963 76 Neuauflagen des Praktischen Kochbuches sowie zahlreiche Nachempfindungen, sogar recht offensichtliche Plagiate (z. B. schon in den 1880er Jahren das Neue und bewährte Illustrierte Kochbuch für alle Stände einer gewissen H. Davithis)[10].
[Bearbeiten] Der Gemüsegarten
Der Gemüsegarten erschien 1850 als Band I eines geplanten vollständigen Haushaltungsbuches mit dem Untertitel Praktische Anweisung einen Gemüse-Garten mit Berücksichtigung der Schönheit und des reichlichsten Ertrages zu besorgen; sowie das Nöthige über Lage, Boden, Umzäunnung, Einrichtung, Dünger, Garten-Geräthschaften, Kultur der Pflanzen und fruchtbringenden Sträucher, Samenziehung, Dauer der Keimkraft, die erforderliche Quantität der Sämereien und wie mit den Gemüsen am Zweckmäßigsten abzuwechseln ist, der das inhaltliche Programm des Buches bereits umfassend beschreibt. Ein Anhang befasste sich zu dem mit Schädlingsvernichtung und dem Konservieren von Gemüse. Ab der fünften Auflage 1863 erscheint das Buch unter dem neuen Titel Der Küchen- und Blumengarten für Hausfrauen. Zu diesem Zeitpunkt, inzwischen waren Jungfrau, Hausfrau und die beiden Puppenbücher erschienen, scheint Henriette Davidis die Pläne für das mehrbändige Haushaltungsbuch endgültig aufgegeben zu haben. Die Neuauflage war um drei Kapitel erweitert worden, die sich insbesondere dem Gemüseanbau zum Verkauf widmeten, eine weitere Auflage enthielt 1866 auch noch ein Kapitel über Heilkräuter und ihre Verwendung. Das Buch erschien in zahlreichen Auflagen, deren genaue Zahl nicht bekannt ist, und dürfte damit große Verbreitung gefunden haben[11].
[Bearbeiten] Puppenköchin Anna
Gewissermaßen als Ableger des erfolgreichen Praktischen Kochbuches erschien im 1855 ein Kochbuch für Kinder: Puppenköchin Anna. Ein praktisches Kochbuch für kleine liebe Mädchen. Das Kochbuch richtete sich direkt an kleine Mädchen, denen die Puppenmutter Anna, das Idealbild eines folgsamen und vernünftigen Kindes, und ihre Mutter erläutern, wie sie selbst am Puppenherd oder mit Blumen und Gräsern kleine Gerichte oder „Puppenessen“ zubereiten können. Das Buch wurde ein Publikumserfolg und wurde in neun Auflagen bis 1898 immer wieder nachgedruckt. Formal ist das Puppenkochbuch offensichtlich an das Praktische Kochbuch angelehnt. Die Vorzüge der mustergültigen Puppenmutter Anna deuten darauf hin, welches Verhalten man damals von kleinen Mädchen erwartete, andererseits zeigt es auch auf, womit kleine Mädchen ihre Mütter damals offensichtlich plagten.
Dem Rezeptteil ist eine vergleichsweise lange Einleitung vorangestellt:
Für kleine, herzige Mädchen, welche gern Lesen, Schreiben und Stricken lernen und ganz folgsam sind, ist dies Puppenkochbuch bestimmt; und da wollen wir hoffen, daß es Viele gibt, denen das liebe Christkindchen oder die Mutter zum Geburtstage es bringen könne. […] Wer aber dieses Kochbuch erhält, muß befolgen, was die Puppenköchin Anna lehrt. Hört aufmerksam zu wie sie es machte. Sie plagte die Mutter niemals, ihr allerlei Näschereien zum Kochen zu geben, nein, sie nahm freundlich und dankend hin, was ihr gegeben wurde. Fehlten ihr die bestimmten Theile, welche zu dem Gericht gehören, das sie zu machen wünschte, so wählte sie sogleich ein anderes, ohne ein unfreundliches oder gar weinerliches Gesicht zu machen. […][12]
Das Büchlein im Oktavformat gliedert sich in zwei „Abtheilungen“. Die erste enthält „Speisen, welche auf dem Puppenherd gemacht werden“ sowie „Speisen ohne Heerd zu bereiten“, die zweite Abteilung widmet sich der „Blumenküche oder Speisen für die Puppen“. wie das Praktische Kochbuch sind gibt es auch hier Kapitel für Suppen, dann für Gemüse und Kartoffeln, Reisspeisen usw. Die einzelnen Rezepte sind wie beim Vorbild innerhalb der Kapitel einfach durchnummeriert. Beim größeren Teil der Rezepte handelt es sich um Süßspeisen, die vorwiegend aus Milch, Grieß, Reis, Eier und Äpfeln herzustellen sind, also auf einer limitierten Auswahl von Zutaten beruhen. Die meisten Rezepte sind tatsächlich einfach und kommen ohne komplizierte Arbeitsschritte aus. Bei den Gemüserezepten sind auch ausführliche Anweisungen zum Putzen und Vorrichten der Gemüsesorten enthalten. Im Gegensatz zum Praktischen Kochbuch sind hier am Anfang jedes Gerichtes die Zutaten aufgeführt. Die „Blumenküche“ basiert auf gängigen Gartenpflanzen und Gräsern, wie sie damals für jedes Kind leicht zu beschaffen gewesen sein dürften. Anders als der pädagogische Impetus des restlichen Buches vermuten lässt, geht es hier um kreatives, vergleichsweise „sinnloses“ Spielen - ein in dieser Form ungewöhnlicher und geradezu reformerischer Ansatz.
Beispiel aus Erste Abtheilung, I. Speisen, welche auf dem Puppenherd gemacht werden, Kapitel Suppen:
„10. Biersuppe
Eine Obertasse Bier, ein Ei, Zwieback und so viel Zucker, als die Mutter zur Suppe gibt.
Kocht das Bier mit einer Obertasse Wasser und dem Zucker. Unterdeß rührt ein Eidotter mit einem Eßlöffel Wasser in Eurem Terrinchen, schüttet langsam unter fortwährendem Rühren das gekochte Bier hinzu und gebt Zwiebackbrötchen hinein, so habt Ihr eine schöne Biersuppe mit Zwiebackklößchen“[13].
Beispiel aus Zweite Abtheilung, Blumenküche oder Speisen für die Puppen:
„12. Reisbrei
Hierzu könnt Ihr Marienblümchen nehmen. Pflückt die kleinen Blätter davon ab, richtet sie auf eine Schüsselchen oder Blatt an, und streut etwas Ziegelmehl darüber; so haben die Puppen auch Zimmet über ihren Reisbrei“[14].
Andere Puppenkochbücher erschienen im 19. Jahrhundert von Christine Charlotte Riedel (1854 Die kleine Köchin) und Julie Bimbach (1854 Kochbüchlein für die Puppenküche oder erste Anweisung zum Kochen für Mädchen von acht bis vierzehn Jahren). Der Erfolg des Büchleins von Julie Bimbach, das im Erscheinungsjahr bereits vier Auflagen erlebte, motivierte Henriette Davidis im Herbst 1855, ihren Verleger zu drängen, ein schon länger geplantes Puppenkochbuch endlich zu veröffentlichen. Als der Verleger des Praktischen Kochbuches, Velhagen & Klasing in Bielefeld, zögerte und zudem die Honorarforderungen Henriette Davidis’ nicht akzeptieren wollte, wechselte sie kurzerhand den Verlag, so dass Puppenköchin Anna bei Grote in Dortmund erschien. Später wurde das Puppenkochbuch durch Puppenmutter Anna ergänzt, ein Geschichtenbuch, das bei kleinen Mädchen den Sinn für „Häuslichkeit und Wirtschaftlichkeit“ zu wecken suchte, und Fragen der Haushaltsführung thematisierte. Obwohl beide Werke heute pädagogisierend und auf biedermeierliche Weise indoktrinierend klingen, handelte es sich damals und wohl auch aus Sicht Henriette Davidis’ um einen neuartigen, nicht unbedingt selbstverständlichen Beitrag zur spielerischen Ausbildung von Mädchen[15].
[Bearbeiten] Der Beruf der Jungfrau
1857 erschien Die Jungfrau. Worte des Rats zur Vorbereitung für ihren Beruf (ab der 2. Auflage unter dem geänderten Titel Der Beruf der Jungfrau. Eine Mitgabe für Töchter gebildeter Stände). Der Titel macht bereits deutlich, dass Henriette Davidis das Hausfrauendasein als Beruf verstand, der einer Vorbereitung und Ausbildung bedurfte. Mit diesem Buch wollte sie, wie sie im Vorwort schreibt „der Jungfrau Mittel und Wege vorführen, um sie auf ihren künftigen Lebensberuf in praktischer Beziehung vorzubereiten.“ Doch nicht nur das: „auch der höheren Lebenspflichten, der moralischen und religiösen Seite ihrer Wirksamkeit ist gedacht worden“[16]. Ähnlich wie religiöse Erbauungsliteratur sollte das Buch jungen Frauen nicht nur zur Unterweisung, sondern auch als tröstlicher Begleiter und Nachschlagewerk dienen.
Dieses und ähnliche Bücher zeigen, wie isoliert, hilflos und überfordert junge Frauen gerade zu Beginn einer Ehe oftmals gewesen sein müssen. Wegen der strikten Trennung der Zuständigkeiten innerhalb einer Ehe, dürften auch die Ehemänner in der Regel keine große Hilfe in Haushaltsfragen gewesen sein, im Gegenteil, diese Art der Literatur hält vielfache Ratschläge bereit, die Erfolglosigkeit des Ehemanns durch Sparsamkeit und Kreativität in der Haushaltsführung zu kompensieren. Be- und Entlohnung bestehen in der Zufriedenheit des Ehemannes und im Erfüllen der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die Hausfrau. So stellt Henriette Davidis denn auch fest, dass „es nur Wenigen und am wenigsten dem weiblichen Theile beschieden [ist], sich das Leben nach Wahl und Neigung zu gestalten und den höheren Geistesinteressen zu leben. Gerade der weibliche Beruf, […] nimmt in den meisten Fällen Hand und Verstand so sehr in Anspruch, daß nur wenig Mußestunden erlauben, aus dem Kreis des Berufslebens hinaus zu gehen“[17]. Aufgrund ihrer eigenen beruflichen Erfahrungen, in denen sie ganz offensichtlich durchaus Pflicht und Neigung zu vereinbaren suchte, dürfte Henriette Davidis an dieser Stelle sehr genau gewusst haben, wovon sie sprach.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ In der Literatur wird ihr Geburtsjahr mit 1801 angegeben, auf dem Grabstein steht allerdings 1800.
- ↑ Gisela Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 16.
- ↑ Gisela Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 13ff.
- ↑ Hanna Dose, Die Geschichte des Kochbuchs. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 51ff,68.
- ↑ Gisela Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 17ff.
- ↑ Praktisches Kochbuch, Vorwort
- ↑ Praktisches Kochbuch, S. 62.
- ↑ Praktisches Kochbuch, S. 75.
- ↑ zit nach Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 23
- ↑ Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 17
- ↑ Lutum, Der Küchen- und Blumengarten von Henriette Davidis. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 155ff
- ↑ Puppenköchin Anna
- ↑ Puppenköchin Anna, S. 13.
- ↑ Puppenköchin Anna, S. 72.
- ↑ Puppenköchin Anna, Nachwort des Herausgebers, o. S.
- ↑ zit. nach Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 14.
- ↑ zit. nach Framke, Der Beruf der Jungfrau. In: Der Beruf der Jungfrau, S. 12.
[Bearbeiten] Ausgaben
[Bearbeiten] Erstausgaben
- Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche. Velhagen & Klasing, Bielefeld, 1845.
- Arrangements zu kleinen und größeren Gesellschaften, zu Frühstücks-, Mitags- und Abendessen, Kaffee's und Thee's und einem Küchenzettel nach den Jahreszeiten geordnet, 1847. (Später in das Praktische Kochbuch integriert.)
- Praktische Anweisung zur Bereitung des Roßfleisches, 1848.
- Vollständiges Haushaltungsbuch. Der Gemüsegarten. Elberfeld, 1850, ab der 5. Auflage (1863) unter dem Titel Der Küchen-Garten für Hausfrauen. Praktische Anleitung zur möglichst vorteilhaften Kultur der bekannten Gewächse für Küche und Keller nach den Monaten geordnet. Verbunden mit einer Anleitung zur Kultur des Blumen-Gartens. Auf eigene und langjährige Erfahrungen praktischer Gartenfreunde gegründet..
- Puppenköchin Anna. Grote: Dortmund, 1855.
- Die Jungfrau. Worte des Rats zur Vorbereitung für ihren Beruf. Eine Mitgabe für Töchter bei ihrem Eintritt in's Leben, 1857. Ab der 2. Auflage Der Beruf der Jungfrau. Eine Mitgabe für Töchter gebildeter Stände.
- Puppenmutter Anna oder wie Anna sich beschäftigt und ihren Puppenhaushalt führt. Nebst Geschichten für kleine Knaben und Mädchen. Joedicke: Dortmund, 1858.
- Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbständigen und sparsamen Führung des Haushalts. Eine Mitgabe für angehende Hausfrauen. Elberfeld, 1860.
- Natur- und Lebensbilder. Kleine Beiträge zur weiblichen Gemüthsbildung, 1861
- Anna, de Kleine Keukenmeid, 1870, Bohn, Haarlem (niederländische Ausgabe).
- De Huisvrouw - Opgedragen aan Hollandsche vrouwen uit alle standen. Bohn, Haarlem
- Reklame-Kochbuch der Liebig-Werke: Liebig Company's Fleisch-Extract in der bürgerlichen Küche. Eine Sammlung erprobter einfacher Recepte von der Herausgeberin des Kochbuches von Henriette Davidis mit einem Anhang von Recepten für Krankenkost unter Verwendung des Fleisch-Peptons der Compagnie Liebig. Ihrer Kundschaft gewidmet von der Liebig's Fleich-Extract-Compagnie O.O., Selbstverlag, o.J.
[Bearbeiten] Bearbeitungen
- Henriette Davidis: Praktisches Kochbuch für die Deutschen in Amerika: zuverlässige und selbstgeprüfte Anweisungen zur Bereitung der verschiedenartigsten Speisen und Getränke, zum Backen, Einmachen u.s.w. Milwaukee, Wisconsin: G. Brumder's Verlag, um 1879. Digitalisat
- Luise Holle (Hg.): Henriette Davidis Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche. Bielefeld und Leipzig, 1898, 32. vermehrte und bearbeitete Auflage.
[Bearbeiten] Faksimileausgaben und Nachdrucke
- Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche, Nachdruck der Berliner Ausgabe, 1997 ISBN 3-86047-276-3
- Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche Reprint der Erstausgabe: Walter Methler (Hg.) Ev. Kirchengemeinde Volmarstein-Oberwengern: Wetter (Ruhr), 1994. ISBN 3-9810130-8-5
- Puppenköchin Anna. Ein praktisches Kochbuch für kleine liebe Mädchen. 2. vermehrte Auflage. W. Joedicke: Dortmund, 1858. Nachdruck Eckehard Methler (Hg.), Ev. Kirchengemeinde Volmarstein-Oberwengern: Wetter (Ruhr), 1999, (Veröffentlichungen des Henriette-Davidis-Museums; 7).
[Bearbeiten] Literatur
- Ulrike van Jüchems:„Man nehme …“. Henriette Davidis. Pfarrerstochter aus Wengern schreibt Klassiker der Kochkunst. In: Westfalenspiegel, Nr. 52 (2003), S. 25.
- Eckehard und Walter Methler: Henriette Davidis. Biographie, Bibliographie, Briefe. Ev. Kirchengemeinde Volmarstein, Wetter 2001. ISBN 3-933945-10-0
- Eckehard und Walter Methler: Von Henriette Davidis bis Erna Horn. Wetter/Ruhr 2001. ISBN 3-9810130-4-2
- Roswitha Kirsch-Stracke: Das vergessene Gartenbuch der westfälischen Schriftstellerin Henriette Davidis (1801-1876). In: Die Gartenkunst, Jg.12, H.2. München 2000, S.187-197.
- Karl Heinz Götze: Man nehme 20 Eier und bleibe Jungfrau. In: Ruhrgebiet (Merian-Heft), Hamburg, 1993, S. 134-135.
- Anke Killing: Henriette Davidis und ihre Zeit. Münster : Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesbildstelle Westfalen, 1998.
- Gisela Framke und Gisela Marenk (Hg.): Beruf der Jungfrau. Henriette Davidis und Bürgerliches Frauenverständnis im 19. Jahrhundert. Oberhausen: Graphium Press, 1988. ISBN 3-9800259-9-3
- Georg Ruppelt: Henriette Davidis und ihr berühmtes Kochbuch. Sonderdruck aus: Aus dem Antiquariat, München, 1987.
- Willy Timm: Henriette Davidis. In: Westfälische Lebensbilder Bd. XII, Münster, 1978, S. 88f. Ausführliche biographische Angaben.
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Henriette Davidis – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
- Literatur von und über Henriette Davidis im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Henriette-Davidis-Museum
- Das Wirken von Henriette Davidis in Sprockhövel
- Das Praktische Kochbuch online bei Projekt Gutenberg
- Der Davidis-Herd auf der Route industriekultur
- Die Person Henriette Davidis
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Personendaten | |
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NAME | Davidis, Henriette |
KURZBESCHREIBUNG | Kochbuchautorin, Köchin |
GEBURTSDATUM | 1. März 1801 |
GEBURTSORT | Wengern |
STERBEDATUM | 3. April 1876 |
STERBEORT | Dortmund |
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